Mary's Place Warum ein Obdachlosenheim ins Amazon-Hauptquartier zieht

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Jeff Bezos unter Druck

Schoettlers Chef Bezos war nicht nur von Hartmans Einfallsreichtum beeindruckt, sondern auch bei der Sorgfalt beim Umsetzen der Idee. So penibel wie Amazon den Bau neuer Logistikzentren plant, hat „Mary’s Place“ einen ganzen Prozess zum Einrichten und Bezug der vorübergehenden Unterkünfte entwickelt: Werbung von Unterstützung in der Nachbarschaft, das Einbinden von anderen Wohltätigkeitsorganisationen etwa für Weiterbildung oder Gesundheitsdienste bis hin zum Transport der Bewohner an den Arbeitsplatz und Schulen. Ihr Ziel ist es, „unseren Gästen“ – wie sie die Bewohner nennt – so schnell wie möglich neue Wohnungen zu vermitteln. Im Schnitt bleiben sie 86 Tage.

„Mary’s Place“ braucht etwa eine halbe Million Dollar, um eine Unterkunft einzurichten und anderthalb Millionen um sie für 18 Monate zu betreiben. Inbegriffen ist neben Küche und Kleiderkammer auch ein Computerzimmer für Jugendliche sowie eine Krankenstation. Das Budget dafür kommt aus Spenden sowie kostenlosen Dienstleistungen.

Es sind solche Ideen, die es Bezos angetan haben. Er steht derzeit unter Druck, sich freigiebiger zu zeigen. Dank des Höhenflugs der Amazon-Aktie hat er vor kurzem Microsoft-Gründer Bill Gates als reichsten Menschen der Welt überflügelt.

Trotzdem sind zwischen dem Schöpfer von Amazon und dem von Microsoft Welten: Gates, wie Bezos ebenfalls in Seattle wohnhaft, hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren als globaler Wohltäter neu erfunden und über „Giving Pledge“ Initiative 170 Superreiche aus 21 Ländern dazu gebracht, das Gros ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke zu spenden. Bezos gehört bislang nicht zum illustren Klub, hat sich mit Spenden zurückgehalten und dafür auch schon Kritik eingesteckt.

Die Lebensgeschichte von Amazon-Gründer Jeff Bezos

Im Frühjahr 2017 wandte sich der Amazon-Chef über die Twitter an die Öffentlichkeit. Er sei, twitterte Bezos, für sein langfristiges Denken bekannt. Aber bei der Philanthropie wolle er nun das Gegenteil versuchen – „Menschen sofort und unmittelbar helfen, kurzfristig also“. Im Vorbild von „Mary’s Place“, das ihn „sehr inspiriert und berührt“ habe.

Rex Hohlbein etwa, ein Architekt aus Seattle, hat zehn Quadratmeter große Blockhäuser entworfen, die in die Gärten von Einfamilienhäusern gestellt werden können. Doch an langfristigen Lösungen wie bezahlbaren Wohnraum mangelt es. Die Idee, die Grundsteuern zu erhöhen, um mehr Gelder für sozialen Wohnungsbau einzutreiben, wurde wegen zu geringer Unterstützung vorerst zurückgezogen.

Hartman lässt sich nicht entmutigen. Sie denkt in Etappen. Ihr Zwischenziel ist, dass keine Familie mehr im Freien schlafen muss, gefolgt von Unterkünften für alle. „Wenn noch mehr Unternehmen mitmachen, schaffen wir das“, sagt sie.

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