Modehändler wächst nicht mehr Die Baustellen von Zalando

Zalando hat viele Baustellen. Aber wie geht der Modehändler damit um? Quelle: imago images

Inflation oben, Konsumklima unten: Europas größter Modehändler Zalando kassiert seine Wachstumsprognose und verschreckt die Börse. Welche Schlüsse der Dax-Konzern aus dem verändertem Kundenverhalten zieht.

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Eine banale Erkenntnis: Wenn der Mensch sich kaum noch Brötchen, Butter und Gurke leisten kann, kann er sich erst recht nicht die neuen Adidas-Turnschuhe leisten. Vielleicht kauft er sich stattdessen die günstigeren Turnschuhe von Kappa oder Skechers; vielleicht aber kauft er auch: gar keine Turnschuhe. Solch flüchtige Alltagsbanalität manifestiert sich zunehmend anhand zweier Zahlen, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs sind: die Inflationsrate und der Konsumklimaindex. Während die Inflationsrate seit Monaten wächst und wächst und im Mai erst bei selten gemessenen 7,9 Prozent Halt machte, schlägt der Konsumklimaindex der GfK immer weiter im Minus aus. Der Index bemisst jeden Monat die sogenannte Konsumneigung der Privathaushalte; im Mai lag dieser Wert bei minus 26,6 Punkten, nachdem er im Februar noch bei minus 6,7 Punkten gelegen hatte. Die Menschen haben also, nachdem sie ihre Grundbedürfnisse (wie Brot und Butter) konsumiert haben, immer weniger Geld zur Verfügung, um es für Freizeit, Zerstreuung oder Hobbys auszugeben. Und das ist schlecht für Zalando.

Zalando mit Sitz in Berlin ist der größte Einkleider des Kontinents. Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz auf nie zuvor gesehene 10,4 Milliarden Euro, der Gewinn betrug 468,4 Millionen Euro. Doch die Freude währte nicht lange: Anfang Mai musste Zalando zum ersten Mal in seiner 14-jährigen Unternehmensgeschichte einen Umsatzrückgang einräumen. Von Januar bis März 2022 addierte sich der Konzernumsatz auf 2,21 Milliarden Euro. Er ist damit 1,5 Prozent niedriger als der Vorjahreswert.

Wachstum zwischen null und drei Prozent

Im nun zu Ende gehenden zweiten Quartal kommt es noch schlimmer: Am 23. Juni veröffentlicht Zalando eine Pressemitteilung, darin der Satz: „Da das Unternehmen nicht mehr davon ausgeht, dass sich die Verbraucherstimmung kurzfristig erholt, passt es seine Prognose für das Geschäftsjahr 2022 an.“ Der neuen Prognose zufolge erwartet der Modehändler für dieses Jahr, dass sowohl Wachstum, als auch Bruttowarenvolumen und Gewinn „deutlich“ unter den zuvor geäußerten Erwartungen liegen werden. Noch im März hatten die Berliner ein Wachstum zwischen 12 und 19 Prozent vorausgesagt. Und nun? Ein paar Schritte zurück. Der Umsatz dürfte Zalando zufolge nur noch maximal um drei Prozent steigen – oder vielleicht auch: gar nicht. Die Aktien stürzten daraufhin zeitweise um fast ein Fünftel ab, erholten sich dann wieder ein wenig.

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von Christian Schlesiger, Stephan Knieps

Kleiderkonsum ist mitunter ein ähnlich aussagekräftiger Index wie jener, den die GfK erhebt. In Zeiten der ersten Corona-Lockdowns erlebte Zalando, wie die Menschen sich auf einmal kaum noch für Blusen, Hemden und Jackets interessierten, dafür aber deutlich mehr für Jogginganzüge und Kapuzenpullover. Die Pandemie führte in der Kombination ihrer unmittelbaren Folgen zu einer für Zalando komfortablen Situation: stationäre Modehändler mussten zeitweise schließen, Urlaubsreisen mussten abgesagt werden, das dafür eingeplante Geld konnten die Menschen anderweitig ausgeben. Der Wachstumstrend Zalandos wurde durch Corona verstärkt, war aber schon vor 2020 absehbar. Das lässt sich sowohl an der Zahl der Kunden als auch der Bestellungen ablesen. Wurden 2015 noch etwa 55 Millionen Bestellungen verzeichnet, konnte Zalando 2021 diesen Wert 2021 mit mehr als 252 Millionen fast verfünffachen. Besonders erfreulich aus Sicht von Zalando: Mehr Kunden bestellten auch häufiger. Vor sieben Jahren bestellten aktive Zalando-Kunden im Durchschnitt 3,1-mal pro Jahr – im vergangenen Jahr lag dieser Wert bei 5,2.

Durchschnittlicher Zalando-Warenkorb sinkt

Angesichts dieser Steigerungsraten konnte Zalando auch verkraften, dass der durchschnittliche Wert des Warenkorbs des Zalando-Kunden gesunken ist: von 67,80 Euro (2015) auf 56,90 Euro (2021). Die Erklärung: Im gleichen Zeitraum löste das Handy den Desktop-Rechner ab als Zugriffs- und Einkaufskanal Nummer eins. Im Jahr 2015 kam mit 57 Prozent erstmals eine knappe Mehrheit der Zalando-Nutzer über ein sogenanntes mobiles Endgerät auf die Zalando-App; im vergangenen Jahr lag der Wert bei 89 Prozent. Laut einer Zalando-Sprecherin ist diese Nutzungsveränderung gekoppelt an ein verändertes Einkaufsverhalten. Wer über sein Mobiltelefon via Zalando einkauft, häufig von unterwegs, bestellt deutlich schneller mal was, als jemand, der am Schreibtisch vor dem Rechner sitzt und in Ruhe seinen Warenkorb füllt. Dadurch bestellen Handy-Kunden zwar häufiger, aber mit durchschnittlich kleinerem Warenkorb.

Das ungebremste Wachstum resultierte auch aus der Vergrößerung der Zielgruppe: 2021 weitete Zalando sein Geschäft in Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Slowakei und Slowenien aus; 2022 kamen noch Ungarn und Rumänien dazu. Die Frage lautet nun, wie Zalando mit dieser wachsenden Kundschaft auch das Geschäft wieder wachsen lassen kann. Eine wichtige Erkenntnis, die Zalando schon vor einigen Monaten wahrgenommen hat, manifestiert sich laut einer Konzernsprecherin immer stärker: Die Kunden entschwinden mehr und mehr dem Mittelpreissegment. Entweder kaufen sie also gezielt im Niedrigpreissortiment – oder sie möchten sich etwas gönnen und greifen zu hochpreisigen Designermarken wie Versace, Moschino, Max Mara oder Zadig&Voltaire.



Welche strategischen Schlüsse Zalando aus diesem Kundenverhalten zieht, will das Unternehmen noch nicht konkret formulieren. Zalando schreibt in seiner Mitteilung bloß von einer „Anpassung des Angebots an die sich verändernde Kundennachfrage“. Man kann aber davon ausgehen, dass etwa Zalando Lounge in Zukunft eine noch entscheidendere Rolle spielen dürfte. Die bereits 2010 eingeführte Zalando-Lounge ist eine Art Online-Outlet; ein Club, dessen zeitlich begrenzte Sonderangebote den Kunden nur nach Anmeldung offeriert wird. 2020 lag der Umsatz der Lounge nach einer Schätzung des EHI-Retail-Instituts bei ausbaufähigen 285 Millionen Euro.

Offprice sorgt für Profitabilität

Zalandos sogenannte Offprice-Sparte, die zu einem großen Teil von der Lounge gespeist wird, ist überdies nicht unwichtig für Zalandos Profitabilität, die der Konzern für die zweite Jahreshälfte wieder angekündigt hat. Denn das operative Ergebnis der Offprice-Sparte ist 2021 von 88 Millionen auf 105 Millionen Euro gewachsen – und damit deutlich stärker, als das Ergebnis des herkömmlichen, deutlich größeren Geschäfts. Einen Beitrag leisten soll auch die Senkung der Retouren. Denn diese sind schlecht für Zalandos Rendite. Schon Ende 2020 hat Zalando dazu die Schweizer Firma Fision übernommen. Das Start-up hat eine Body-Scan-App und eine virtuelle Umkleidekabine entwickelt. Und gerade erst hat Zalando den Mindestbestellwert in alle seine 25 Märkte ausgeweitet; in Deutschland beträgt er 24,90 Euro. Wer für weniger bestellt, zahlt hierzulande 4,90 Euro Porto. Der gewünschte Effekt habe sich bisher stets eingestellt, teilte Zalando mit: Nach Einführung eines Mindestbestellwerts seien in den jeweiligen Märkten bislang sowohl die durchschnittlichen Warenkörbe gestiegen, als auch der Gewinn.

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Der neue Fokus auf Profitabilität bedeutet aber nicht, dass Zalando nicht investiert. Vor allem die vor wenigen Tagen verkündete Mehrheitsübernahme von Highsnobiety belegt das deutlich. Highsnobiety ist eine in Berlin ansässige, internationale Mode-Medienplattform, die vor allem die sogenannte Generation Z anspricht. Neben Mode- und Lifestyleartikeln findet sich auf der Webseite auch ein kuratierter Onlineshop für eher hochpreisige Schuhe, Hosen, Jacken und Accessoires. Viele neue Aufgaben also, vor allem für David Schröder. Der Zalando-Veteran, seit 2010 an Bord, hat vor kurzem erst die neu geschaffene Stelle des COO übernommen (Schneiders vorherige Aufgabe, die Verantwortung der Finanzen, übernimmt seit März die frühere C&A-Managerin Sandra Dembeck). Als Leiter des Operativen soll Schneider „sich dem Aufbau und der Weiterentwicklung von Zalandos Schlüsselkompetenzen widmen, um das Wachstum des Unternehmens voranzutreiben“, wie das Unternehmen mitteilte. Daran wird er sich in der zweiten Jahreshälfte messen lassen müssen.

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