Nach dem Coronaboom „Viele Fahrradhändler senken momentan panisch die Preise“

Auf der Fahrradmesse

Der Fahrradboom ist vorbei, sagt Branchenexperte Robert Peschke. Lieferengpässe haben sich aufgelöst, die Preise sinken und selbst für aktuelle Modelle gibt es ruinöse Rabatte. Für viele kleine Händler wird es nun eng.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Im vergangenen Jahr war die Fahrradwelt noch im Lot: Die Händler konnten ihren Umsatz 2022 trotz hoher Inflation und Lieferproblemen nochmals steigern. Er wuchs inflationsbereinigt um 2,4 Prozent im Vergleich zu 2021, wie das Statistische Bundesamt vor wenigen Tagen mitteilte. 2022 schrammten Deutschlands Fahrradhändler damit nur knapp am Rekordumsatz aus dem ersten Coronajahr vorbei, als Fahrradhändler ein Umsatzplus von 32,4 Prozent verzeichneten, weil viele Deutsche aus Sorge vor einer Infektion auf das Zweirad umstiegen und den öffentlichen Personennahverkehr mieden. Doch inzwischen ist der pandemische Nachfrageschub Vergangenheit – und damit auch die sonnigen Zeiten für die Branche. 

„Wir stehen vor einer starken Konsolidierung und Professionalisierung im Fahrradmarkt“, erwartet Robert Peschke, Geschäftsführer von Little John Bikes mit Sitz in Dresden. Das Unternehmen betreibt mehr Standorte als jeder andere Fahrradhändler in Deutschland, wobei es allerdings auch nur wenige große Player gibt. „Der Fahrradmarkt in Deutschland ist ein atomisierter Markt“, sagt Peschke. Es gebe Tausende Einzelkämpfer und Kollegen mit ein bis zwei Mitarbeitern, die versuchten, sich in dem margenschwachen Geschäft über Wasser zu halten. Zuerst half ihnen dabei noch das Interesse am E-Bike, zudem habe der Coronaboom vielen eine Atempause verschafft, so Peschke. „In den vergangenen Jahren wurden Fahrradhändlern alle Bikes ja quasi aus den Händen gerissen, die verfügbar waren.“

Für die Branche war das wie eine Sonderkonjunktur. „Aber inzwischen hat sich der Markt gedreht: Die Über-Nachfrage beruhigt sich, der Kapitalbedarf steigt“, zugleich mache sich der Personalmangel bemerkbar. „Zweiradmechatroniker sind seltener als Goldnuggets in der Elbe.“




Ruinöse 20 Prozent Rabatt

Vor allem würden sich nun aber Fehler aus der Zeit der gestörten Lieferketten rächen, meint der Little-John-Bikes-Chef. „Um angesichts der Lieferengpässe überhaupt an Räder zu kommen und in der Erwartung, dass der Boom so weiter gehen würde, haben viele Händler unerklärlich und zum Teil gierig viel Ware bestellt“, sagt Peschke. Womöglich hätten sie auch nicht damit gerechnet, dass diese Ware wirklich ausgeliefert wird. „Aber genau das passiert gerade.“ Das zeigen auch die Produktionsdaten des Statistischen Bundesamtes. Demnach wurden schon 2022 in Deutschland deutlich mehr unmotorisierte Fahrräder hergestellt als in den Jahren zuvor“, so die Statistiker. Die Produktion stieg auf knapp 1,7 Millionen Stück und lag damit deutlich über dem Niveau der ersten Corona-Jahre 2020 (1,3 Millionen Stück) und 2021 (1,4 Millionen Stück).

Ein beträchtlicher Teil an Fahrrädern und vor allem auch an einzelnen Komponenten und Zubehör kommt zudem aus dem Ausland. 2022 wurden gut 3,0 Millionen unmotorisierte Fahrräder importiert. Die meisten stammten aus Kambodscha (22,0 Prozent), Bangladesch (11,9 Prozent) und Polen (7,5 Prozent).

„Wir stehen vor einer starken Konsolidierung und Professionalisierung im Fahrradmarkt“, erwartet Robert Peschke, Geschäftsführer von Little John Bikes. Quelle: PR

Kurzum: „Die Lieferengpässe der Vorlieferanten haben sich aufgelöst, Rückstände und teilfertige Produkte werden nun fertig produziert, gehen zum Händler – und müssen in der Regel sofort oder sehr schnell bezahlt werden“, sagt Peschke. Zusätzlich sei das Wetter zu kühl gewesen, das Geschäft funktioniere wie ein Eisladen: „Ohne Sonne geht nichts“, so Peschke. 

Die Folge seien vielerorts Rotstiftaktionen. Um rasch an Kapital zu kommen, würden viele Fahrradhändler momentan „panisch“ die Preise senken. „Selbst für aktuelle Fahrradmodelle gibt es zum Teil ruinöse 20 Prozent Rabatt und mehr“, sagt Peschke. Und: „Zahlreiche Fahrradhändler wird dieser Preiskampf am Ende die Existenz kosten.“ Auch diejenigen, die in den vergangenen Jahren seriös und kaufmännisch sauber gearbeitet hätten, „leiden im Moment unter der Panik und Überreaktion derjenigen, die sich im Rausch übernommen haben“, sagt Peschke. 

„Fahrradhandel? Das ist wie der Wilde Westen“

Die sich nun abzeichnende Marktkonsolidierung biete aber durchaus auch Chancen. Im Grunde sei die Situation im Fahrradhandel ähnlich wie bei Fitnessstudios in den 80er-Jahren. „An jeder Ecke gab es damals einen ehemaligen Bodybuilder mit einem Studio, aber es gab kaum verbindliche Standards und viele Betreiber, die sich ohne große fachliche und vielfach auch ohne betriebswirtschaftliche Kenntnisse in diesem Umfeld getummelt haben“, sagt Peschke. Dann hätten Filialkonzepte das Feld sehr schnell konsolidiert und die Branche dadurch auch aus der Schmuddelecke geführt. Die Voraussetzung des Fitnessbooms der späten Neunziger und 2000er Jahre sei die Professionalisierung der Studios gewesen. „Ganz ähnlich wird es jetzt im Fahrradfachhandel laufen“, wo statt ehemaliger Bodybuilder oft Fahrradliebhaber und Ex-Radsportler die Läden führen, so Peschke.

Erbschaftsteuer Der Gesetzgeber hebelt steuerzahlerfreundliche Urteile aus

Unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit hat der Gesetzgeber im viel diskutierten Wachstumschancengesetz auch neue Regeln für Erbschaften und Schenkungen versteckt. Es geht um die Steuer. Ein Gastbeitrag.

Steuern auf Kryptowährungen „Die Finanzverwaltung sitzt am deutlich längeren Hebel“

Das jüngste Rekordhoch der Kryptowährung Bitcoin wirft auch steuerliche Fragen auf: Wer muss wie viel Steuern zahlen? Was droht Anlegern, wenn sie Einkünfte nicht angeben? Steuerexperte Joerg Andres gibt die Antworten.

Supermarktkette Mercadona Lidls und Aldis Angstgegner

Fast in jedem Markt, den sich Lidl und Aldi vornehmen, haben sie Erfolg. Anders in Spanien: Dort zeigt die Kette Mercadona, wie man die deutschen Billigheimer auf ihrem Terrain schlagen kann.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Mit Little John Bikes hofft der Manager von den strukturellen Marktveränderungen langfristig zu profitieren. „Wir werden die Konsolidierung in den nächsten Jahren nutzen, um weiter zuzukaufen und Marktteilnehmer zu übernehmen“, kündigt Peschke an. „Nur wenn das nicht möglich ist, greifen wir auf Neueröffnungen zurück.“ Denn gegen alteingesessene Läden in direkte Konkurrenz zu treten, birgt durchaus Risiken. „Da gab es leider auch schon unschöne Szenen – von zerstochenen Reifen, Bedrohungen meiner Mitarbeiter bis zu Rempeleien“, berichtet Peschke. 

Der Fahrradhandel – das ist für ihn „wie der Wilde Westen“, sagt der Manager und fügt noch schnell hinzu: „aber auch der ist ja mittlerweile zivilisiert“.

Lesen Sie auch: Ist ein E-Bike als Gehaltsextra sinnvoll?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%