Wenn Nestlé, der mit einem Umsatz von mehr als 70 Milliarden Euro größte Nahrungsmittelhersteller der Welt, zu einer Grundsteinlegung in den Süden von Schwerin lädt, dann kommen sogar die ganz Großen und Wichtigen. An der Auftaktfeier für die größte Kaffeekapselfabrik in Europa nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teil. Für Schwerin und das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern bedeutet das Werk 450 Arbeitsplätze, der Betrieb soll Mitte nächsten Jahres anlaufen.
Der Schweizer Konzern aus dem beschaulichen Vevey am Genfer See lässt für die Fabrik mit seinen zwölf Produktionslinien am Stadtrand von Schwerin 220 Millionen Euro springen. Das Werk soll die Märkte in Deutschland sowie Nord- und Osteuropa mit Kapseln der Marke Nescafé Dolce Gusto versorgen. Das Bundesland fördert den Bau mit 22,5 Millionen Euro. Bislang produzierte Nestlé seine Kaffeekapseln in England und Spanien. Für die Standortwahl war nach Angaben Nestlés unter anderem die günstige Lage zum Kaffee-Umschlagsplatz Hamburg ausschlaggebend.
Das mediale Spektakel liefert schöne bunte Bilder und rundum zufriedene Teilnehmer: Vertreter von Stadt und Land freuen sich über die hohe Investitionssumme in der strukturschwachen Region, die Schweriner über fast 500 neue Arbeitsplätze und Merkel über einen willkommenen Termin im Hinblick auf die Bundestagswahl.
Für Mecklenburg-Vorpommern sind die Nestlé-Millionen ein Hoffnungsfunke, denn die Investition gilt als eine der größten in der Geschichte des Bundeslandes. Die Werften, bisher industrielles Rückgrat im Küstenland, heute jedoch krisengeschüttelt, bauten ihre Belegschaften von einst 29.000 auf heute kaum mehr 3000 Mitarbeiter ab. Nun ist das Land gezwungen, auf einen langfristigen Strukturwandel zu setzen. Und Nestlé ist dabei ein tragender Baustein. „Das ist eine wichtige Investition für die Landeshauptstadt Schwerin und für ganz Mecklenburg-Vorpommern“, sagte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) im Vorfeld. Die Ernährungswirtschaft habe sich im Nordosten zu einem der stärksten Wirtschaftszweige entwickelt. „Und diese Branche wird durch die Ansiedlung von Nestlé weiter gestärkt.“
In erster Linie stärkt sich selbstverständlich Nestlé.Denn das Geschäft mit den Kaffeekapseln boomt. Im Jahr 2011 hatte der Konzern nach eigenen Angaben mit den Gusto-Kapseln eine Wachstumsrate von mehr als 50 Prozent erzielt. Die Kaffeekapseln seien „eines der am schnellsten wachsenden Geschäftsfelder von Nestlé in Europa“, hatte Europachef Laurent Freixe erklärt.
Pads und Kapseln immer beliebter
Im letzten Jahr hat jeder Deutsche durchschnittlich 150 Liter Kaffee geschlürft. Insgesamt sind 400.000 Tonnen Röstkaffee und 13.000 Tonnen löslicher Kaffee konsumiert worden. Einen starken Anstieg gab es vor allem bei Kaffeekapseln: Der Absatz dieses in kleinen Aludöschen eingeschweißten Kaffees legte im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent auf 10.000 Tonnen zu. Dabei scheinen die Kapseln vor allem ein Lifestyle-Gefühl zu vermitteln, denn zum Einsatz kommen die bunten Döschen vor allem in Single-Haushalten und bei Gelegenheitskaffeetrinkern.
Pads und Kapseln werden immer beliebter. Sie sind wegen des wachsenden Verpackungsmülls aber auch umstritten. Anders als beim Nespresso-System, wo es bereits preiswertere Konkurrenzkapseln gibt, können bei Dolce Gusto nur Originalkapseln von Nestlé benutzt werden. Und deren Preis pro Gramm liegt bei einem Vielfachen von herkömmlichem Kaffee.
In dem seit Ende 2010 andauernden Rechtsstreit zwischen den Firmen Nespresso und der Schweizer Handelskette Denner, in dem es um den Markenschutz von Kaffeekapseln geht, ist kürzlich ein wegweisendes Urteil gefällt worden. Das Handelsgericht St. Gallen entschied, dass es zwischen den Originalprodukten von Nespresso und den Imitaten aus dem Hause Denner, die mit den Nespresso-Maschinen kompatibel sind, keine Verwechslungsgefahr gibt. Die Richter sehen deshalb auch keinen Grund, Denner den Verkauf seiner Nachahmerprodukte zu untersagen. Die Entscheidung hat jedoch nur provisorischen Charakter; Nespresso verfügt über die Möglichkeit, den Fall ans Bundesgericht weiterzuziehen oder ein ordentliches Verfahren anzustreben.
Kurz nach dem Richterspruch kündigte Nestlé jedoch den Verzicht auf eine Klage gegen die neuen Kaffeekapseln von Denner an. „Wir behalten uns künftige rechtliche Schritte gegen andere Kapselproduzenten vor“, erklärte jedoch Nespresso-Sprecherin Diane Duperret gegenüber einer Schweizer Nachrichtenagentur.
Im Fokus der deutschen Öffentlichkeit steht die Umweltbilanz der Nestlé-Kapseln. Insbesondere die Verpackung sei für die Ökobilanz verheerend, lautet die Kritik von Verbraucher- und Umweltschützern. Den Gewinn erwirtschafte der Konzern auf Kosten von Kunden und Umwelt. Da die Kapseln nur eine Portion von etwa 4 bis 7 Gramm fassen, entstehe enorm viel Müll für besonders wenig Kaffee.
Gegenwind kommt auch noch von anderer Seite. Unmittelbar vor der Grundsteinlegung für das neue Kaffeewerk formierte sich Widerstand gegen den Lebensmittelkonzern. Nach der Bewerbung Schwerins um den Titel Fairtrade-Stadt sieht die außerparlamentarische Opposition keinen Platz für den Lebensmittelkonzern in der Landeshauptstadt. Mit dem Fairtrade-Siegel wird den Erzeugern in Entwicklungsländern ein Mindestpreis garantiert, der über dem Weltmarktpreis liegt.
Fairtrade-Aktivisten werfen dem Unternehmen vor, sein Geschäft auf unwürdigen Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt aufzubauen und damit der Bewerbung Schwerins als Fairtrade-Stadt entgegenzuwirken. Es sei enttäuschend, wenn sich ein Global Player wie Nestlé so wenig für den fairen Handel in der Welt engagiere, kritisierte Ralf Göttlicher, Vorstand im Weltladen der Aktionsgruppe Eine Welt e.V. in Schwerin. Das Unternehmen biete derzeit nur ein Fairtrade-Produkt an. Andere Hersteller seien weiter.