Machtkampf zwischen Unilever und Tesco Die britische Marmite-Krise

In Großbritannien ist ein Machtkampf zwischen Tesco und Unilever ausgebrochen. Die Supermarktkette akzeptiert höhere Preise des Lebensmittelkonzerns nicht. Dahinter steckt ein von vielen Briten unterschätztes Problem.

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Für viele Briten ein Heiligtum. Doch die Regale mit Unilever-Podukten leeren sich bei Tesco langsam. Quelle: Reuters

Ldonon Für viele Briten ist es eine entsetzliche Nachricht: Ihre geliebte Marmite-Paste ist alle. Die zähe, wahrhaft einzigartig schmeckende Paste ist für viele auf der Insel eine Art Nationalheiligtum. Doch Tesco, die größte Supermarktkette des Landes, hat den Artikel derzeit nicht mehr im Online-Sortiment. „Eine Krise“, stöhnen Briten auf Twitter, die „Financial Times“ spricht von einem „Marmite-Krieg“.

Marmite ist nicht das einzige Produkt, das derzeit nicht bei Tesco erhältlich ist: Zahlreiche Unilever-Produkte sind im Online-Shop „derzeit nicht auf Lager“, wie es heißt. Und auch in den Läden sind viele Regalfächer leer. Der Supermarktriese liefert sich mit dem Lebensmittelgiganten einen heftigen Machtkampf. Bei der „Marmite-Krise“ geht es um sehr viel mehr als um Paste.

Unilever habe von Tesco einen zehnprozentigen Preisaufschlag verlangt, berichten lokale Medien, und dabei auf den starken Rückgang des britischen Pfunds verwiesen. Seitdem die Briten am 23. Juni für einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) gestimmt haben, hat das Pfund Sterling deutlich an Wert verloren. Vergangene Woche ging es weiter abwärts, nachdem die britische Regierung signalisierte, in den bevorstehenden Austrittsverhandlungen mit der EU bei wichtigen Themen keine Kompromisse zu machen. Insgesamt ist das Pfund seit dem Brexit-Referendum gegenüber dem Dollar um 18 Prozent gefallen.

Deswegen hat Unilever die Preise anheben wollen und Tesco reagierte postwendend: Die Produkte des britisch-niederländischen Giganten flogen aus den (virtuellen) Tesco-Regalen: Nicht nur Marmite, sondern auch Produkte wie Hellmann´s Mayonnaise, der in Großbritannien beliebte PGTips-Tee oder Knorr-Tütensuppen.

Offiziell verwies Tesco auf „Probleme mit der Verfügbarkeit”. Man hoffe, dass die Lieferschwierigkeiten rasch ausgeräumt würden, sagte eine Sprecherin. „Für die meisten Kunden“ habe man die Preise erhöht, erklärte Unilever-Finanzchef Graeme Pitkethly in Reaktion auf den Streit in einem Analystengespräch. In dem speziellen Fall, sagte er, ohne konkret Tesco zu nennen, sei er „zuversichtlich, dass die Situation schnell gelöst werden kann“.

Die Briten bestellen viel über das Internet und lassen sich auch Lebensmittel gerne liefern. Nur in Südkorea und Japan ist das Online-Einkaufen von Lebensmitteln noch populärer als auf der Insel, wie die Marktforschung Kantar kürzlich mitteilte. Wird ein Produkt aus dem Online-Sortiment genommen, kann das schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.


Auch andere Produkte könnten deutlich teurer werden

An der Börse beobachtet man den Streit mit Nervosität. Die Aktien sowohl von Tesco als auch von Unilever notierten am Donnerstag im Minus, ebenso die der anderen Supermarktketten wie Sainsbury´s und Morrisons. Der Streit zwischen Tesco und Unilever „zeigt, dass der Druck auf die Welt der Verbraucher nach dem Brexit-Votum zunimmt“, schreibt Analyst Ken Odeluga von City Index – und der Druck werde nicht weniger werden. „Das fallende Pfund macht sich nun in Großbritannien bemerkbar“, zitiert „The Guardian“ den Analysten Neil Wilson von ETX Capital. „Ein niedrigerer Kurs wird unweigerlich dazu führen, dass die Preise für die Verbraucher steigen oder die Margen der Lieferanten und Einzelhändler sinken – oder eine Kombination aus all diesen Faktoren“.

Erst vor wenigen Tagen hatte auch der britische Einzelhandelsverband BRC vor steigenden Preisen im Zuge des EU-Ausstiegs gewarnt: Fleisch könnte bis zu 27 Prozent teurer werden, importierte Kleidung und Schuhe um bis zu 16 Prozent.

Dazu kommt, dass sich die britischen Supermarktketten – mit Tesco als Marktführer – bereits seit Jahren einen harten Kampf um den Kunden liefern und dabei an ihre Grenzen gehen. Eine Entwicklung, die Analysten schon seit langem mit Sorge betrachten. Der Preiskampf sei „eine große Herausforderung“ für die britischen Lebensmittelketten, warnten die Analysten von Moody´s in einer aktuellen Studie zur Branche. Vor allem Aldi und Lidl machen den heimischen Platzhirschen wie Tesco, Sainsbury´s oder Asda das Leben schwer.

Tesco-Chef Dave Lewis sah sich deswegen bei Amtsantritt vor zwei Jahren gezwungen, den Konzern einer Radikalkur zu unterziehen. Unprofitable Geschäfte wurden geschlossen, Kosten gesenkt und Geschäfte wie die Supermärkte in Südkorea verkauft. Vor ein paar Tagen hatte Tesco die aktuellen Zahlen publiziert.

Unter dem Strich fiel im ersten Halbjahr immer noch ein Verlust an – aber ein wesentlich geringerer als noch vor einem Jahr. Lewis hat damit seinem Spitznamen bislang alle Ehre erwiesen: „Drastic Dave“ – der drastische Dave – wurde er bei seinem früheren Arbeitgeber genannt – und das war pikanterweise Unilever.

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