Möbelhändler Steinhoff Dieser Unternehmer jagt Ikea

Die Steinhoff-Gruppe ist an der Börse mehr wert als Metro und Zalando zusammen. Fast unbemerkt hat Gründer Bruno Steinhoff die Nummer zwei der Möbelwelt geschaffen. Das Unternehmen könnte in den DAX aufsteigen.

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Bruno Steinhoff hat die Nummer zwei der Möbelwelt erschaffen. Quelle: Presse

Die Auffahrt führt zu einem reetgedeckten Anwesen inmitten eines großen Gartens, es riecht nach frisch gemähtem Gras. Die Hecken sind mannshoch, am Eingangstor leuchtet weiß auf rotem Grund die „Warnung vor dem Hunde“. Das Klingeln verhallt, ansonsten: Stille.

Mehr Diskretion als hier, hart an der Grenze zu Ostfriesland, ist kaum denkbar. Hier, in Westerstede, residiert der wohl unbekannteste deutsche Milliardär. In der Möbelbranche nennen sie ihn „Urgestein“, sonst kennt ihn keiner: Bruno Steinhoff, ein freundlich dreinblickender 79-Jähriger mit vollem Haar und einem Hang zum Handfesten. Ist er doch Herr über Biogasanlagen, Ackerbaubetriebe und ein Jagdrevier – vor allem anderen aber: eines erklecklichen Anteils an jenem Konzern, dem er seinen Namen gab, der Steinhoff-Gruppe.

Nur ein paar Kilometer entfernt von dem diskret verborgenen Anwesen soll sich Mitte der Sechzigerjahre das Wunder von Westerstede zugetragen haben, berichten Einheimische. Aus einer Garage heraus legte Steinhoff mit einem kleinen Handelsunternehmen den Grundstein für ein Milliardenkonglomerat. Eine globale Möbelmacht, deren aggressives Wachstum selbst für den schwedischen Einrichtungskönig Ikea zur Bedrohung wird.

Westerstede? Milliardenimperium? Steinhoff? Selbst eifrigen Sofa- und Schrankwandkäufern sagt der Name nichts. Bei seinen Wettbewerbern und seit zwei Jahren auch bei Fondsmanagern und Börsenhändlern aber hat er einen Ruf wie Donnerhall. Wie im Rausch ist die Steinhoff-Gruppe gewachsen, über 40 verschiedene Handelsketten mit weltweit über 10.000 Läden vereint sie heute unter ihrem Dach. Der amerikanische Bettenhändler Mattress gehört dazu, ebenso der australische Wohnspezialist Freedom und der afrikanische Textildiscounter Pepkor. Und kettenweise Möbelhäuser: Conforama in Frankreich, Kika/Leiner in Österreich, Poco in Deutschland. Für die warb TV-Blondine Daniela Katzenberger, half mit vollem Körpereinsatz, dass Steinhoffs Poco immer mehr billige Lattenroste und Lampen verkaufte.

Knapp 17 Milliarden Euro setzt die Steinhoff-Gruppe heute um. Gesteuert wird sie inzwischen aus Südafrika. Nicht genug: „Das Wachstum von Geschäften sei „in unserer DNA“ angelegt, tönt Steinhoff-Finanzchef Ben la Grange. Schon heute ist die im MDax, dem Index der mittelgroßen Börsenwerte, gelistete Gruppe 21 Milliarden Euro wert, mehr als Handelsriese Metro und Onlinehoffnung Zalando zusammen. „Geht es so weiter, ist der Aufstieg in die erste Börsenliga in Sicht“, sagt Commerzbank-Analyst Andreas Riemann. Steinhoff wäre dann der unbekannteste unter den 30 Dax-Werten.

Weltmarktführer Ikea erwächst mit Steinhoff erstmals ernsthaft Konkurrenz. Noch scheint der Abstand gewaltig: Ikeas weltweiter Umsatz ist doppelt so hoch wie Steinhoffs. Doch der Angreifer holt auf. Es ist das Duell zweier Handelsgiganten, geprägt von Gründerfiguren, deren Einfluss bis heute ins Unternehmen reicht. Hier der knorrige Schwede Ingvar Kamprad, ein Marketinggenie, der aus einem winzigen Versandhandel Ikea formte, dort Steinhoff, der seine Gruppe nach deutscher Bauart zurechtzimmerte: hemdsärmelig, hartnäckig und mit einem ausgeprägten Hang zur Verschwiegenheit.

Der Gründer: „Tun, was andere nicht wollen“

Steinhoff möchte keine Fragen beantworten, hat er sich doch längst aus dem täglichen Kleinklein verabschiedet, einerseits. Andererseits sitzt der Möbelveteran gemeinsam mit Tochter Angela im Aufsichtsrat des Konzerns – und erscheint in schöner Regelmäßigkeit in seinem Büro im Westersteder Verwaltungssitz des Konzerns. Den Vorraum zum Büro bewachte lange Zeit ein Grizzly. Den Bären habe der Patron einst selbst geschossen, bezeugen Mitarbeiter. Ältere Fotos zeigen Steinhoff in seinem Arbeitszimmer, fast bieder im gestreiften Hemd, vor einer riesigen Weltkarte, neben ihm ein rötlich bezogener Stuhl. Das ist Gaby, das Modell, das dem Möbelimporteur Steinhoff einst den Durchbruch brachte. Mitte der Sechzigerjahre hatte er sich als Importeur selbstständig gemacht, versorgte Möbelhändler mit Ware aus der DDR und dem Ostblock, und Gaby war der Bestseller.

Vom Importeur zum Produzenten

Das Geschäft wuchs prächtig, bis die Mauer fiel. Steinhoffs wichtigste Einkaufsquellen drohten im Wende-Chaos zu versiegen. Der Importeur steuerte um, wurde selbst zum Produzenten. Man müsse „Dinge tun“, so vertraute er seinem Heimatblatt „Nordwest-Zeitung“ an, „die andere zu dem jeweiligen Zeitpunkt noch nicht tun wollen“. Industrien im Osten aufbauen, zum Beispiel. Steinhoff kaufte pleitebedrohte Möbelfabriken in der ehemaligen DDR auf und zog eigene Produktionsstätten hoch, in Polen, Ungarn und der Ukraine.

Der Importeur wurde zum Produzenten. Der Chef blieb der alte. Frühere Mitarbeiter beschreiben ihn als Unternehmer alter Schule, einer, der auch mal bei Skatrunden mitspielte. Steinhoff sei „ein kerniger Mittelständler“ gewesen, sagt sein Wettbewerber Kurt Krieger, Inhaber der Höffner-Möbelmärkte. Bis er nach Südafrika ging und sich das Unternehmen plötzlich in einen „Granatenladen“ verwandelt habe, so Krieger.

Der Stratege: „Ich war hungrig“

Stellenbosch ist nach Kapstadt die zweitälteste Stadt Südafrikas – eine verschlafene Ansiedlung weiß getünchter Häuser in viktorianischem Stil, zwischen denen selbst im Stadtzentrum noch Rebenfelder liegen. Hier, in einem tristen vierstöckigen Bürokomplex an einer Ausfallstraße, hat Steinhoff sein Hauptquartier aufgeschlagen, von dem aus die operativen Geschäfte des Konzerns geführt werden.

Die beliebtesten Möbelgeschäfte und Einrichtungshäuser in Deutschland

Die Rezeption gleicht einem schlechtgeschnittenen Möbelladen am Ende eines Räumungsverkaufs. Neben dem ellenlangen Tresen aus Glas steht ein riesiger Bauernschrank vor einer wuchtigen Ledergarnitur. An den Wänden prangen Ölgemälde mit Motiven aus dem südafrikanischen Weinland, in dem Steinhoff seit mehr als 20 Jahren aktiv ist.

Dafür sorgte der Textilunternehmer Claas Daun, ein langjähriger Freund Steinhoffs aus der niedersächsischen Heimat. Er hatte sich in Südafrika an Gommagomma, einem Hersteller opulenter Sofalandschaften beteiligt und überzeugte Steinhoff, mit einzusteigen. Bei Gommagomma arbeitete damals ein junger Finanzvorstand namens Markus Jooste. Der Sohn eines einfachen Postangestellten aus Pretoria hatte erst ein paar Jahre zuvor seinen Abschluss als Wirtschaftsprüfer gemacht und trug mühsam die für das Studium aufgenommenen Schulden ab. „Ich war hungrig. Das war mein Glück“, sagte er später.

Steinhoff fand Gefallen an dem ehrgeizigen Mann, der bald zum operativen Chef des afrikanischen Parts aufstieg und das Unternehmen nach und nach neu ausrichtete: Steinhoff sollte nicht länger nur Betten und Schränke produzieren, sondern sie auch verkaufen. Ähnlich wie Ikea sei Steinhoff „auf dem vertikalen Vormarsch“, konstatiert das Möbelfachblatt „Inside“.

Wer Mitte 30 ist, hat nun wirklich keine Lust mehr auf den Einkauf bei Ikea, besagt eine amerikanische Umfrage. In Deutschland sieht das etwas anders aus.

Anders als der blau-gelbe Marktführer vertraut Steinhoff aber nicht auf eine Kernmarke, an der Wohl und Wehe des Konzerns hängt. Vielmehr verleibte Jooste dem Konzern Dutzende Möbel- und Handelslabels ein – und wurde selbst reich damit. Privat investiert er sein Geld in Rennpferde. „Wenn du zu einer Versteigerung gehst, ganz gleich, ob du ein Gemälde oder ein Pferd kaufen willst, musst du einen Preis im Kopf haben“, lautet dabei einer seiner Grundsätze, „wenn dann die Gebote diesen Preis überschreiten, musst du die Disziplin haben, zu gehen.“

So handelt er auch bei Steinhoff.

Mehr Börse gleich mehr Kapital

Kurz vor der Schwellenländer-Finanzkrise 1998 verhandelte Jooste über den Kauf des südafrikanischen Möbelherstellers Afcol. Der Manager hatte sich eine Grenze von – nach heutigem Kurs – 1,14 Euro pro Aktie gesetzt. Ein Wettbewerber bot 1,18 Euro – und Jooste zog sich zurück. Als wenig später die Finanzmärkte in den Schwellenländern einbrachen, stand Afcol wieder zum Verkauf: dieses Mal für 26 Cent pro Aktie. Jooste schlug zu. „Dieses bisschen Glück hat uns zu einem ernst zu nehmenden Spieler in Südafrika gemacht“, sagt er heute.

Kurz vor der Jahrtausendwende ging Steinhoff an die Johannesburger Börse und verlegte den Firmensitz nach Südafrika.

Die Expansion nahm Fahrt auf: Jooste kaufte die Einzelhandelsgruppe JD Group, zu der damals neun Möbel-, Elektronik- und Baumarktketten gehörten. So sicherte Steinhoff sich den Zugang zur wachsenden schwarzen Mittelschicht. Die kann sich zwar keine Bulthaup-Küchen leisten, schlägt aber gern bei üppigen Schlafzimmervitrinen und Couch-Garnituren zu – und sei es auf Pump.

Eine weitere Übernahme veränderte 2014 das Machtgefüge im Konzern: Steinhoff übernahm Pepkor, den größten panafrikanischen Textildiscounter mit mehr als 2000 Filialen. Pepkor-Großaktionär Christo Wiese, schon vor dem Deal an Steinhoff beteiligt, stieg durch den Zusammenschluss zum mächtigsten Aktionär des Unternehmens auf. Heute kontrolliert er gut 23,1 Prozent der Steinhoff-Anteile, ist Vorsitzender des Aufsichtsrats und treibt den Konzern derzeit zum nächsten großen Sprung.

Der Investor: „Wie Wasser von einer Ente“

Parow ist ein hässliches Industriegebiet nördlich von Kapstadt. Im dritten Stock der Pepkor-Zentrale des nüchternen Funktionsbaus geht es schon pompöser zu: Perserteppiche auf Marmorböden, Bronzestatuen mit Szenen aus dem Burenkrieg, ein Ölgemälde mit Elefanten. Wieses Büro: überladen, mit wuchtigem, dunklem Schreibtisch.

Vom Fenster des kleinen Besprechungsraums blickt man auf einen Slum und das Fabrikgelände, vor dem sich Lkws stauen. „Die Leute, die hier leben und arbeiten, sind meine Kunden, meine Kollegen, Teil meines Landes und meiner Identität“, sagt der Tycoon mit den warmen braunen Augen.

Welche Möbel die Deutschen wollen

Derlei Afrika-Bekenntnissen zum Trotz macht die Gruppe heute zwei Drittel ihres Umsatzes in Europa. Seit Ende 2015 ist Steinhoff an der Frankfurter Börse gelistet. Erst vor wenigen Tagen kündigte das Unternehmen an, die afrikanischen Töchter, darunter Pepkor und JD, in einer separaten Gruppe zu bündeln und diese an die Johannesburger Börse zu bringen. Mehr Börse gleich mehr Kapital, gleich Expansion – der Deal ist ganz nach Wieses Geschmack. Schon früh habe er mit Steinhoff-Chef Jooste darüber gesprochen, „eine wirklich große, internationale Gruppe aufzubauen“, sagt er heute.

Doch das rasante, durch immer neue Übernahmen getriebene Wachstum hinterlässt Kollateralschäden: Hinter den Kulissen etwa streitet Steinhoff mit dem österreichischen Möbelunternehmer Andreas Seifert, Mitinhaber von XXXLutz. Weil Investoren protestierten und die Steinhoff-Aktie abschmierte, mussten Jooste und Wiese Anfang des Jahres sogar ihr Lieblingsprojekt abblasen: die Fusion von Steinhoff mit Wieses Supermarktkette Shoprite. Ein „monumentales Scheusal“ wäre so durch die Liaison entstanden, kritisierte etwa der Vermögensverwalter Vestact.

Wiese gibt sich davon unbeeindruckt. „Ich habe in meinem Leben Dutzende von Deals vorbereitet, die schließlich nicht zustande kamen“, sagt er. „Das tropft an mir ab wie Wasser vom Rücken einer Ente.“

Die jüngsten Aufspaltungsideen werden in der Branche bereits als Vorbereitung für eine spätere Neuauflage des Shoprite-Deals interpretiert.

Wiese ist für Hartnäckigkeit bekannt, im Geschäftlichen wie bei der Jagd. Ab und an geht er in seinem privaten Revier am Rand der Kalahari-Wüste auf die Pirsch – bisweilen auch mit Bruno Steinhoff. Im fernen Westerstede ist es dann noch stiller.

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