Neue Geschäftsmodelle für den Einzelhandel Wie der Kampf gegen die Online-Konkurrenz gewonnen werden kann

Das Internet als neuer Vertriebskanal und eigene Fehler haben den Einzelhandel in eine Existenzkrise gebracht. Aber mit Investitionen in die Kundenbindung kann der Erosionsprozess gestoppt werden.

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Online einkaufen Quelle: dpa

Die Baumarktkette Praktiker wurde vor allem durch ihren Werbeslogan „20 Prozent auf alles, außer Tiernahrung“ bekannt. Andauernde Verluste führten vor zwei Jahren dazu, dass die  Einzelhandelskette mit zuletzt gut drei Milliarden Euro Umsatz zahlungsunfähig wurde und Insolvenz anmelden musste. Rund 220 Läden der Marken Praktiker und Max Bahr wurden geschlossen, 20.000 Mitarbeiter verloren ihren Job.

Ob die rund 450 Lebensmittelmärkte der Marke Kaisers Tengelmann und deren etwa 16.000 Mitarbeiter ein ähnliches Schicksal erwartet, steht noch in den Sternen. Weil die Läden seit 15 Jahren keinen Gewinn mehr erwirtschaften, soll die Kette an Edeka verkauft werden. Allerdings müsste das Bundeskartellamt dem Deal zustimmen, was wegen eines Einspruchs des Wettbewerbers Rewe aber immer unwahrscheinlicher wird.

Was bei Praktiker und Kaisers überregionale Aufmerksamkeit erregt, spielt sich bei vielen namenlosen Einzelhandelsfachgeschäften im Stillen ab: Jahrelanges Siechtum durch stagnierende Umsätze führt schließlich zur Schließung. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist vor allem in kleineren und mittleren Städten nicht zu übersehen: Der stationäre Fachhandel ist verschwunden, geblieben sind nur Billigketten und Discounter.

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Wer ist Schuld an dieser Entwicklung? Amazon und das Internet – hauptsächlich jedenfalls. Doch der Erfolg des mächtigen Online-Händlers ist nur eine der Ursachen. „Ein Teil der Probleme ist selbst verschuldet“, sagt Tobias Göbbel, Managing Partner Unternehmensberatung Batten & Company aus München. „Durch eigene Versäumnisse hat der stationäre Einzelhandel seinen Niedergang noch beschleunigt.“

Batten & Company ist auf Beratung im Einzelhandel spezialisiert, Göbbel leitet den Bereich Retail Excellence und hat die Ursachen der sinkenden Flächenproduktivität vieler Einzelhandelsgeschäfte untersucht. „Die Leute kaufen nicht weniger, sie kaufen woanders, ein Teil der Umsatzverluste ist an den Online-Handel gegangen, der Rest an andere stationäre Wettbewerber, die mehr für ihre Kunden tun.“

Die Fehler der Händler

Zwei Studien von Göbbel und seinen Kollegen haben die Stärken und Schwächen von Textileinzelhandelsketten und mit Elektronik-Fachgeschäften analysiert. So unterschiedlich die verkauften Produkte, so ähnlich ist das, was in den Läden falsch läuft: „Beratung ist Glücksache, weil zu wenig Personal vorhanden oder gerade anderweitig beschäftigt ist, die Läden wirken verstaubt und wenig einladend.“ Die Chance, den Kunden aktiv zum Kauf weiterer Artikel zu animieren, wird ebenso wenig genutzt wie das Potenzial einer eigenen Internet-Präsenz. Der Berater: „Ein Großteil der Händler ist nicht in der Lage, den Kunden den Mehrwert des eigenen Online-Kanals zu vermitteln.“

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Doch nicht nur die Kunden zieht es immer weniger in traditionelle Einzelhandelsgeschäfte, wo die Produkte vieler Herstellermarken auf einer Fläche verkauft werden. „Auch die Markenhersteller sind häufig unzufrieden über die Präsentation ihrer Produkte und eröffnen darum immer mehr eigene Shops, die den Handel zusätzlich unter Druck setzen“, sagt Benno Christian Daegling, Geschäftsführer der Unex Management Consulting in Hamburg.

Nicht nur Mode-Label wie Boss oder Bogner machen so dem Einzelhandel mit eigenen Monomarkenshops Konkurrenz, auch für andere Produkte gibt es ähnliche Entwicklungen, wie die Nivea-Flagshipstores in Hamburg und Berlin oder die mittlerweile in jeder deutschen Großstadt vertretenen Nespresso-Läden zeigen: „Für mich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch Bosch-Heimwerkershops oder Grohe-Bad-Studios gibt“, sagt Daegling.

Wie sein Kollege Göbbel ist auch Daegling auf die Beratung des Einzelhandels spezialisiert und kennt die Probleme der Branche genau. Und auch der Unex-Berater sieht sein eigenes Klientel kritisch: „Viele Einzelhändler haben sich in eine Sackgasse manövriert. Auf den Verlust von Kunden und Umsatz reagieren sie mit Kostenreduktion, sie wechseln in günstigere Standorte, reduzieren ihr Personal oder investieren nicht mehr in dessen Qualifikation. Das merkt der Kunde, weitere Umsatzverluste sind die Folge, die Abwärtsspirale dreht sich weiter.“

Von Ikea lernen

Tatsächlich hat der Online-Handel Vorteile, bei denen der stationäre Handel nur schwer mithalten kann und die Shopping-Touren am Computer so attraktiv machen: Man kann jederzeit und notfalls im Schlafanzug shoppen, auch die Auswahl ist größer als im Laden in der Innenstadt. Engpässe bei der Lieferfähigkeit gibt es nicht – was der eine Online-Shop nicht bietet oder was dort gerade nicht lieferbar ist, findet der Konsument einen Mausklick entfernt auf der nächsten Internet-Plattform.

Häufig sind online eingekaufte Artikel zudem noch billiger als im stationären Handel, zumindest ist der Preisvergleich für den Kunden einfacher. Gleichzeitig hat die Beratung durch Fachkräfte, eigentlich die Domäne des stationären Handels, heutzutage an Bedeutung verloren: Online-Kunden verlassen sich lieber auf die Internet-Empfehlungen anderer Kunden. Nur bei komplizierten und erklärungsbedürftigen und meist auch entsprechend teuren Produkten ist Fachberatung noch gefragt.

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Platz 4: DamenbekleidungNicht nur Herrenbekleidung wird vermehrt mobil gekauft – der Anteil der Damenbekleidung, die über das Smartphone gekauft wird, liegt mit 16,4 Prozent noch höher. Ob nun immer mehr Männer die Geschenke für ihre Frau auch vom Sofa aus kaufen, lässt sich anhand der Agof-Studie leider nicht herausfinden. Quelle: dpa

Allerdings gibt es nach wie vor gute Argumente für den Einkauf im Geschäft vor Ort. Punkten kann der stationäre Handel etwa mit dem Einkaufserlebnis – mit einer attraktiven Gestaltung der Verkaufsräume, einer wirkungsvollen Präsentation der Produkte und mit der Möglichkeit, deren Qualität und Anmutung durch Befühlen und Anfassen besser beurteilen zu können: „Touch an Feel spielt vor allem bei Textilien und frischen Lebensmitteln eine wichtige Rolle und spricht für den stationären Handel“, sagt Unex-Berater Daegling.

Doch gerade diesen Vorsprung haben viele Einzelhändler verspielt: „Der Fokus auf die Kosten hat dazu geführt, dass die Kundenbindung immer geringer wird“, sagt Batten & Company-Experte Göbbel. „Damit verliert der Handel ausgerechnet seinen wichtigsten Pluspunkt – statt ein positives Einkaufserlebnis zu bieten, werden dem Kunden lange Wartezeiten an der Kasse zugemutet, wer Fragen zum Produkt hat, sucht vergebens nach einem fachkundigen Verkäufer.“

Hinzu kommt: „Der Kunde von heute unterscheidet nicht mehr zwischen online und stationär, dennoch hat der Handel die Integration der verschiedenen Vertriebskanäle versäumt“, kritisiert Göbbel, „warum kann ich zum Beispiel nicht im Laden abholen, was ich auf der Online-Plattform des Händels bestellt habe?“ Von solchen Angeboten ist der stationäre Handel noch weit entfernt, bislang sind die Prozesse nicht auf den Kunden ausgelegt, das Kundenerlebnis bleibt auf der Strecke. Göbbel: „Auf Dauer ist das kein nachhaltiges Geschäftsmodell.“

Raus aus der Misere

Gibt es einen Ausweg aus der Misere? „Der intelligente Einsatz neuer Technologien ermöglicht eine Kundenbindung an die Handelsmarke, wie sie traditionell zwischen Fachverkäufer und Kunden bestand“, fordert Daegling. Als Positiv-Beispiel nennt der Berater Ikea: „Das Unternehmen identifiziert seine Kunden über die Family-Karte in allen Kanälen und macht ihn so zum Teil der eigenen Community. Im Gegenzug ist der Kunde bereit, Ikea als Händler sein Vertrauen zu schenken und bleibt der Marke treu.

Zumal die orange-farbene Kundenkarte der Schweden vom Kunden nicht nur als Bezahlkarte genutzt wird. Ikea-Family-Mitgliedern werden Sonderrabatte eingeräumt, sie können sich per Mail informieren lassen, wenn bestimmte, im Einrichtungshaus ausverkaufte Artikel wieder lieferbar sind, sie werden über Events in den Häusern informiert oder in den Restaurants zum kostenlosen Kaffee eingeladen.

Von den Ikea-Erfahrungen können auch andere stationäre Handelsketten lernen. „Der Handel muss auf seinen Flächen ein Kundenerlebnis schaffen – mit den richtigen Produkten, der richtigen Beratung, den richtigen Mitarbeitern und den dazu passenden und am Kunden ausgerichteten Prozessen“, sagt Göbbel.

Deutschlands teuerste Einkaufsstraßen
Platz 10Die Fußgängerzone Grimmaische Straße in Leipzig rangiert mit einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 120 Euro pro Monat auf dem zehnten Platz der teuersten Shoppingmeilen Deutschlands. Quelle: dpa
Platz 9Auf den Nürnberger Einkaufsstraßen Ludwigsplatz / Hefnersplatz / Karolinenstraße liegen die durchschnittlichen Sätze für ein Ladenlokal bei 160 Euro pro Quadratmeter. Quelle: dpa
Platz 8Bekannt für Politklüngel und Hochdeutsch: In Hannover kostet eine Gewerbeimmobilie etwa auf der Georgstraße im Schnitt 195 Euro pro Quadratmeter. Quelle: Creative Commons-Lizenz
Platz 7 / 6Auf der Königstraße in Stuttgart tummeln sich zur Spitzenzeit 11.335 Personen. Mit durchschnittlich 250 Euro pro Quadratmeter Ladenfläche müssen Händler hier rechnen. Quelle: dpa
Platz 7 / 6Auch auf der Kölner Schildergasse bezahlen Händler 250 Euro für den Quadratmeter Ladenfläche. Quelle: dpa
Platz 5Auf der Spitaler Straße in Hamburg tummeln sich zu Spitzenzeit 9840 Personen. In Sachen Ladenmiete sind bis zu 275 Euro pro Quadratmeter fällig. Quelle: Gemeinfrei
Platz 4Rang vier geht an die Kö in Düsseldorf. Wer hier seinen Laden neben Armani, Gucci oder Chanel platzieren will, legt dafür im Schnitt 285 Euro monatlich pro Quadratmeter hin. Quelle: dpa/dpaweb

Das wichtigste Instrument zur Identifizierung des Kunden in allen Vertriebskanälen ist eine Kundenkarte, auch gegen Prämien einlösbare Treuepunkte und die Möglichkeit, an der Ladenkasse mobil zu bezahlen, helfen dabei, den eigenen Kunden zu erkennen und mehr über sein Konsumverhalten zu erfahren.

„Wer dann auch noch die Präsentation der Waren optimiert, macht Einkaufen wieder zu einem positiven Erlebnis und hat die Chance, aus den Marken-treuen Kunden in einen Händler-treuen Kunden zu verwandeln“, beschreibt Berater Daegling den Weg aus der Krise. „Dieser Kunde steigt dann auch irgendwann auf die Eigenmarke des Händlers um und trägt damit zur Verbesserung der Rendite bei.“ Die Baumarktkette Hornbach, die DM-Drogeriemärkte oder die Lebensmitteleinzelhandelskette Edeka sind Beispiele für erfolgreiche Veränderungsprozesse.

Marktvorteil durch Erlebnis-Gastronomie

Der Lebensmitteleinzelhandel muss allerdings noch ein zusätzliches Problem lösen: „Gegenüber Discountern wie Aldi oder Lidl haben konventionelle Filialketten wie Edeka oder Rewe das Problem, dass sie als teurer wahrgenommen werden, obwohl das bei den meist gekauften Artikeln überhaupt nicht zutrifft“, sagt Björn Schuppar, Gründer und Chef der auf Pricing spezialisierten Beratung Schuppar Consulting aus Düsseldorf. „Damit entfällt der Preis als Differenzierungsmerkmal, konventionelle Ketten wie Edeka und Rewe müssen andere Kriterien entwickeln, mit denen sie sich positiv von den Discountern abheben.“

Möglichkeiten dazu gibt es – doch manchmal erfordern sie Phantasie und die Bereitschaft, bisher selbst gesetzte Grenzen zu überschreiten. „Gastro-Formate mit Erlebnischarakter sind schwer in Mode, wie etwa Verkaufstheken mit frischem Sushi und vielen weiteren Asia-Produkten drumherum“, sagt Schuppar, „das zieht die Leute in den Laden und erhöht die Verweildauer und schafft damit die Voraussetzungen für einen höheren Umsatz pro Einkauf.“

Kundenbindung durch emotionale Einkaufserlebnisse sind der eine Trend im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel, zusätzliche Serviceleistungen wie etwa Lieferdienste ein anderer. Auch das schafft eine engere Kundenbindung und Preiserhöhungsspielräume. Lieferdienste verursachen allerdings auch Kosten. Schupppar hat auch dafür eine ganz praktische Lösung: „Warum tun sich die Lebensmittelhändler nicht mit einer Reinigung zusammen?“ Der Lieferdienst könnte gleichzeitig die Wäsche einsammeln und ausliefern. „Das senkt die Kosten und hilft dabei, aus dem Zusatzservice ein Geschäft zu machen.“

Und warum sind kleine Beratungsboutiquen wie Schuppar, Batten & Company oder Unex bei solchen Ideen kreativer als die großen Generalisten wie McKinsey, Boston Consulting, Bain oder Roland Berger? „Die drei Beratungsunternehmen kombinieren hohe analytische und fachliche Kompetenz mit Umsetzungsätzungsstärke und  bieten pragmatische Lösungen“, lobt Eva Manger-Wiemann, Partnerin der Züricher Meta-Beratung Cardea. „Das ist gerade für die Einzelhandelsbranche besonders relevant, da der Wettbewerbsdruck sehr hoch ist und damit schnelle, tragfähige Lösungen gefragt sind.“

Cardea hat mit dem ConsultingSearcher eine Internet-basierte Suchmaschine entwickelt, mit der die kleinen und mittelgroßen Spezialisten der Beratungsszene besser gefunden werden können: Über eine Matrix werden Beratungsthema und Branche ausgewählt, mit dem dritten Mausklick landet der Interessent bei dem Beratungsunternehmen, das für seine Branche und Fragestellung am besten geeignet ist. Zusätzlicher Vorteil der Cardea-Suchmaschine: „Die gelisteten Berater müssen ihre Kompetenz mit mehreren erfolgreichen Projekten nachgewiesen haben“, sagt Manger-Wiemann.

Die kleinen Spezialisten wissen um ihre Stärken: „Als mittelständische Berater können wir uns schneller und besser in die Strukturen von Einzelhandelsketten hineindenken“, sagt Schuppar. Zudem nehmen sich die Kleinen mehr Zeit: „Wir bleiben sechs bis acht Wochen – so lange, bis die neuen Konzepte funktionieren“, sagt Batten & Company-Berater Göbbel, „das wäre bei den großen Häusern und deren Honorarsätzen überhaupt nicht bezahlbar.“

Hinzu kommt: „Unsere Konzepte orientieren sich an den Kernkompetenzen unserer Kunden und nicht an erfolgreichen Vorlagen aus dem Ausland“, sagt Unex-Berater Daegling. Große, globale Beratungshäuser neigen dagegen eher dazu, bereits in anderen Ländern bewährte Konzepte zu übertragen, auch wenn das weder zur Kultur der Unternehmen noch zur Kundschaft passt.

Walmart ist ein Paradebeispiel dafür, wie anderswo erfolgreiche Ideen hierzulande krachend scheitern können. Mitte der Neunzigerjahre übernahm die US-Einzelhandelskette die SB-Märkte von Wertkauf und Interspar in Deutschland. Doch das am US-Vorbild ausgerichtete Konzept mit Begrüßungspersonal am Eingang und einstudierten Freundlichkeitsfloskeln funktionierte in Deutschland überhaupt nicht. 2006 war Schluss, nach Verlusten von insgesamt drei Milliarden Euro wurden die Märkte an die Metro verkauft.

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