Heinz Lehmann beschert Männern die Nacht ihres Lebens. "Scharenweise", erzählt der umtriebige 63-jährige Hannoveraner, fallen sie ihm um den Hals, bedanken sich für "den absolut geilsten Abend", den sie je hatten. Gegen Mitternacht verlassen die gut 50 Männer Lehmanns Laden. 30 Euro pro Nase, an Samstagen 40, hat sie der Spaß gekostet. Noch tagelang werden sie ihren Frauen davon erzählen - für viele war der Abend ein Geschenk der Gattin höchstpersönlich - mit leuchtenden Augen und einem Grinsen quer über das ganze Gesicht. Lehmann betreibt das unschuldigste "Freudenhaus", das sich Mann vorstellen kann - den Spielwarenladen idee+spiel in Hannover - und bietet seit 2010 Männerspieleabende an. Die Jungs rennen Lehmann förmlich die Bude ein. Über 10.000 Männer schätzt Lehmann, waren schon da.
Ab 20 Uhr dürfen Vorstandsvorsitzende, Bankdirektoren, Anwälte und Metzgerlehrlinge bei Lehmann einfach nur sie selbst sein. Vier Stunden lang wird in Vierer-Teams gekickert, gezockt und gedartet - bis Lehmann die vom Carrera-Bahn-fahren und Hubschrauber-Steuern berauschten Männer (ein, zwei Bierchen gibt es auch) gegen Mitternacht wieder vor die Tür setzt. "Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass das so einschlägt", erzählt Lehmann. Der Erfolg reiße einfach nicht ab, bis Weihnachten ist Lehmann komplett ausgebucht.
Lego auf einen Blick
Lego wurde 1932 vom dänischen Staatsbürger Ole Kirk Kristiansen gegründet. Das Unternehmen blieb seither immer im Familienbesitz. Heute ist Kjeld Kirk Kristiansen, der Enkel des Gründers, Eigentümer der Gruppe.
Der Lego-Baustein wie wir ihn heute kennen, feiert im Jahr 2013 seinen 55. Geburtstag. Am 28. Januar 1958 ließ Ole Kirk Christiansen, Gründer der Lego Gruppe, den Stein in Kopenhagen patentieren. Ende der 40er Jahre kamen die ersten Bausteine auf den Markt, die dem heutigen Klassiker ähnelten. 1958 perfektionierte er den Stein mit dem Noppen- und Röhren-Stecksystem, das noch heute Grundlage der inzwischen rund 2.700 verschiedenen Bauelemente ist. Für sechs Steine einer Farbe mit 2x4 Noppen gibt es alleine 915 Millionen Kombinationsmöglichkeiten.
Lego hat seinen Umsatz seit 2005 enorm gesteigert. 2004 war er auf 850.000 Euro eingebrochen, seither stieg er kontinuierlich und erreichte 2011 mehr als 2,5 Milliarden Euro. Der Gewinn (net profit) stieg von 138.000 Euro im Jahre 2007 auf 550.000 Euro im Jahre 2011. In Deutschland setzte Lego im Jahr 2012 gut 331 Millionen Euro um, 12,7 Prozent mehr als im Vorjahr.
Für Lego arbeiteten im Jahr 2011 weltweit 9374 Menschen und damit gut tausend mehr als im Vorjahr.
Lego versteht sich als Produzent von Kinderspielzeug. Seit Mitte der 2000 Jahre setzen die Dänen aber auch verstärkt auf Jugendliche und erwachsene Männer als Kunden. Lego bietet komplexe technische Modelle z.B. von Flugzeugen, Baggern oder Schiffen an. Mit Videospielen haben die Dänen den Sprung in die digitale Welt geschafft - von Star Wars über Batman, Indiana Jones oder Harry Potter. Seit März 2012 buhlt Lego gezielt um die Aufmerksamkeit der Mädchen mit der Linie Lego Friends.
Die Umsatzbringer der Dänen sind die Bausätze zu Star Wars, Harry Potter und Pirates of the Caribbean. Sehr erfolgreich laufen auch die Lego City (z.B. Polizei und Feuerwehrstationen) und Lego Technic-Linie. Lego Duplo, die Serie für Kinder im Vorschulalter, ist in Deutschland besonders erfolgreich. Die seit März 2012 erhältlichen Produkte Lego Friends für Mädchen erreichte 2012 in Deutschland bereits einen Umsatzanteil von 6,9 Prozent.
Dabei waren die Männerspieleabende ursprünglich als einmalige Wohltätigkeits-Aktion zu Weihnachten 2009 gedacht. Doch danach gab es so viele Anfragen, dass Lehmann den Spieleabend erst zwei Mal die Woche und nun schließlich fünf Mal die Woche anbietet.
"Wir Männer sind geboren zum Spielen, zum Kämpfen - wir suchen den Wettbewerb", erklärt sich Lehmann den riesigen Andrang. Sein Modell hat im ganzen Bundesgebiet Nachahmer gefunden. Auf mensclub-germany.de finden sich Angebote für Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsens und Sachsen. Land auf Land ab, so hat es den Anschein, wollen Männer nichts als spielen.
Rudolf Stross verwundert das kaum: "Natürlich spielen Männer gerne. Alle Männer bleiben Kinder, das ist eine Tatsache". Für den Psychologen, der in Bergisch Gladbach eine Praxis betreibt, ist die Erklärung ganz einfach. "Männer müssen in ihrem Alltag so vielen Ansprüchen gerecht werden, im Job, in der Partnerschaft und so weiter. Wo ein Mensch spielt, ist er befreit von allen Zwängen, von allem Erfolgsdruck, er kann in eine andere Welt eintauchen und in eine andere Rolle schlüpfen - egal ob Rennfahrer oder Lokführer. Im Spielen erfüllen wir unsere Sehnsüchte. Da kann uns keiner rein reden. Wir erfinden, erobern, erbauen, erschaffen." Das Spielen, so der Psychologe, ist im positiven Sinne eine Flucht. "Das ist wie ein Ventil, über das wir den Druck loswerden, eine Gegenwelt, in der wir Kraft tanken können." Spielen sei sogar ein gutes Mittel, dem Burnout zu entgehen, so Stross.
Supermann-Rolle überfordert deutsche Männer
Nach der Studie „Wie tickt der Mann?“ des Instituts für Demoskopie in Allensbach hat tatsächlich jeder dritte Mann in Deutschland, bei den Singles sogar jeder Zweite, das Gefühl, den an ihn gestellten Erwartungen nicht gewachsen zu sein - gleichzeitig berufs- und familienorientiert sein, sich intensiv um die Kinder kümmern und vermehrt Aufgaben in Haushalt und Familie übernehmen, selbstbewusst und gleichzeitig einfühlsam sein, eigene Gefühle zeigen und eine selbstbewusste Partnerin schätzen. „Diese Supermann-Rolle überfordert die deutschen Männer“, lautet das Fazit der Forscher.
Da kommt Lehmanns Angebot „der kleinen Flucht“ gerade recht. Lehmann beobachtet jeden Abend dasselbe Phänomen. Die Männer, so sein Eindruck, geben an der Ladentür nicht nur ihre Probleme, sondern auch Rang und Namen ab. „Die Männer verändern sich innerhalb von Minuten, dann zählt nur noch der sportliche Wettkampf und alle sind untereinander gleich – ob Chef oder Angestellter, das zählt dann nicht mehr.“
„Noch nie“, sagt er, noch nie habe er einen missglückten Abend erlebt, noch nie habe sich einer daneben benommen. Lehmann kann sein Glück kaum fassen. Er ist in eine bisher unentdeckte Marktlücke gestoßen. Dabei ist die Erkenntnis, dass jedem Mann ein Kind innewohnt weiß Gott nicht neu. Bereits Friedrich Nietzsche bemerkte: „Im echten Manne ist ein Kind versteckt; das will spielen. Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne.“
Entdeckt und konsequent für sich nutzbar gemacht, haben das in der Spielwarenbranche aber nur wenige. Nur eine Hand voll Produkte bleiben auch jenseits des Grundschulalters attraktiv – der gute alte Fußball natürlich, Playmobil und Lego. Für Evelyne und Claude Hengel und ihre Kindern Tim, Elsa und Max wird das Spielen zum ferienfüllenden Familien-Event. Seit 2004 kreieren die Luxemburger spektakuläre, mehrere Meter lange und breite Szenenbilder mit weit über 1000 Playmobil-Figuren. Andere Sammler bauen Schlösser oder ganze Welten nach (siehe Fotos). In Foren wie www.klickywelt.de posten und kommentieren Fans ihre Werke gegenseitig. Playmobil sammelt Bilder im offiziellen Collectors Club.
Gezielt an erwachsene Männer richtet sich Lego seit 2010 mit der Kampagne Lego-Men. Aktuell in Print –und TV-Werbung zu sehen ist etwa der Schwerlastkran mit 2606 Teilen – „und nur einem Haken“ wie das Plakat verspricht. "Der Schwerlastkran ist das größte und komplexeste Lego Technic Modell aller Zeiten", schwärmt Lego-Deutschland-Chef Michael Kehlet. Der Kran hat gute Chancen, das Erbe des 1:12,5-Modells des Mercedes-Benz Unimog anzutreten. Der Bausatz umfasste 2048 Teile, verfügte über einen Elektromotor, ein Pneumatik-System und zahlreiche Funktionen des Originals. 2012 schafft er es unter die Top 10 der meistverkauften Spielwaren in Deutschland. Trotz eines stattlichen Preises von rund 190 Euro. Die Zielgruppe verfügt eben doch über das nötige Taschengeld.
Neu ist auch die DeLorean Zeitmaschine aus dem Hollywood-Streifen „Zurück in die Zukunft“. Hoch im Kurs stehen aber auch Klassiker wie der Volkswagen T1 Camper Van – Kostenpunkt ab 100 Euro aufwärts. Aufgrund des Erfolges geht die Kampagne in diesem Jahr bereits in die vierte Runde. „ Seit Beginn der Initiative ist der Anteil der Männer, die ein LEGO Technic Produkt für sich selbst gekauft haben, von zehn auf 15 Prozent gestiegen“, freut sich Lego-Sprecherin Helena Seppelfricke.
Ulrich Brobeil vom Deutschen Verband der Spielwaren Industrie DVSI beobachtet ebenfalls ein zunehmendes Interesse an sogenannten Vater-Sohn-Produkten wie Bausätzen, ferngesteuerten Trucks und Hubschraubern oder Modellbahnen: „Der Absatz dieser Produkte hat von 2008 auf 2011 um dreißig Prozent zugelegt.“ Wer dann tatsächlich damit spielt, ob Vater oder Sohn, kann man nur ahnen. Willy Fischel vom Bundesverband des Spielwaren-Einzelhandels: „Es soll sogar vorkommen, dass stolze Väter ihrem neugeborenen Sohn eine hochwertige Modelleisenbahn kaufen, um selber damit spielen zu können.“ Oft leistet sich Mann als Erwachsener eben genau das Spielzeug, für das das Taschengeld vor zwanzig Jahren nicht reichte.
Der Spielwarenmarkt befindet sich im Umbruch
In der Branche kursieren Zahlen, nach denen bereits ein Fünftel aller Spielwaren für Erwachsene gekauft würden. Wolfgang Lenzner von der Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg (GfK), hält das jedoch für deutlich zu optimistisch und bremst die Hoffnung auf einen neuen Trend zu verspielteren Erwachsenen. „Der Anteil der über 18-Jährigen-Empfänger von klassischen Spielwaren ist seit Jahren rückläufig und liegt derzeit bei rund 11 Prozent.“ Die Zahl bezieht auf eine Gesamtmarkt von 2,7 Milliarden Euro, die 2012 mit traditionellem Spielzeug – Videospiele und Spielekonsolen nicht eingerechnet – umgesetzt wurde. „Damit hat die Branche gerade erst wieder das Niveau von 1996 erreicht“, erklärt Lenzner. Der Spielwarenmarkt befindet sich im Umbruch, weg vom Spielzeug zum Anfassen, hin zu digitalen Formaten. Für den Marktforscher steht fest: „Auf die Erwachsenen kann man im traditionellen Spielwarensegment nicht bauen.“
Das sehe man auch daran, dass die klassischen Sammlermärkte für Autos oder Modelleisenbahnen in den vergangenen Jahren komplett zusammengebrochen seien. Für Unternehmer wie Michael Sieber sind solche Aussagen bitter. Sieber ist Chef der Simba-Dickie-Spielwarengruppe, bekannt für Marken wie Schuco, Bobby-Car und seit März 2013 auch die traditionsreiche Modelleisenbahn-Marke Märklin. „Männer ab 40 bleiben bei Märklin ganz klar für uns die wichtigste Zielgruppe“, bekräftigt Sieber. Aber natürlich will der Simba-Dickie-Chef am bereits eingeschlagenen Kurs des ehemaligen Märklin-Geschäftsführers Stefan Löbich festhalten, die Modelleisenbahn zurück in die Kinderzimmer zu bringen. „Wenn man mit der Marke nicht schon die Jungen anspricht, kann man auch nicht erwarten, dass sich als Erwachsene dafür begeistern“, steht für Sieber fest. Schließlich, sei ein Hobby wie das Sammeln von Modelleisenbahnen auch nicht billig, da müsse man von der Investition überzeugt sein.
Auch Heinz Lehmann, der seit vielen Jahren ein idee+spiel-Warenhaus in Hannover betreibt, hat den Wandel in der Branche zu spüren bekommen. Nicht nur, dass digitale Spiele Bauklötzen und Matchbox-Autos den Rang ablaufen, immer mehr Kunden bestellen die Barbiepuppen und Monstertrucks lieber im Internet. Rund 30 Prozent der Waren werden bereits übers Netz geordert. Das setzt auch Lehmann zu.
Der umtriebige Geschäftsmann und Erfinder der Männerabende hat deshalb eine Entscheidung getroffen: Mit dem klassischen Spielwarenhandel ist Ende des Jahres Schluss. Die Männerabende sollen aber weitergehen – nicht nur das. Lehmann will das Konzept zu einem Event-Spielwaren-Haus ausbauen – mit weiteren Angeboten für Frauen, Familien und so weiter. Eine „Weltreise für Kinder“ inklusive Besuch in einem Fernseh-Studio und Elementen der Show „Schlag den Raab“ hat Lehmann bereits konzipiert und ausprobiert. Der 63-Jährige sprüht vor Ideen. An einem der nächsten Wochenenden baut es für ein großes Versicherungsunternehmen seinen Spielparcours im VIP-Bereich eines Fußball-Stadions auf. Er will mit seinen Spielevents on Tour gehen, vielleicht auch gastronomische Angebote einbinden. „Der Handel muss sich Gedanken machen, wie die Zukunft aussehen kann“, sagt er. Die klassischen Konzepte hätten sich überlebt. Vielleicht, hofft Lehmann, ließen sich mit seiner neuen Idee sogar die Spielwarenhäuser wieder in die Innenstädte zurückbringen. Für Lehmann hat das Spiel gerade erst begonnen.
Der Sieger des Männerabends bekommt übrigens sein Traumauto geschenkt – ob Porsche, Ferrari oder Bugatti, Lehmann hat alles in seiner Spezialgarage: Im Matchbox-Format.