Nach Silvester ist vor Karneval Saisonbetriebe leiden: „Uns drohen 95 Prozent Umsatzverlust“

Karnevalisten feiern vor dem Kölner Dom - in besseren Zeiten. Quelle: dpa

Die vierte Coronawelle trifft Firmen, die sich auf saisonale Volksbräuche konzentrieren, besonders schwer. Ihnen geht es bereits seit Beginn der Pandemie schlecht – nun deutet sich der GAU an.

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Heiterkeit ist eigentlich das Geschäftsmodell von Herbert Geiss. Denn er verdient sein Geld mit dem Verkauf von Kostümierungen, für Karneval zum Beispiel. Besonders gut gelaunt ist Geiss derzeit aber nicht. „Uns drohen wieder 90 bis 95 Prozent Umsatzverlust“, sagt er.

Der 38-Jährige tritt in der Öffentlichkeit fast immer mit Anzug auf, gerne mit Krawatte und Einstecktuch, stets die Haare akkurat gescheitelt. Geiss leitet in vierter Generation die Deiters GmbH, einen der größten Verkleidungshändler Deutschlands. Die Firma ist in Frechen beheimatet, nahe der Karnevalshochburg Köln. Nur liegt diese Hochburg auch in dieser Session wieder brach, wie im Vorjahr – das Coronavirus hält sich hartnäckiger als so mancher Einzelhändler es ohnehin befürchtet hatte. 

In Köln haben sich Stadt und Festkomitee auf eine Absage des Karnevals geeinigt, in Düsseldorf sieht es ähnlich aus. Deiters hatte die 30 eigenen Filialen überhaupt erst wieder am 1. Oktober aufgemacht, im Prinzip könnte Geiss die Türen jetzt auch wieder absperren. Denn die Hauptgeschäftszeit im Januar, sie droht komplett ins Wasser zu fallen.

Die vierte Coronawelle – und die am Horizont drohende Welle Nummer fünf – treffen vor allem die Branchen hart, die ohnehin seit Beginn der Pandemie besonders leiden. Einige, etwa die Gastronomie, dürfen immerhin aktuell noch weitermachen und die Hoffnung hegen, dass es nicht noch einmal so schlimm kommt wie im Frühjahr 2020 und zum vergangenen Jahreswechsel. Bei anderen aber ist bereits jetzt alle Hoffnung verloren, weil die umsatzstärksten Wochen und Tage nun einmal genau in diese Phase fallen. Einige Branchen drohen gar ganz zu verschwinden.

Ein Tropfen auf dem heißen Stein

Timo Wollmershäuser ist einer der Männer, die ihre Hand stets am Puls der deutschen Wirtschaft haben. Der Ökonom ist beim Münchener ifo-Institut Leiter für Konjunkturforschung und -prognosen. Und der Puls flattert momentan. Das Institut hat seine Prognose für 2022 jüngst abgesenkt, die Pandemie haut immer noch rein. Dabei spielen auch Bereiche wie Gastronomie, Kultur und Co. eine Rolle. „Insgesamt machen diese besonders betroffenen Branchen zwar nur einen einstelligen Prozentsatz der Gesamtwertschöpfung aus“, sagt Wollmershäuser. „Aber die Umsatzeinbrüche dort sind massiv, wenn die bei 70 bis 80 Prozent liegen, dann macht sich das auch in der Gesamtkonjunktur bemerkbar.“

Das Problem ist also durchaus auch gesamtwirtschaftlich relevant. Ganze Branchen drohen ausgelöscht zu werden. So etwa die pyrotechnische Industrie. Der Verband VPI warnte schon vor Wochen, ein erneutes Feuerwerksverbot zu Silvester wäre der „Todesstoß“ für die Mitglieder und könnte etwa 3000 Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzen, deren Lohnerwerb an Knallkörpern aller Art hängt. Erweichen konnten sie die Vertreter von Bund und Ländern damit nicht, die trotzdem Anfang Dezember erklärten, dass der Kauf von Raketen auch wieder untersagt werde.

„Wir haben im Prinzip nur drei Tage im Jahr, um Umsatz zu machen“, sagt Klaus Gotzen, Geschäftsführer des VPI. Die Pyro-Unternehmer fühlen sich zu Unrecht bestraft. „Wir haben eher den Eindruck von Symbolpolitik“, sagt Gotzen. „Die Entscheidung ist für uns nicht nachvollziehbar, es hätte garantiert andere Möglichkeiten gegeben“, führt er weiter aus. Der VPI beruft sich unter anderem auf Statements von Ärzten und Polizisten, um zu belegen, dass viel eher Alkohol auf Silvesterfeiern zu Krankenhausaufenthalten führe als Verletzungen durch Pyrotechnik.

Außerdem habe das Böllerverkaufsverbot zu einem Anstieg von Shoppingtouren ins europäische Ausland geführt, wo es natürlich nach wie vor Feuerwerk zu kaufen gegeben habe. Was bleibt, sind staatliche Hilfsgelder. „Im vergangenen Jahr gab es zwar Hilfen, aber die waren vor allem auf Fixkostenerstattung fokussiert“, erklärt er. Bei massiven Umsatzausfällen würden die dieses Jahr nicht reichen.



Die Unternehmen selbst halten sich momentan bedeckt, aber die Signale, die sie aussenden, sind nicht beruhigend. Thomas Schreiber etwa, Inhaber von Weco Feuerwerk, in Eitorf zwischen Bonn und Köln beheimatet, warnte schon vor dem offiziellen Verbot, dass ein solches für seine Firma mit rund 250 Mitarbeitern das Aus bedeuten würde. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) besuchte zwar kurz vor Weihnachten Weco und sprach sich für erweiterte Hilfen aus. Konkrete Zusagen fehlen aber nach wie vor.

Kölner Unternehmen machen normalerweise im Karneval 500 Millionen Euro Umsatz

Über irgendeine Art von Konkretisierung, gerade langfristig, würde sich wohl auch Kostümhändler Herbert Geiss freuen. „Das Virus wird ja auch in zwölf Monaten noch da sein“, meint er. Gleichzeitig habe sich der 11.11. in Köln nicht als Infektionstreiber erwiesen. Tatsächlich gab es einige hundert Infektionen, die sich auf den Karnevalsbeginn zurückführen ließen. Allerdings gab die Stadt Köln an, dass die meisten dieser Fälle bei privaten Feiern in geschlossenen Räumen passierten. Genau dorthin sieht Geiss nun auch die Feierwütigen im Frühjahr abwandern. „Anstatt unter 2G- oder 2G-Plus-Bedingungen zu feiern.“

Das Fest geht weit über das Rheinland hinaus. Aus ganz Deutschland reisen Kostümierte normalweise zum Karneval in die Hochburgen. Allein Kölner Unternehmen machen damit normalerweise eine halbe Milliarde Euro Umsatz. Timo Wollmershäuser vom ifo-Institut kann immerhin ein wenig Hoffnung machen. „Nach den letzten Shutdowns hatten wir immer kräftige Erholungen“, sagt er. Auch die staatlichen Hilfen hätten funktioniert, gleichzeitig hätten die Leute viel Geld angespart. „Ein Nachfrageproblem gibt es also eher nicht.“

Vielleicht geben die Leute also im nächsten Jahr dann deutlich mehr als sonst für Karnevalskostüme und Feuerwerke aus. Sofern sich die Lage dann anders darstellt. Hierbei hilft laut Wollmershäuser nur eins: impfen. Die niedrige Impfquote trägt seiner Vermutung nach massiv zu aktuellen Konjunkturkorrekturen bei. „Die Revision in Deutschland sticht dabei schon hervor.“

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Geiss hat das Jahr 2022 mehr oder weniger abgeschrieben und hofft auf die nächste Karnevalssession. „Wir halten auch 22 Monate mit mehr oder weniger Nullumsatz aus“, sagt er. „Ich bin seit 18 Jahren hier, ich kann mich auch nicht einfach umdrehen und sagen, ich mache was anderes.“ Aber auch Deiters, eigentlich eine gesunde Firma, habe keinen unendlich tiefen Topf, aus dem man die Verluste ausgleichen könne.

Mehr zum Thema: Die Coronakrise hat den Kostümhersteller Deiters schon 2021 hart getroffen. Das Kölner Familienunternehmen kämpfte mit 90 Prozent Umsatzeinbußen - und blieb schon damals optimistisch.

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