Nivea, Ritter Sport, Hochland und Co. Wie deutsche Marken weiter in Russland Geschäft machen

Alles raus aus Russland? Von Lebensmittelherstellern und Konsumgüterkonzernen sind solche Aussagen seltener zu hören. Quelle: Getty Images

Alle raus aus Russland? Nein, eine Branche bleibt: Lebensmittel sind von Sanktionen ausgenommen, und Markenkonzerne verkaufen weiterhin „Gegenstände alltäglichen Bedarfs“. Dazu zählen auch: Eis, Schokolade und Hautcreme.

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Der Hamburger Konzern versuchte es mit einem Kompromiss. Die Klebestreifen von Tesa? Verkauft Beiersdorf in Russland nicht mehr. Auch auf Cremes von La Prairie, eine der teuersten Hautpflegemarken der Welt, sollen die russischen Kunden verzichten. Aber Nivea? Gibt es weiter in den russischen Regalen. Ebenso die Hautpflegemarke Eucerin. Das Portfolio sei damit „erheblich reduziert auf Produkte zur elementaren Haut- und Körperpflege“, teilt der Konzern mit.

Ein Jahr nach dem Angriff des russischen Militärs auf die Ukraine sind deutsche Marken nicht aus den Regalen der russischen Supermärkte verschwunden, im Gegenteil. Viele Lebensmittelproduzenten und Konsumgüterkonzerne sind weiter in Russland aktiv – zumindest teilweise. So produzieren deutsche Molkereien wie DMK und Hochland weiter Milch und Käse vor Ort, Ritter Sport liefert weiter Schokolade – und Beiersdorf verkauft seine Nivea-Creme.

Für andere Branchen kommt das nicht mehr in Frage. Die Baumarktkette Obi hat ihre Märkte gleich nach Kriegsbeginn an das örtliche Management zum Spottpreis abgestoßen und kämpft nun um die Rechte an seiner Marke. Henkel und auch der Autobauer Volkswagen wollen schnell verkaufen. Der Autozulieferer Continental zögerte zwar fast ein Jahr, hat aber nun seinen Rückzug aus Russland angekündigt. Selbst der Maschinenfabrikant Bosch prüft nun „verschiedene Optionen, darunter auch Verkäufe.“

Alles raus aus Russland? Von Lebensmittelherstellern und Konsumgüterkonzernen sind solche Aussagen seltener zu hören. Einige hängen stark an dem Markt, machen dort große Teile ihres Umsatzes. Andere fürchten um ihre Marken. Viele wollen ihre langjährige Belegschaft vor Ort nicht in die Arbeitslosigkeit schicken. Zwar haben beinahe alle Werbemaßnahmen eingestellt, Investitionen gestoppt und versprechen auch, Gewinne zu spenden. Ihre Produkte aber produzieren und verkaufen sie weiter – zumindest teilweise.

Wer als westliches Unternehmen in Russland weiter Geschäfte betreibt, findet einen prominenten Platz auf der „Liste der Schande“ der Yale-Universität. Im Interview erzählt ihr Begründer, was öffentlicher Druck bewirkt.
von Artur Lebedew

Wie Medikamente sind Lebensmittel sind etwa sind von den produktbezogenen Sanktionen der EU ausgenommen. Das gleiche gilt für „Gegenstände des alltäglichen Bedarfs“ – dazu zählen etwa Windeln oder Hygieneprodukte. „Wir halten die Sanktionen in vollem Umfang ein und verfügen über die geeigneten Arbeitsmethoden, um unsere Geschäfte in Russland im Rahmen der Sanktionen und trotz des sehr schwierigen Umfelds zu führen“, erklärt etwa Beiersdorf.

Doch was alltägliche Güter sind, oder welche Produkte zur Grundversorgung gehören, das wird immer mehr zu einer Debatte. Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen kritisieren Konzerne vehement für ihr Engagement in Russland und setzen die Konzerne damit unter Druck.

Ein Team der Yale School of Management etwa hat eine Datenbank aufgebaut und benotet darin Unternehmen auch für Engagement in Russland. Die Übersicht trägt bereits den Spitznamen „Liste der Schande“ - und sorgt auch bei deutschen Unternehmen für Unwohlsein. Das Team der Universität stellte deutschen Konzernen wie den Süßwarenproduzenten Storck und Zentis und auch Zott die schlechteste Note aus, die Konzerne würden wie gewohnt weiter ihren Geschäften nachgehen. Zu Unrecht, wie Zott betont. „Von einem „business as usual“ kann also keine Rede sein“, heißt es aus dem Konzern. Der Konzern habe schon im Februar 2022 Lieferungen nach Russland eingestellt. Auch andere fühlen sich unfair benotet und beschweren sich, dass die Forscher und Forscherinnen niemals direkten Kontakt mit den Unternehmen aufgenommen hätten.

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Noch aggressiver geht die Londoner „Moral Rating Agency“ vor – ein selbsternannter Sittenwächter über westliche Konzernaktivitäten in Russland. Die Organisation hat eine Liste der „dirty Dozen“ veröffentlicht – zwölf Konzernen, die sich angeblich aus Russland zurückgezogen haben, in Wirklichkeit aber ein Großteil ihrer Geschäfte weiterlaufen lassen, behauptet die Moral Rating Agency. Zu diesen dreckigen Zwölf gehören etwa Ölkonzerne wie Saudi Aramco oder BP, aber eben auch gleich fünf Konsumgüterkonzerne: Unilever (bekannt für Marken wie Dove, Knorr oder Langnese), Procter&Gamble (Pampers, Ariel, Always), PepsiCo (Pepsi, Lay’s, Doritos), und Nestlé (Maggie, Kitkat, Nespresso). Die Organisation kritisiert etwa, dass Unilever oder Nestlé weiter Eiscreme verkaufen. PepsiCo habe zwar die Produktion von Softdrinks wie 7Up und dem Energiedrink Mountain Dew eingestellt, verkaufe aber weiter Kartoffelchips.

Die Konzerne verweisen darauf, dass sie Investitionen und Werbung gestoppt oder einen Großteil ihres Geschäfts eingestellt haben und eine moralische Verantwortung für Belegschaft und die Versorgung der russischen Bevölkerung tragen. Unilever etwa rechtfertigte sich öffentlich, weiter Magnum und Co in Russland zu verkaufen, sei die „am wenigsten schlechte Option“ die Werke und die 3500 Beschäftigten in Russland zu beschützen. Nestlé erklärte gegenüber Medien, der Konzern habe sein Portfolio „drastisch reduziert“. Alle verbleibenden Geschäfte würden sich darauf konzentrieren „die Menschen vor Ort mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen“. Dies stehe im Einklang mit Nestlés Ziel, „das Grundrecht auf Nahrung zu gewährleisten“.

Ritter Sport kommt auf den sozialen Medien unter dem Hashtag „Quadratisch. Praktisch. Blut.“ zunehmend unter Druck. Ethisch ist das Festhalten am russischen Markt höchst fragwürdig – wirtschaftlich jedoch goldrichtig.
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Der Schokoladenhersteller Ritter Sport wurde wegen seinen Aktivitäten mit Russland von einem Shitstorm überzogen. In den sozialen Netzwerken tauchten Posts mit dem abgewandelten Slogan „Quadratisch. Praktisch. Blut“ auf. Ritter Sport aber hält an seiner Position fest – bis heute: „Wir liefern weiterhin Schokolade nach Russland“, sagt eine Sprecherin. „Unser Marktanteil in Russland ist nach jüngsten Marktforschungsdaten leicht zurückgegangen.“ Vor Ort hat Ritter Sport dazu auch eine Vertriebsgesellschaft mit rund hundert Mitarbeitern, der Konzern wolle außerdem die Geschäfte der Kakaobauern schützen, die von Ritter Sport abhängig sind, teilte der Konzern mit. Die Gewinne aus dem Geschäft aber – rund 1,5 Millionen Euro – habe Ritter Sport gespendet.

Etwa die Molkereien: Sowohl Deutschlands größte Molkerei DMK, als auch die Konkurrenten Ehrmann und die Käserei Hochland produzieren in Russland. Der Grund: Bereits 2014, nach der Annexion der Krim, verbot die russische Regierung den Import von Milchprodukten aus der EU. Die Molkereien bauten daraufhin ihre Kapazitäten vor Ort aus, um den Markt beliefern zu können.
Hochland ist heute in Russland Marktführer, produziert dort Frischkäse, Schmelzkäse oder Hartkäse und machte so zuletzt einen Viertel seines Jahresumsatzes in Russland.

„Aus unserer verantwortungsethischen Sicht hat der Verbleib eines deutschen Nahrungsmittelunternehmens in Russland aber keinerlei Einfluss auf den Kriegsverlauf oder Putins Entscheidungen“, erklärte Hochland-Chef Peter Stahl im Handelsblatt die Entscheidung. Man wolle nicht auf das Narrativ Putins einzahlen, dass der Westen sich gegen die russische Bevölkerung stelle. „Natürlich haben wir Werbung gestoppt, gerade auch im russischen Staatsfernsehen, und Investitionen auf Eis gelegt, um Zeichen zu setzen“, sagt der Hochland-Chef schon im vergangenen Frühjahr. Das Unternehmen selbst will sich auf Anfrage der WirtschaftsWoche nicht dazu äußern, wie die Geschäfte in Russland aktuell laufen – erst im Mai werde der Konzern sich dazu wieder öffentlich äußern, erklärt eine Sprecherin.

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Die Molkerei Zott wiederrum hat genug. Das Unternehmen hat keine Werke in Russland, nur eine Vertriebsorganisation vor Ort. Doch die soll bald abgewickelt sein. „Die formelle Auflösung der Gesellschaft ist bereits angestoßen“, teilt Zott mit. Die Marke Zott würde dann aus den russischen Regalen verschwinden.

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