Mieten, leihen, sammeln Auf diese neuen Märkte hat es Lidl abgesehen

Lidl: Diese neuen Märkte will der Discounter erobern Quelle: Presse

Lidl drängt in Geschäftsfelder, die nichts mehr mit dem eigentlichen Kerngeschäft, dem Verkauf von Lebensmitteln, zu tun haben. Was der Billigriese alles vorhat.

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Der Discountriese aus Neckarsulm feilt an allen Ecken und Enden an seinem Image. Mit Leihrädern, Carsharing, innerstädtischem Wohnungsbau und einem eigenen Müll-Entsorger versucht Lidl die Botschaft an den Mann und die Frau zu bringen, umweltbewusst und nachhaltig zu sein. Wer sich in der angesagten Shared Economy – also dem Teilen von Autos, Fahrrädern oder anderen Dingen – tummelt, wirkt sympathisch und modern.

Im Bike-Verleih ist Lidl seit dem Beginn des vergangenen Jahres aktiv, bisher jedoch nur in der Landeshauptstadt. Mit einem Pilotprojekt in 50 Läden in NRW – etwa in Duisburg, Mülheim, Köln und Bonn – sind die Blau-Gelben kürzlich ins Carsharing-Geschäft eingestiegen. Jeweils drei Fahrzeuge des Automobilherstellers Mazda stehen auf den Parkplätzen der Filialen, mit denen die Kunden ihre Einkäufe nach Hause bringen können. Die Autos sind über die Bahn-App Flinkster buchbar, müssen allerdings immer wieder zu den Lidl-Filialen zurückgebracht werden.

Insgesamt stehen auf den Lidl-Parkplätzen 150 Fahrzeuge für die Nutzung zur Verfügung. Angeboten werden verschiedene Mazda-Modelle vom CX-3 Crossover-SUV bis zum MX-5 Roadster. Die Fahrzeuge entsprechen dem neuesten Stand der Technik und sind mit besonders effizienten Benzinmotoren ausgestattet.

Ob das befristete Angebot ausgedehnt wird, steht noch nicht fest. „Innerhalb des einjährigen Projekts wollen wir Erfahrungen sammeln und danach bewerten, ob es weiter ausgerollt wird“, sagt der zuständige Lidl-Geschäftsleiter Wolf Tiedemann. „Wir wollen unseren Kunden alternative Mobilitätskonzepte näherbringen. Dabei nutzen wir unsere Möglichkeit, eine breite Zielgruppe zu erreichen.“ Mit verschiedenen Tests wolle man herausfinden, welche Angebote gut ankommen, um zukünftig die Mobilitätsformen anzubieten, die sinnvoll und nutzbar sind.
Mit der Deutschen Bahn als Kooperationspartner sammelt Lidl seit mehr als einem Jahr Erfahrung im Fahrrad-Leihgeschäft in Berlin. Dort hatte die Bahn eigentlich den Kampf im Mieträdermarkt verloren. Der Berliner Senat hatte der Bahn den Vertrag für Call a Bike gekündigt und einen neuen mit Nextbike geschlossen. Der DB-Konzern wollte sich nicht geschlagen geben. Und startete gemeinsam mit dem Sponsor Lidl ein eigenes Bike-Sharing-Angebot – ohne Fördermittel vom Land Berlin.

Lidl-Bike heißen die Leihräder, betrieben werden sie wie Call a Bike von der Bahn. Lidl steuert nur den Namen und eine finanzielle Unterstützung bei. Mit 3500 silber-quietschgrünen Rädern ist Lidl-Bike an den Start gegangen – mehr als doppelt so viele, wie Call a Bike zuvor auf die Piste brachte. Leihfahrräder mit Lidl-Logo wird es außerhalb Berlins aber vorerst nicht geben. Diese Kooperation mit der Bahn sei auf die Hauptstadt begrenzt. „Derzeit planen wir nicht, sie auszuweiten“, sagt Lidl-Manager Tiedemann.

Die Schwarz-Gruppe, zu deren Imperium unter anderem Lidl und Kaufland zählen, will auch sonst außerhalb des Kerngeschäfts mit Lebensmitteln und Nonfood-Artikeln neue Wege gehen. Eine der jüngeren Aktivitäten ist die Müllentsorgung. Vor wenigen Wochen schluckte Europas größter Handelskonzern den fünftgrößten deutschen Müll-Entsorger Tönsmeier mit Sitz in Porta Westfalica. Der Erwerb über die Tochter Green-Cycle soll rückwirkend zum 1. Januar erfolgen, und wurde am Dienstag von den Kartellbehörden freigegeben. „Wir verfolgen eine klare Wachstumsstrategie und möchten uns als Treiber der Kreislaufwirtschaft und mit nachhaltigen Innovationen am Markt etablieren“, sagte Dietmar Böhm, Geschäftsführer bei GreenCycle.

Lidl baut eigenen Personalstab für Müllentsorgung auf

Die Tönsmeier-Gruppe hat 2017 etwa 500 Millionen Euro umgesetzt und ist mit mehr als 3000 Mitarbeitern und 1100 Fahrzeugen europaweit aktiv. Das Unternehmen übernimmt allein in Deutschland in Kommunen in fünf Bundesländern die Abfallabfuhr.

Die Familie Tönsmeier hatte ihr Entsorgungsunternehmen seit Jahresbeginn zum Verkauf gestellt. Gesucht wurde ein finanzstarker Investor, der die mittel- und langfristige Wachstumsstrategie umsetzt und die Gruppe weiterentwickeln will. So stehen die Umsetzung des Verpackungsgesetzes, der Gewerbeabfallverordnung in Deutschland und die Einführung der Kreislaufwirtschaft in Polen an. Für die kommenden Jahre ergebe sich für Tönsmeier allein daraus ein Investitionsbedarf von über 150 Millionen Euro, hatte Aufsichtsratschef Jürgen Tönsmeier zur Investorensuche erklärt. Tönsmeier erklärte, er sei überzeugt, dass sich in der Schwarz-Gruppe gute Perspektiven für eine Weiterentwicklung des Unternehmens böten.

Gemeinsam könnten Kaufland, Lidl und Tönsmeier nun unter anderem dem Grünen Punkt — dem am weiten verbreiteten Mülltrennungssystem Deutschlands — Konkurrenz machen. Damit könnte der Handelskonzern die Kosten drücken und gleichzeitig die Vorbereitung für die Verschärfung des Verpackungsgesetzes zum Jahreswechsel treffen. Die Lizenzgebühren für die Verpackungsentsorgung, mit denen die Systeme etwa die Müllabfuhr bezahlen, belaufen sich laut Bericht auf annähernd eine Milliarde Euro pro Jahr. Diese Kosten werden wiederum auf den Verbraucher und somit auf die Ladenpreise umgelegt. Deshalb versuchen Konzerne und Discounter bei den Müllkosten so gut es geht daran zu sparen, um sich bei den Preisen den womöglich entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu ergattern.

Lidl soll deshalb sogar zeitweise darüber nachgedacht haben, die zum Verkauf stehende „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH (DSD)“ zu übernehmen. Prompt hatte Aldi als wichtigster DSD-Kunde damit gedroht, in diesem Fall alle Verträge mit dem Unternehmen zu kündigen. Und auch die weiteren Schritte von Lidl in den Entsorgungsmarkt dürften Aldi keineswegs gefallen.
Die Schwarz-Gruppe schlägt nun aber durch ihr eigenes System einen anderen Weg ein. Lidl und Kaufland bauen einen eigenen Personalstab für die Müllentsorgung auf. Nach Medienberichten wurde für diesen der langjährige Leiter für Rechtsfragen des Kölner Verpackungs- und Entsorgungsunternehmens Reclay-Gruppe, Mirko Rummler, gewonnen.

Vermutet wird nun, dass die Schwarz-Gruppe einen weiteren Entsorgungsanbieter übernehmen könnte, um sich die mühsamen Genehmigungsverfahren durch Instanzen bei Kommunen und Landkreisen zu ersparen. Einige Müll-Spezialisten stecken derzeit in der Krise und gelten als Übernahmekandidaten. An Ideen für neue Geschäftsmodelle mangelt es den Discountunternehmen jedenfalls nicht. Weil viele deutsche Großstädte eine Gemeinsamkeit haben – Wohnraummangel – treten Lidl und Aldi auf den Plan.

Vor wenigen Wochen kündigte Aldi Nord an, in Berlin insgesamt 2000 Wohneinheiten an mindestens 30 Standorten zu errichten. Im Fokus stehen dabei bestehende eingeschossige Märkte, die aufgestockt werden sollen. Bei Neubauten dagegen werden die Filialen von Beginn an im größeren Kontext gesehen. „Grundstücke einstöckig zu bebauen ist eigentlich Flächenverschwendung“, sagte daher auch Jörg Michalek, Geschäftsführer der Aldi Immobilienverwaltung, als er die ersten beiden Projekte in den Berliner Bezirken Lichtenberg und Neukölln präsentierte. Dort sind neben der Filiale selbst 200 Wohnungen geplant, von denen 30 Prozent als Sozialwohnungen ausgewiesen werden sollen. Mieter zahlen dort angeblich lediglich 6,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. Auch in den anderen Einheiten soll der Quadratmeterpreis nicht die zehn Euro-Grenze passieren – für eine Neubauwohnung in Berlin ein sehr fairer Preis. Für die kommenden Jahre hat man sich bei Aldi Nord 15 weitere Neubauten dieser Art auf die Agenda gesetzt. „Mit den ersten Leuchtturmprojekten wollen wir nur den Startschuss für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Stadt Berlin setzen“, so Michalek.

Wo Aldi ist, ist Lidl nicht weit. Die Neckarsulmer haben in Berlin zwei Filialen eröffnet, die Wohnen und Einkaufen verbinden. Dabei wurde ein Markt aufgestockt, ein anderer im Rahmen eines Neubauprojekts im Erdgeschoss integriert. Ein Aufzug verbindet die sechs Stockwerke mit einer Tiefgarage und gleichzeitig mit dem Lidl-Laden. In beiden Häusern können die Mieter also einkaufen gehen, ohne das Haus zu verlassen. „Wir prüfen generell jedes neue Lidl-Grundstück auf seine Eignung für eine Überbauung mit Wohnungen und planen, in den nächsten Jahren einige Lidl-Filialen mit Wohnbebauung in Berlin zu errichten,“ heißt es bei Lidl.

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