Milch und eine Reihe von Milchprodukten werden deutlich teurer. Die Discounter Aldi Nord und Aldi Süd hoben am Mittwoch die Preise für Frischmilch und H-Milch der untersten Preislage um mehr als 40 Prozent an. Die Preise stiegen bei den beiden Schwesterunternehmen in der Spitze um 19 Cent bei frischer Vollmilch, die jetzt 65 Cent je Liter kostet. Fettarme Frischmilch wurde um 18 auf 60 Cent je Liter angehoben, knapp 43 Prozent mehr. Fettarme H-Milch verteuerte sich ebenfalls von 42 auf 60 Cent. Damit fiel der Anstieg bei Milch stärker aus als im Vorfeld erwartet.
Aldi Nord und Aldi Süd hoben nach eigenen Angaben beispielsweise auch die Preise für Speisequark (Magerstufe, 500 Gramm) von 55 auf 79 Cent und die Schlagsahne (200 Gramm) von 30 Cent auf 45 Cent an. Aldi Süd begründete die kräftigen Preisanhebungen mit der Marktentwicklung.
Der Milchindustrie-Verband sieht verschiedene Gründe, warum die Preise jetzt deutlich steigen. Die Milchmenge in Europa sei saisonal bedingt niedriger, auch auf dem Weltmarkt sei das Aufkommen gesunken, zählte ein Sprecher auf. Hinzu sei der Aufkauf von Magermilchpulver durch die EU gekommen. Dem stünden stabile Absätze von Milchprodukten bei Verbrauchern und Industrie gegenüber. Mit den sich abzeichnenden Preiserhöhungen im deutschen Einzelhandel werde jetzt nur wieder das Niveau erreicht, das vor den umfangreichen Preissenkungen bestanden habe. „Über einen langen Zeitraum sind die Preise auf ein sehr niedriges Preisniveau gesunken“, verdeutlichte der Sprecher. Käse und Butter waren in den vergangenen Monaten bereits teurer geworden.
Der komplizierte Milchmarkt
Die Produktion in den führenden Milcherzeugerländern ist weltweit überproportional gewachsen. Der Hauptgrund dafür sind die hohen Preise der Vergangenheit.
Bei mehr als 40 Cent pro Liter, die die Bauern zwischenzeitlich einheimsten, war die Milchproduktion ein durchaus profitables Geschäft. Also haben sie Kühe gekauft, um mehr zu produzieren und mehr Geld zu verdienen. Aus Sicht jedes einzelnen Bauern ein logisches Verhalten. Wenn aber sehr viel Bauern so handeln, gibt es irgendwann insgesamt zu viel Milch auf dem Markt - und wenn sich die Nachfrage nicht im gleichen Maß erhöht, sinkt der Preis wieder. Für die sinkende Nachfrage gibt es ebenfalls benennbare Gründe.
Zum einen sorgen das Russland-Embargo für einen Rückgang im Milchexport. Zum anderen sorgt die dauerhaft geringe Milchpulver-Nachfrage Chinas, als größtem Abnehmer der deutschen Milch, für Überkapazitäten am Markt. Zusätzlich sinkt die Kaufkraft der Erdöl exportierenden Staaten, die ein Drittel der weltweit gehandelten Milchprodukte importieren, aufgrund des gefallenen Ölpreises.
Die Milchquote wurde 1984 von der damaligen Europäischen Gemeinschaft eingeführt, um die Milchproduktion in den Mitgliedsstaaten zu beschränken. Sie war eine Reaktion auf die steigende Agrarproduktion, die bereits Ende der 1970er-Jahre zu den sprichwörtlichen Milchseen und Butterbergen geführt hatte. Die Überschüsse wurden teuer vom Markt gekauft. Ursprünglich nur für fünf Jahre geplant, wurde die Quote immer und immer wieder verlängert. Wer mehr Milch als vereinbart produzierte, musste eine sogenannte Superabgabe zahlen. Bis zum April 2015. Ab jetzt durften die Erzeuger soviel Milch produzieren wie sie wollen und können. Die Quote wird vor allem wegen anhaltender Erfolgslosigkeit abgeschafft. Butterberge und Milchseen wurden zwar kleiner. Die Preise schwankten allerdings trotzdem.
In den 50er Jahren war schon ein großer Milchbauer, wer zehn Kühe besaß. Um zu existieren, müsste ein Betrieb in dieser Größe heute Milchpreise von mehreren Euro pro Liter verlangen. Das geht nicht. In Deutschland gab es 1996 noch 186.000 Milchbauern, heute liegt ihre Zahl etwa bei 101.000. Sie sinkt jährlich um etwa fünf Prozent. Im bundesweiten Durchschnitt hält ein deutscher Milchbauer bis zu 60 Tiere. Aber fast die Hälfte aller Betriebe besteht aus 100 und mehr Kühen.
Der Beginn des Monats November ist ein wichtiger Stichtag für Molkereien und Handelskonzerne. Traditionell treten dann neue Halbjahresverträge für Milch und eine Reihe von Milchprodukten in den unteren Preislagen in Kraft. An den Aldi-Preisen orientieren sich üblicherweise auch die Supermarkt-Riesen. Daher wird erwartet, dass weitere große Lebensmittelhändler mitziehen werden. Von Edeka und Rewe waren am Mittwoch zunächst keine Stellungnahmen zu erhalten.
Niedrige Preise belasten seit Monaten die Milchbauern. Eine Ursache ist ein Überangebot. Bund und EU hatten daher Finanzhilfen zugesagt. Die Bundesregierung genehmigte am Mittwoch dieses Hilfspaket mit einem Volumen von 581 Millionen Euro bis Ende 2017.
Das Milchpaket setzt sich zusammen aus Finanzhilfen der EU und aus dem Bundeshaushalt, einem Bürgschaftsprogramm für Kredite, Zuschüssen zur Unfallversicherung und Steuerentlastungen. Das Paket ist zum Teil an die Bedingung geknüpft, dass die Produktionsmenge nicht weiter steigt. Dass weniger Milch produziert werde, führe bereits zu einem Anstieg der Preise, sagte Agrarminister Christian Schmidt (CSU). Er mahnte die Branche, die Marktstrukturen trotzdem so zu ändern, dass das Risiko künftig nicht mehr allein bei den Milchbauern liege.
Mit höheren Preisen im Handel ist die Krise der Bauern nach Verbandseinschätzung noch nicht ausgestanden. Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) hatte vergangene Woche darauf hingewiesen, dass die Preiserhöhungen zum 1. November frühestens im Dezember auf den Konten der Bauern ankämen. Außerdem hätten sich Bauern massiv verschuldet, um durchhalten zu können. Es werde deshalb lange dauern, die Folgen der Krise zu bewältigen.