Metro in der Ukraine „In umkämpften Gebieten zahlen wir den doppelten Lohn“

Metro konnte aufgrund der russischen Angriffe auf die Ukraine die Großhandelsmärkte in mehreren Städten, darunter auch den Markt in Mariupol, der oben zu sehen ist, nicht weiterbetreiben. Quelle: imago images

Trotz des Kriegs hält der Handelskonzern Metro an seinen Großhandelsmärkten in der Ukraine fest. Die ukrainische Metro-CEO Olena Vdovychenko erklärt, wie sie Lieferketten aufrechterhält, was bei Raketenangriffen zu tun ist und wie sie damit umgeht, dass Metro am russischen Markt festhält.

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WirtschaftsWoche: Frau Vdovychenko, Sie befinden sich in Lwiw, einer Stadt im Westen der Ukraine. Wie ist die Lage vor Ort?
Olena Vdovychenko: Gestern [Anm. das Interview wurde am 19. April geführt] gab es fünf Raketenangriffe auf Lwiw. Die Russen haben Bahn-Infrastruktur, Militärobjekte und eine Pflegestation angegriffen. Es gab sieben Tote, darunter ein Kind. Der Angriff kam für uns unerwartet, weil Lwiw als relativ sichere Stadt in der Ukraine gilt.

Verfolgen Sie hier die aktuellen Entwicklungen rund um den Krieg in der Ukraine.

Wie reagieren Sie, wenn es Luftalarm gibt? Gibt es einen Bunker in der Nähe Ihres Büros?
Normalerweise arbeite ich in Kiew. Aus Sicherheitsgründen arbeitet unser Team nun von Lwiw aus. Ich bin in einem Hotel mit einer Bunkeranlage. Sobald Luftalarm ertönt, können wir in diesen Bunker fliehen. Die Zeit während des Luftalarms ist ein Alptraum. Ich weiß nie, ob nach solchen Raketenangriffen noch alle unsere Teammitglieder am Leben sind. Diese Minuten während des Luftalarms sind die beängstigendste Zeit, die ich je in meinem Leben durchgemacht habe.

Es ist schwer, angesichts dieser fürchterlichen Lage und der Bedrohung von Menschenleben über wirtschaftliche Aspekte zu sprechen. Dennoch führen Sie auch nach dem Angriff von Russland auf die Ukraine die Geschäfte von Metro in der Ukraine fort. Wie viele seiner Großhandelsmärkte kann Metro aktuell offenhalten?
Vor dem Krieg hatte Metro Ukraine 26 operative Großhandelsmärkte. Fünf davon mussten wir schließen. So konnten wir die Märkte in den besonders umkämpften Städten Mariupol, Charkiw, Mykolaev und Chernihiv nicht weiterbetreiben. Die Geschäfte wurden teils von Raketen beschädigt. In Mariupol ist die Lage besonders dramatisch. Telefone und Internet sind dort nicht mehr funktionstüchtig. Zu acht unserer Angestellten haben wir jeglichen Kontakt verloren. Wir wissen derzeit nicht, ob sie noch am Leben sind und ob sie es geschafft haben, aus Mariupol zu fliehen.

Wie ist es überhaupt möglich, die Lieferketten für die Metro-Märkte in der Ukraine aufrecht zu erhalten?
Die Lieferketten sind im Moment tatsächlich eine immense Herausforderung. Zum ersten sind viele Fabriken und Lagerhäuser zerstört worden oder befinden sich in besetzten Gebieten, zu denen wir keinen Zugang mehr haben. Zu Beginn des Krieges waren die Zustände katastrophal, da alle um die letzten Waren in den Lagerhäusern konkurrierten. Aber viele unserer Zulieferer haben ihre Warenströme geändert und importieren nun etwa Produkte aus Polen und Rumänien. Somit erholen sich die Lieferketten langsam wieder. Ein großes Problem stellt allerdings die zerstörte Infrastruktur dar, die den Transport der Waren erschwert. So sind etwa zahlreiche Straßen zerstört oder beschädigt. Zudem wurden viele unserer Lkw-Fahrer von der ukrainischen Armee eingezogen oder haben sich freiwillig gemeldet. Es ist also extrem herausfordernd, den Nachschub an Produkten sicherzustellen. Aber nichts ist unmöglich.

Welche Produkte gibt es derzeit in den ukrainischen Metro-Märkten? Und welche Produkte können Sie wegen des Kriegs nicht mehr anbieten?
Wir haben das Sortiment seit Kriegsbeginn drastisch umgestellt. Wir bieten derzeit ein reduziertes Sortiment an, das an den Kriegsbedingungen ausgerichtet ist. Die Grundnahrungsmittel können wir aktuell abdecken. So verfügen wir derzeit über genügend Mehl, Zucker, Öl und Dosen mit Fleisch und Fisch. Zu Beginn des Kriegs gab es auch bei diesen Grundnahrungsmitteln eine mangelnde Verfügbarkeit. Zumindest bei diesen Produkten haben wir das aktuell gut im Griff und können das Angebot an Grundnahrungsmitteln zu 90 bis 95 Prozent aufrechterhalten.

Wie sehr hat sich Ihre Arbeit seit dem Krieg verändert? Wo liegen nun die Schwerpunkte Ihres Managements?
Vor dem Krieg haben wir uns stark mit Umsatz- und Profitabilitätsziele beschäftigt. Seit der Krieg begonnen hat, kümmern wir uns in der ersten Morgenkonferenz um 6 Uhr zuerst um die Frage, ob alle unsere Mitarbeiter noch am Leben sind. Im Fokus stehen nun das Tagesgeschäft und die Frage, wie wir die Sicherheit und das Überleben unserer Mitarbeiter gewährleisten können. Zudem konzentrieren wir uns darauf, was wir gegen die humanitäre Krise in der Ukraine unternehmen können. Metro spendet in großem Umfang für Zivilisten und die Armee. So hat Metro etwa 84 Tonnen an Grundnahrungslebensmitteln, 28 Tonnen Fleisch und Fisch und 14 Tonnen an Hygieneprodukten gespendet. Möglich wurde diese Hilfe durch die Spenden von Metro-Märkten rund um den Globus.

Welche Möglichkeiten hat Metro, um die Sicherheit seiner Mitarbeiter zu erhöhen?
Wir haben zu jedem Standort detaillierte Karten, wo sich der nächstgelegene Luftschutzbunker befindet und sagen den Mitarbeitern, wie sie am schnellsten dorthin kommen. In Kiew sind die nächstgelegenen Bunker meist die U-Bahn-Stationen. An anderen Standorten sind es oft Fabriken in der Nähe, die über Luftschutzkeller aus dem Kalten Krieg verfügen. Wir zwingen unsere Mitarbeiter nicht, angesichts der bedrohlichen Lage, in den Geschäften zu arbeiten. Metro zahlt die Löhne unabhängig davon, ob die Mitarbeiter zur Arbeit erscheinen oder nicht. In umkämpften Gebieten, in denen wir unsere Geschäfte noch anbieten können, zahlen wir unseren Mitarbeitern den doppelten Lohn.

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Ich kann die Überlegungen der Metro-Zentrale nachvollziehen. Mein persönlicher Standpunkt und der meines Teams ist allerdings ein anderer.

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