
Das Ende einer glanzvollen Managerkarriere kam in schmucklosem Juristendeutsch daher. „Die XV. Strafkammer des Landgerichts Essen hat heute Herrn Dr. Thomas Middelhoff wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt“, teilte das Landgericht Essen am Freitag mit, „der Vorsitzende hat außerdem in der Sitzung einen Haftbefehl gegen Herrn Dr. Middelhoff verkündet.“ Für einen erfolgsverwöhnten Manager sind solche Mitteilungen Sätze wie Prügel, auch wenn Middelhoffs Verteidiger umgehend Revision ankündigten.
Das Strafmaß wird seither mit Verve diskutiert. Von der Öffentlichkeit wird das Urteil vielfach mit Genugtuung aufgenommen, viele Anwälte haben sich dagegen bislang kritisch geäußert. Die Strafe sei verglichen mit anderen Urteilen unverhältnismäßig hart.
Uli Hoeneß etwa habe für Steuerhinterziehung in Höhe von fast 30 Millionen Euro dreieinhalb Jahre Haft bekommen, Middelhoff für vergleichsweise gering erscheinende 500.000 Euro, die er veruntreut haben soll, mit drei Jahren fast genauso viel.
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Gero von Pelchrzim, 39, war Chief Compliance Officer der Baumarktkette Praktiker AG und berät heute als selbstständiger Rechtsanwalt in Frankfurt im Wirtschaftsstrafrecht, Steuerstrafrecht und zu Compliance-Fragen. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlands.
Versuchte Selbstanzeige bei Hoeneß
Doch jeder strafrechtliche Fall ist anders, Vergleiche sind nicht sinnvoll. Hoeneß hatte versucht, sich selbst anzuzeigen – was korrekt ausgeführt komplett strafbefreiend gewesen wäre – und scheiterte dabei. Er zeigte sich geständig, kooperativ und reuig, was das Gericht ausdrücklich zu seinen Gunsten anerkannte.
Middelhoff scheiterte bei Karstadt/Arcandor nicht bloß wirtschaftlich – was ihm vielmehr zum Verhängnis wurde war stattdessen, dass er nach Auffassung des Landgerichts Essen Unternehmensvermögen zweckentfremdet hat. Fehler stritt er bis zuletzt ab.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Die Pleite des Arcandor-Konzerns (Karstadt, Quelle, Thomas Cook) im Jahr 2009 war einer der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche der Nachkriegszeit. Thomas Middelhoff leitete das Unternehmen bis wenige Monate vor dessen Ende. Im Essener Prozess ging es aber nicht um die Pleite selbst, sondern „nur“ um den Verdacht, dass der Manager Arcandor Kosten in Höhe von 1,1 Millionen Euro zu Unrecht in Rechnung gestellt haben soll - vor allem für teure Flüge in Privatjets. Middelhoff weist diese Vorwürfe entschieden zurück.
Auslöser für die umfangreiche Nutzung von Privatjets war Middelhoff zufolge eine Bombendrohung gegen ein Linienflugzeug, in dem er gesessen hatte. Danach sei er aus Sicherheitsgründen auf Charterjets umgestiegen. Insgesamt nutzte Middelhoff in seiner Zeit bei Arcandor nach eigenen Angaben 610 Mal Privatjets. Er selbst habe 210 Flüge bezahlt, die übrigen 400 seien Arcandor in Rechnung gestellt worden. Im Prozess geht es allerdings nur um 48 dieser Flüge, bei denen die Staatsanwaltschaft die dienstliche Veranlassung bezweifelt. Deren Gesamtkosten beziffert die Anklage auf 945 000 Euro.
Thomas Middelhoffs sonst eher öffentlichkeitsscheue Ehefrau Cornelie erinnerte sich als Zeugin im Essener Prozess vor allem an die hohe Arbeitsbelastung ihres Mannes in der Arcandor-Zeit: „Er hat eigentlich immer gearbeitet, immer, immer.“
Dauerstau auf dem Weg zur Arbeit ist für viele Pendler ein Ärgernis - nicht aber für Middelhoff. Als eine Baustelle am Kamener Kreuz die Fahrt zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und der Konzernzentrale in Essen zur stundenlangen Quälerei machte, stieg er auf Hubschrauber um. Die Rechnung ging an Arcandor. Zu Recht, findet Middelhoff: Er habe so nämlich effizienter arbeiten können. Zu Unrecht, findet die Anklage: Die Kosten für den Arbeitsweg seien Sache des Arbeitnehmers.
Ein weiterer Vorwurf der Anklage: 180 000 Euro habe Arcandor auf Veranlassung Middelhoffs für eine Festschrift zu Ehren des ehemaligen Bertelsmann-Chefs Mark Wössner spendiert. Für die Staatsanwaltschaft ist das Buch ein „persönliches Geschenk“ Middelhoffs an seinen früheren Mentor. Der Manager hätte demnach für das teure Präsent selbst zahlen müssen. Nach Middelhoffs Worten diente die Festschrift dagegen der Verbesserung des Arcandor-Images und der Netzwerkpflege.
Für Middelhoff wurden nach eigener Aussage vor allem die Besuche der Gerichtsvollzieher im Gerichtssaal zur Belastung. Sie nutzten die Gelegenheit, um den im südfranzösischen Saint-Tropez lebenden Manager mit Millionenforderungen seiner Gläubiger zu konfrontieren. In einem Fall pfändete ein Gerichtsvollzieher sogar eine wertvolle Armbanduhr. Die Pfändungsversuche seien demütigend, sagte Middelhoff selbst am Rande des Verfahrens: „Das ist wie ein apokalyptischer Traum.“
Zeitweise wurde das Verfahren in Essen von einem drohenden Haftbefehl gegen Middelhoff überschattet. Eine Gerichtsvollzieherin hatte diesen laut einem „Spiegel“-Bericht beantragt, um den Manager im Zusammenhang mit Zahlungsforderungen des Arcandor-Insolvenzverwalters zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse zu zwingen. Das Thema erledigte sich nach Angaben der Middelhoff-Anwälte aber von selbst, als dessen Managerversicherung eine Haftungsgarantie für 3,4 Millionen Euro übernahm.
Auch wenn es „nur“ um mehrere Hunderttausend Euro ging: Die Freiheitsstrafe von drei Jahren ist damit nicht unangemessen hoch. Der Rahmen, nach dem sich die Strafe bei einer Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch bemessen soll, reicht grundsätzlich von Geldstrafe bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Das Landgericht sah allerdings im Fall Middelhoff einen besonders schweren Fall der Untreue. Ein solcher, besonders schwerer Fall wird vom Gesetzgeber schon ab einem Vermögensschaden von 50.000 Euro angenommen. Dann beträgt der Strafrahmen sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsstrafe.
Der Middelhoff-Prozess von A bis Z
Für Schlagzeilen sorgte Middelhoff, als er im Juli nach einem Besuch beim Gerichtsvollzieher über ein Garagendach vor den wartenden Journalisten flüchtete. Middelhoff selbst schien stolz auf die Aktion: „Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch einmal drei Meter auf die Straße“, berichtete der 61-Jährige danach. Der Manager hatte beim Gerichtsvollzieher seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.
Trotz des Ärgers mit diversen Gläubigern fuhr Middelhoff an den Verhandlungstagen standesgemäß mit einer Limousine und eigenem Fahrer vor. Allerdings musste er sich nach dem Aussteigen mit allen anderen Anwesenden in die Warteschlange an der Sicherheitsschleuse einreihen.
Beim Mittagessen zeigte sich Middelhoff an den Prozesstagen bodenständig: Er nahm es in der Regel in der Gerichtskantine ein.
Der Untreue-Prozess gegen Thomas Middelhoff begann gleich mit einer Panne. Wegen eines Formfehlers des Gerichts am ersten Tag musste das Verfahren am zweiten Tag noch einmal von vorn beginnen. Sowohl die mehr als einstündige Verlesung der Anklage als auch die weit umfangreichere persönliche Erklärung Middelhoffs mussten wiederholt werden. Middelhoff zeigte sich verärgert über die Zeitvergeudung.
Die Empfehlung, nach der Bombendrohung gegen einen Linienflieger aus Sicherheitsgründen nur noch Charterjets zu nutzen, soll nach den Worten Middelhoffs von der Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz gekommen sein. Sie habe sogar zugesagt, bei Privatflügen die Mehrkosten zu übernehmen, berichtete der Manager. Schickedanz selbst bestritt allerdings als Zeugin eine derartige Zusage vehement.
Die Verteidigung Middelhoffs hat einen Freispruch für den Angeklagten gefordert. Dagegen verlangte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen schwerer Untreue - Middelhoff habe den früheren Karstadt-Quelle-Konzern „nach Gutdünken“ mit Kosten seiner zahlreichen externen Nebentätigkeiten belastet.
Eine bei Middelhoff bei einer Taschenpfändung im Essener Landgericht gepfändete Armbanduhr der Nobelmarke Piaget wurde von der Gerichtsvollzieherin nach Zwangsvollstreckungsrecht im Internet versteigert. Der prominente Vorbesitzer ließ die Uhr für die Bieter offensichtlich attraktiv erscheinen: Obwohl ihr Wert in einem Gutachten lediglich auf 2800 Euro geschätzt wurde, erzielte sie bei der Online-Auktion am Ende einen Preis von 10 350,99 Euro.
Haftstrafe von drei Jahren für Middelhoff
Die Summe der Untreuehandlungen im Fall Middelhoff – darunter privat veranlasste Flüge, die dem Unternehmen in Rechnung gestellt wurden – haben nach Auffassung des Landgerichts einen Vermögensschaden in Höhe von rund 500.000 Euro herbeigeführt, was deutlich über der Schwelle zur schweren Untreue liegt. Auch die Umstände hat das Gericht zu beurteilen; wenn ein Angeklagter weder Reue noch Einsicht zeigt, kann das Gericht das strafschärfend werten.
Die Haftstrafe von drei Jahren mag für Middelhoff und seine Angehörigen hart sein, das Gericht hat damit allerdings nichts weiter getan als den Strafrahmen anzuwenden, den das Gesetz nun mal vorsieht. Ob das Gericht dabei alle Tatsachen und Umstände ausreichend gewürdigt hat, wird der Bundesgerichtshof in der Revision noch einmal überprüfen müssen.