Milchpreis-Verfall Warum Deutschlands Bauern auf die Straße gehen

Aus Protest gegen ein ruinöse Preispolitik starten deutsche Milchbauern am Montag mit Traktoren und Schleppern eine einwöchige Staffelfahrt. Was hinter dem Zoff um den Milchpreis steckt.

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Milch Quelle: dpa

Die Schilder hätten sie gleich hängen lassen können: 40 Cent stand vor rund sieben Jahren als Forderung für einen fairen Milchpreis auf den Plakaten und Transparenten, die viele Bauern an ihre Ställe und Trecker gepappt hatten. Zwischen Spätsommer 2013 und Frühjahr 2014 lagen die Preise dann in der Tat bei 40 Cent und mehr.

Seitdem sinkt die Auszahlungsquote wieder rapide und ist inzwischen bei mageren 30 Cent pro Liter; manche Molkereien zahlen noch weniger. Und die Discounter werben mit Billigpreisen von 55 Cent pro Packung. Für viele Milchbauern geht es wieder ums wirtschaftliche Überleben. Aus Protest gegen die ruinöse Preispolitik starten sie deshalb am Montag mit Traktoren und Schleppern eine einwöchige Staffelfahrt mit dem Ziel München. Dort soll zum Abschluss eine große Protestkundgebung stattfinden.

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Die Hintergründe zum Streit um den Milchpreis sind komplex. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

1. Wie wird der Milchpreis in Deutschland gemacht?

Der Milchpreis – ausbezahlt an den deutschen Milcherzeuger – betrug im Durchschnitt des Kalenderjahres 2014 ca. 37,5 Cent je Kilogramm. Im Zeitraum von Januar bis Dezember 2009 erhielten die deutschen Milchbauern beispielsweise im Schnitt bei knapp 24 Cent.

Jede Molkerei hat aufgrund ihrer Struktur ihren eigenen Milchpreis, saisonal und regional schwankend. In genossenschaftlichen Molkereien wird er durch den Vorstand festgelegt, in der privaten Milchwirtschaft liegen Vertragsbedingungen vor. Der erzielte Milchpreis wird statistisch amtlich erfasst und veröffentlicht.

Laut Milchbauern liegen die Produktionskosten für heimische Landwirte allerdings bei rund 35 Cent. Vor gut einem Jahr bekamen sie noch um die 40 Cent bezahlt; mittlerweile rangiert der Preis aber bei 30 Cent und darunter. Die Bauern werfen den großen Handelsketten vor, den Preis auff 25 bis 23 Cent drücken zu wollen. Damit würde sich die Herstellung gar nicht mehr rechnen und viele Milchbauern müssten ihren Betrieb dicht machen.

2. Warum verkaufen die Milchbauern nicht gemeinsam zum höheren Preis?

Viele Milcherzeuger verkaufen bereits gemeinsam. Sie schließen sich in Milcherzeugergemeinschaften (MEGs) zusammen und verhandeln gemeinsam. Der Preis steigt jedoch dadurch nicht, es wird lediglich vereinfacht verhandelt.

3. Warum sinken die Milchpreise überhaupt so rapide?

Das hat mehrere Gründe: Zum einen sorgen das Russland-Embargo und die dauerhaft geringe Milchpulver-Nachfrage Chinas für Überkapazitäten am Markt. Zusätzlich ist die Produktion in den führenden Milcherzeugerländern weltweit überproportional gewachsen.  Der Hauptgrund dafür sind die hohen Preise der Vergangenheit.

Bei mehr als 40 Cent pro Liter, die die Bauern zwischenzeitlich einheimsten, war die Milchproduktion ein durchaus profitables Geschäft. Also haben sie Kühe gekauft, um mehr zu produzieren und mehr Geld zu verdienen. Aus Sicht jedes einzelnen Bauern ein logisches Verhalten. Wenn aber sehr viel Bauern so handeln, gibt es irgendwann insgesamt zu viel Milch auf dem Markt - und wenn sich die Nachfrage nicht im gleichen Maß erhöht, sinkt der Preis wieder.

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von Mario Brück

Eigentlich kennen die Bauern diesen Marktmechanismus. Er nennt sich Schweinezyklus und wurde auf dem Markt für Schweinefleisch erstmals analysiert. Jetzt erleben die Bauern eben einen Milchzyklus – ein seit Jahren andauerndes auf und ab. Aktuell dürfte EU-weit der Bedarf um zwei Prozent überschritten sein, in Deutschland liegt die Versorgungsquote sogar bei 108 Prozent.

4. Warum gab es eine Milchquote?

Die Milchquote wurde 1984 von der damaligen Europäischen Gemeinschaft eingeführt, um die Milchproduktion in den Mitgliedsstaaten zu beschränken. Die Quote war eine Reaktion auf die steigende Agrarproduktion, die bereits Ende der 1970er-Jahre zu den sprichwörtlichen Milchseen und Butterbergen geführt hatte. Die Überschüsse wurden teuer vom Markt gekauft.

Ursprünglich nur für fünf Jahre geplant, wurde die Quote immer und immer wieder verlängert. Die Reglementierung des Angebots über die Quote sollte für stabile Preise sorgen. Wer mehr Milch als vereinbart produzierte, musste eine sogenannte Superabgabe zahlen.

Die Europäische Union übernahm die Regelung mit ihrer Gründung 1993. Bis 2000 konnten Quoten verpachtet oder verleast werden. Bauern, die das taten, wurden als „Sofamelker“ bezeichnet. Ab der Jahrtausendwende war der Handel von Quoten nur noch an Quoten- oder Milchbörsen möglich. Nur innerhalb der Familie konnten im Falle der Hofübergabe oder bei Kooperationen unter bestimmten Bedingungen die Milchquoten außerhalb der Milchbörse übertragen werden.

Quote, Fairness und Forderungen

5. Warum ist die Quote abgeschafft worden?

Die Quote wurde vor allem wegen anhaltender Erfolgslosigkeit abgeschafft. Butterberge und Milchseen wurden zwar kleiner. Aber die Quote führte keineswegs dazu, dass die Preise stabil blieben. So konstatiert der Deutsche Bauernverband, dass die Erzeugerpreise für Rohmilch in den vergangenen 31 Jahren seit der Quoteneinführung um bis zu 20 Cent pro Kilogramm geschwankt seien. Der Landwirtschaftsminister Mecklenburg-Vorpommerns Till Backhaus kritisierte, die Quote habe die Achterbahnfahrt der Milchpreise nicht verhindern können.

Der Bauernverband schätzt weiter, dass die Quote die Milchbauern um drei Milliarden Euro belastet hat. Geld, das zum Beispiel für Investitionen fehle. So hätten die Milchviehbetriebe eher unterdurchschnittliche Einkommen erwirtschaftet.

6. Welche Rolle spielen die Handelsketten beim Milchpreis?

Indirekt bestimmt Aldi den Ladenpreis für die Milch. Hebt Aldi den Milchpreis an, steigen sofort alle anderen Handelsunternehmen auf diesen Preis ein. Senkt Aldi den Preis, ziehen ebenfalls alle anderen Discount- oder Supermarktketten nach.

Die größten Lebensmittelhändler Deutschlands

Kein Wunder also, das vor allem der Discountriese ein Feindbild für den Milchbauern ist. So versammelten sich Anfang August etwa 150 ostfriesische Milchviehhalter mit 80 Treckern vor einer Aldi –Filiale.

Die Aktion wurde hauptsächlich vom Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM) organisiert. Es wurde gegen die Rolle von Discountern, Molkereikonzernen und Politik beim Verfall der Milchpreise demonstriert, die Anlieferung von Ware sei teilweise behindert worden.

Anlass für die Demonstration war die ebenfalls Anfang August vorgenommene Preissenkung für einige Aldi-Käsesorten und das Päckchen Butter von 85 Cent auf 79 Cent.

7. Können „faire“ Produkte helfen"?

Die Bewegung „fair“ kommt eigentlich aus der Entwicklungshilfe. Fairer Kakao oder Kaffee sollen den Erzeugern in Afrika bessere Preise bieten.

Faire Milch gibt es auch in Deutschland, der Marktanteil ist jedoch verschwindend gering. Die dort angelieferte Milch konnte nie vollständig zum höheren Preis vermarktet werden. Die Lieferanten für die „faire Milch“ wurden nie „fair“ bezahlt, schreibt der Milchindustrie-Verband auf seiner Webseite.

8. Was fordern die deutschen Milchbauern?

Nach dem Abschaffen der Milchquote fordern die Bauern von Seiten der Politik vor allem gleiche Bedingungen in Europa. Bislang seien die deutschen Landwirte durch strenge Auflagen hinsichtlich Umweltschutz und Tierhaltung benachteiligt. „Wir befürworten diese Richtlinien. Aber die Umsetzung kostet uns viel Geld. So können wir mit ausländischen Mitbewerbern nicht mithalten“, betont der Chef einer Kreisbauernschaft.

Autonome Erntehelfer
Eine landwirtschaftliche Maschine auf einem Feld Quelle: Claas
Traktoren mit Lenksystem Quelle: Claas
Agrobot, mechanischer Erntehelfer Quelle: Agrobot
Feldroboter Quelle: David Dorhout
Ein Flugroboter wird über einem Feld fliegen gelassen Quelle: dpa
Satellitenbild Quelle: NASA astronauts
Ein Landwirt ruft Daten in einem Traktor ab Quelle: Claas

Ottmar Ilchmann, Vorsitzender des Landesverband Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), kritisierte im Vorfeld der einwöchigen Bauerndemo dass Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt nur durch beschönigende Untätigkeit und industrieorientierte Strategien aufgefallen sei. Die Exportmolkereien reichten die Mindererlöse einfach an die Milcherzeuger weiter.

Anton Kreitmair, Bezirkspräsident des Bauernverbandes (BBV) für Oberbayern und CSU-Landtagsabgeordneter fordert: „Die Rabattschlacht der Discount-Märkte muss endlich ein Ende haben.“ Ansonsten werde unsere Landwirtschaft ans Messer geliefert.

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