
Der Streitwert: Knapp sieben Millionen Euro. Die Gegner: Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff und Unternehmensberater Roland Berger. Der Gerichtstermin: Auf unbestimmte Zeit verschoben.
Schon der eigentliche Fall ist brisant: Rund 6,97 Millionen Euro fordert Berger von seinem einstigen Geschäftspartner Middelhoff. Dieses Geld will er 2008 im Rahmen eines Geschäfts der gemeinsam gegründeten Investment-Firma BLM vorgestreckt haben. Middelhoff behauptet, die notariell bereits anerkannte Forderung bestehe nicht. Und konterte gleichzeitig mit einer Gegenklage in Höhe von 6,86 Millionen Euro – „zur Aufrechnung“, wie es in einer Mitteilung des zuständigen Landgerichts Bielefeld heißt.
Am kommenden Donnerstag sollte es zum nächsten Showdown zwischen den beiden Parteien kommen. Nebst zwei Zeugen waren sie vor das Landgericht Bielefeld geladen worden. Doch jetzt ist der Termin geplatzt - aus einem pikanten Grund.
„Der Klägervertreter [Middelhoffs Anwalt] hat den Terminsaufhebungsantrag mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers begründet“, erklärte der Sprecher des Landgerichts gegenüber der „WirtschaftsWoche“. Ob und wann ein neuer Termin anberaumt wird, stehe noch nicht fest.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Die Pleite des Arcandor-Konzerns (Karstadt, Quelle, Thomas Cook) im Jahr 2009 war einer der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche der Nachkriegszeit. Thomas Middelhoff leitete das Unternehmen bis wenige Monate vor dessen Ende. Im Essener Prozess ging es aber nicht um die Pleite selbst, sondern „nur“ um den Verdacht, dass der Manager Arcandor Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu Unrecht in Rechnung gestellt haben soll - vor allem für teure Flüge in Privatjets. Middelhoff weist diese Vorwürfe entschieden zurück.
Auslöser für die umfangreiche Nutzung von Privatjets war Middelhoff zufolge eine Bombendrohung gegen ein Linienflugzeug, in dem er gesessen hatte. Danach sei er aus Sicherheitsgründen auf Charterjets umgestiegen. Insgesamt nutzte Middelhoff in seiner Zeit bei Arcandor nach eigenen Angaben 610 Mal Privatjets. Er selbst habe 210 Flüge bezahlt, die übrigen 400 seien Arcandor in Rechnung gestellt worden. Im Prozess geht es allerdings nur um 48 dieser Flüge, bei denen die Staatsanwaltschaft die dienstliche Veranlassung bezweifelt. Deren Gesamtkosten beziffert die Anklage auf 945 000 Euro.
Thomas Middelhoffs sonst eher öffentlichkeitsscheue Ehefrau Cornelie erinnerte sich als Zeugin im Essener Prozess vor allem an die hohe Arbeitsbelastung ihres Mannes in der Arcandor-Zeit: „Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“
Dauerstau auf dem Weg zur Arbeit ist für viele Pendler ein Ärgernis - nicht aber für Middelhoff. Als eine Baustelle am Kamener Kreuz die Fahrt zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und der Konzernzentrale in Essen zur stundenlangen Quälerei machte, stieg er auf Hubschrauber um. Die Rechnung ging an Arcandor. Zu Recht, findet Middelhoff: Er habe so nämlich effizienter arbeiten können. Zu Unrecht, findet die Anklage: Die Kosten für den Arbeitsweg seien Sache des Arbeitnehmers.
Ein weiterer Vorwurf der Anklage: 180 000 Euro habe Arcandor auf Veranlassung Middelhoffs für eine Festschrift zu Ehren des ehemaligen Bertelsmann-Chefs Mark Wössner spendiert. Für die Staatsanwaltschaft ist das Buch ein „persönliches Geschenk“ Middelhoffs an seinen früheren Mentor. Der Manager hätte demnach für das teure Präsent selbst zahlen müssen. Nach Middelhoffs Worten diente die Festschrift dagegen der Verbesserung des Arcandor-Images und der Netzwerkpflege.
Für Middelhoff wurden nach eigener Aussage vor allem die Besuche der Gerichtsvollzieher im Gerichtssaal zur Belastung. Sie nutzten die Gelegenheit, um den im südfranzösischen Saint-Tropez lebenden Manager mit Millionenforderungen seiner Gläubiger zu konfrontieren. In einem Fall pfändete ein Gerichtsvollzieher sogar eine wertvolle Armbanduhr. Die Pfändungsversuche seien demütigend, sagte Middelhoff selbst am Rande des Verfahrens: „Das ist wie ein apokalyptischer Traum.“
Zeitweise wurde das Verfahren in Essen von einem drohenden Haftbefehl gegen Middelhoff überschattet. Eine Gerichtsvollzieherin hatte diesen laut einem „Spiegel“-Bericht beantragt, um den Manager im Zusammenhang mit Zahlungsforderungen des Arcandor-Insolvenzverwalters zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse zu zwingen. Das Thema erledigte sich nach Angaben der Middelhoff-Anwälte aber von selbst, als dessen Managerversicherung eine Haftungsgarantie für 3,4 Millionen Euro übernahm.
Der Hintergrund: In der vergangenen Woche berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", das Finanzamt Bielefeld-Außenstadt habe einen Insolvenzantrag gegen den Ex-Vorstandschef von Bertelsmann und Arcandor gestellt.
Am Dienstag teilte Middelhoffs Anwalt mit, der frühere Topmanager habe beim Amtsgericht Bielefeld selbst einen Insolvenzantrag über sein Vermögen gestellt. Der Antrag sei am Dienstag eingegangen, erklärte eine Gerichtssprecherin. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter sei der Rechtsanwalt Thorsten Fuest aus Bielefeld bestellt worden.
Middelhoff sei "zurzeit nicht in der Lage, eine fällige Einkommensteuerforderung der Finanzverwaltung zu erfüllen", heißt es in einer Mitteilung seines Rechtsanwalts. "Über eine Klage gegen diese Forderung ist in der Hauptsache bisher durch das zuständige Finanzgericht noch nicht entschieden, eine Aussetzung der Vollziehung jedoch abgewiesen worden."
Gleich mehrere Gläubiger erheben Millionenforderungen gegen den früheren Manager. Darunter Middelhoffs einstiger Vermögensberater Josef Esch und die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. In Summe soll ein hoher zweistelliger Millionenbetrag ausstehen.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Für Schlagzeilen sorgte Middelhoff, als er im Juli nach einem Besuch beim Gerichtsvollzieher über ein Garagendach vor den wartenden Journalisten flüchtete. Middelhoff selbst schien stolz auf die Aktion: „Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße“, berichtete der 61-Jährige danach. Der Manager hatte beim Gerichtsvollzieher seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.
Trotz des Ärgers mit diversen Gläubigern fuhr Middelhoff an den Verhandlungstagen standesgemäß mit einer Limousine und eigenem Fahrer vor. Allerdings musste er sich nach dem Aussteigen mit allen anderen Anwesenden in die Warteschlange an der Sicherheitsschleuse einreihen.
Beim Mittagessen zeigte sich Middelhoff an den Prozesstagen bodenständig: Er nahm es in der Regel in der Gerichtskantine ein.
Der Untreue-Prozess gegen Thomas Middelhoff begann gleich mit einer Panne. Wegen eines Formfehlers des Gerichts am ersten Tag musste das Verfahren am zweiten Tag noch einmal von vorn beginnen. Sowohl die mehr als einstündige Verlesung der Anklage als auch die weit umfangreichere persönliche Erklärung Middelhoffs mussten wiederholt werden. Middelhoff zeigte sich verärgert über die Zeitvergeudung.
Die Empfehlung, nach der Bombendrohung gegen einen Linienflieger aus Sicherheitsgründen nur noch Charterjets zu nutzen, soll nach den Worten Middelhoffs von der Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz gekommen sein. Sie habe sogar zugesagt, bei Privatflügen die Mehrkosten zu übernehmen, berichtete der Manager. Schickedanz selbst bestritt allerdings als Zeugin eine derartige Zusage vehement.
Die Verteidigung Middelhoffs hat einen Freispruch für den Angeklagten gefordert. Dagegen verlangte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen schwerer Untreue - Middelhoff habe den früheren Karstadt-Quelle-Konzern „nach Gutdünken“ mit Kosten seiner zahlreichen externen Nebentätigkeiten belastet.
Eine bei Middelhoff bei einer Taschenpfändung im Essener Landgericht gepfändete Armbanduhr der Nobelmarke Piaget wurde von der Gerichtsvollzieherin nach Zwangsvollstreckungsrecht im Internet versteigert. Der prominente Vorbesitzer ließ die Uhr für die Bieter offensichtlich attraktiv erscheinen: Obwohl ihr Wert in einem Gutachten lediglich auf 2800 Euro geschätzt wurde, erzielte sie bei der Online-Auktion am Ende einen Preis von 10 350,99 Euro.
Middelhoff bleibt im Gefängnis
Thomas Middelhoff sitzt seit dem 14. November 2014 wegen Untreue und Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft. Das Landgericht Essen hat ihn wegen vermeintlicher Privatflüge auf Kosten von Arcandor zu drei Jahren Haft verurteilt.
Im Gefängnis wird Middelhoff vorerst auch bleiben müssen. Trotz eines Kautionsangebots von rund 900.000 Euro hatte das Oberlandesgericht Hamm eine Haftbeschwerde Mitte März abgelehnt. Es bestehe weiter Fluchtgefahr, weil er noch mit rund 20 Monaten Freiheitsstrafe rechnen müsse. Gegen das Untreue-Urteil des Landgerichts Essen mitsamt der dreijährigen Haftstrafe haben Middelhoffs Anwälte beim Bundesgerichtshof Revision eingelegt.