Lufthansa-Tochter Eurowings Schmerzhafte Lehrstunden auf dem Billig-Markt

An Europas Himmel stehen gewaltige Änderungen bevor. Die Lufthansa wehrt sich mit ihrem komplizierten „Wings“-Konzept gegen die Billig-Angreifer. Das Rennen um die Passagiere läuft.

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Derzeit fliegen unter dem Flügelsymbol nicht weniger als fünf verschiedene Fluggesellschaften mit der alten Germanwings als Kern. Quelle: dpa

Frankfurt Die Luftfahrtbranche in Europa steht vor der nächsten Umwälzung – doch der jüngste Lufthansa-Spross Eurowings kämpft mit Wachstumsschmerzen. Fehlende Piloten und das umständliche Umschiffen von Tarifverträgen bremsen die Pläne von Lufthansa-Chef Carsten Spohr, der die „Wings“-Marke in die Top Drei der europäischen Billigflieger befördern will. Dabei könnte sich gerade jetzt entscheiden, wer künftig den Ton angibt. Eurowings-Chef Karl Ulrich Garnadt erwartet sogar einen „epochalen Bruch“ – und warnt vor dem härtesten Wettbewerb aller Zeiten.

Der Trend geht europaweit klar in Richtung Billigflieger. „Die Low-Coster sind kurz davor, mehr als die Hälfte des europäischen Marktes auf sich zu vereinen“, sagte Garnadt bei einem Touristik-Kongress in Essen. Schon im vergangenen Jahr waren es über 40 Prozent. Die Deutsche Flugsicherung traut den Billigfliegern inklusive der Eurowings deutlich mehr Wachstum zu als traditionellen Anbietern wie Lufthansa oder Air Berlin. Steigerungen gebe es im deutschen Luftverkehrsmarkt nur noch dort, wo Billiganbieter ihr Angebot ausbauen, sagt Flugsicherungs-Chef Klaus-Dieter Scheurle.

Verschärft wird die Situation auf dem gesamten Kontinent durch die absehbare Reaktion der Fluggesellschaften auf den Brexit. Easyjet und Ryanair haben bereits angekündigt, neue Maschinen zunächst nur noch außerhalb Großbritanniens zu stationieren – wegen der höheren politischen Stabilität, wie Ryanair-Chef Michael O'Leary spitz anmerkte. Die Fluggäste müssen sie anderen abjagen.

Billig muss dabei längst nicht mehr heißen, dass der Flug wie zu Ryanairs Anfangszeiten nur von Provinzflughafen zu Provinzflughafen geht. Selbst das typische Gerangel um die besten Sitzplätze ist Geschichte: Der Billigflieger – lange Zeit für freche Sprüche und patzigen Umgang mit Kunden bekannt – bietet inzwischen nicht nur eine Sitzplatzreservierung, sondern auch eine Business Class. „Der Sitzabstand ist dort größer als bei der Lufthansa“, räumt Garnadt ein und weiß: „Die Geschäftsmodelle nähern sich an.“

Derzeit gehen die Flugzahlen laut Flugsicherung etwa in Berlin, Stuttgart, Bremen, Nürnberg oder Köln/Bonn nach oben. Selbst das zweitgrößte deutsche Drehkreuz München wird zum Schlachtfeld, wenn Eurowings dort 2017 wie geplant den Angriff der Air-France-Tochter Transavia kontert. Verlierer sind Regional-Airports wie Hahn, Paderborn oder Kassel, die im Konzept der Billigflieger ihre Schuldigkeit weitgehend getan haben. Auch das größte deutsche Drehkreuz in Frankfurt wird von den großen Billiganbietern wegen der hohen Gebühren noch gemieden und bietet schon erste Rabatte an.


Eurowings als kompliziertes Konstrukt

Die Lufthansa hat in Sachen Billigflug gleich mehrfach schmerzhafte Lehrstunden durchlebt. „Wir haben die Entwicklung maßlos unterschätzt“, räumt Garnadt nach anderthalb Jahrzehnten Billigflug-Ära ein – und hofft, diesmal nicht zu spät dran zu sein.

Während das Europa-Angebot nahtlos an die zuvor schon erfolgreiche Germanwings-Phase anknüpfen konnte, holperte es im bislang noch kleinen Langstrecken-Angebot anfangs mächtig. Tagelange Verspätungen der Mini-Flotte sorgten für miese Presse und saure Passagiere, so dass Garnadt Schub rausnehmen musste. Einige Fernziele wie Boston und Teheran wurden kurzfristig wieder gestrichen, ein stabiler Flugplan steht jetzt im Vordergrund.

Der Lufthansa-Konzern hat zum Betrieb der nicht einmal 100 Eurowings-Jets ein kompliziertes Konstrukt aufgebaut. Schon heute fliegen unter dem Flügelsymbol nicht weniger als fünf verschiedene Fluggesellschaften mit der alten Germanwings als Kern. Neue Flugzeuge werden bei Eurowings Europe in Wien in den Dienst gestellt, wo Crews zu weit günstigeren Bedingungen eingestellt werden können als hierzulande. Das sorgt zuhause für Zoff mit der mächtigen Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit.

In dem Modulsystem sollen künftig weitere Gesellschaften dazukommen können - gern auch konzernfremde, die sich allein nicht mehr halten können. Das wirtschaftliche Risiko will Lufthansa nur zu kleinen Teilen tragen, aber gleichzeitig Nutznießer der anstehenden Marktkonsolidierung sein.

Nahezu wöchentlich werden neue „Wings“-Kandidaten gehandelt – von der skandinavischen SAS über die polnische Lot, den Ferienflieger Condor oder die Europajets der Air Berlin. Am wahrscheinlichsten ist aber zunächst die Komplettübernahme der bisherigen Minderheitsbeteiligung Brussels Airlines, die im Oktober spruchreif sein könnte.

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