Online-Möbelhandel Wo bleibt das Zalando der Möbelbranche?

Möbelkauf im Internet Quelle: Getty Images

Während der Möbelmarkt in Deutschland stagniert, wächst der Online-Möbelhandel zweistellig. Zuletzt konnten klassische Möbelhäuser gegenüber Online-Händlern aufholen. Doch Home24, Otto, Amazon und Co. rüsten kräftig auf.

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Das neue Sofa aussuchen und kaufen – während man auf dem alten sitzt: Diese Praxis ist für die Mehrheit der Deutschen offenbar noch immer keine annehmbare Alternative zum Möbelhausbesuch. Der Online-Anteil am Möbelmarkt ist vergleichsweise gering. Je nachdem, welche Statistik man heranzieht, sind es rund acht Prozent (Bundesverband E-Commerce und Versandhandel) oder 17 Prozent (laut Beratungsunternehmen PWC). Zum Vergleich: Im Segment Unterhaltungselektronik etwa werden mehr als 30 Prozent aller Produkte übers Internet gekauft, auch Kleidung hat einen Online-Anteil von fast 28 Prozent. Doch dem Online-Vertrieb deswegen keine Aufmerksamkeit zu widmen, käme für Möbelhändler einem strategischen Bankrott gleich.

Denn der Möbelmarkt in Deutschland wächst derzeit nicht mehr – er verteilt sich nur anders. Laut dem „Branchenfokus Möbel“, herausgegeben vom Kölner Institut für Handelsforschung und der BBE Handelsberatung, ist der Markt für Wohnmöbel im Jahr 2018 sogar um 1,3 Prozent gesunken auf 19,9 Milliarden Euro. Gestiegen ist allein der Online-Anteil: in den vergangenen fünf Jahren jährlich um durchschnittlich 16,6 Prozent. Und der Ausblick von IFH Köln und BBE ist eindeutig: bis zum Jahr 2023 wird sich der Umsatz der übers Netz bestellten Möbel auf 3,3 Milliarden Euro nahezu verdoppeln. „Online zu ignorieren hieße für die Marktteilnehmer, nicht mehr am Wachstum teilzuhaben“, mahnen die Autoren von „Branchenfokus Möbel“.

Den „Branchenfokus Möbel“ Jahrgang 2020 veröffentlichen IFH Köln und BBE in den nächsten Tagen. „Die Grundtendenz ist ähnlich geblieben“, sagt Uwe Krüger, Möbelhandelsexperte des IFH Köln. „Der Möbelmarkt hinkt ein bisschen hinterher, aber seit ein paar Jahren nähert man sich den Größenordnungen an, die andere Branchen schon haben.“

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Klassische Händler holen auf

Auf diesem leicht schrumpfenden Gesamtmarkt konnten zuletzt eher die sogenannten Omni-Channel-Händler zulegen (wenngleich auch nicht alle); also klassische stationäre Möbelhändler, die ihren Vertrieb online erweiterten. Dazu zählen etwa Deutschlands Platzhirsch Ikea, der Möbel-Discounter Roller oder der Händler Segmüller. Diese Händler, sagt BBE-Vorstandsmitglied Sebastian Deppe, hätten den Vorteil eines hohen Bekanntheitsgrades – Segmüller, Roller, Ikea und Co. gibt es schließlich schon mehrere Jahrzehnte in Deutschland. Da sei es für viele Stammkunden logisch und konsequent, online zunächst auch beim bekannten Möbelhaus zu schauen.

Der Aufbau eines Online-Vertriebs kostet viel Geld und Personal – weshalb IFH Köln und BBE hier insbesondere die Großen der Branche im Vorteil sehen. „Weniger potent aufgestellte Möbelhändler können hier nicht mithalten, da eine wirksame, breit aufgestellte Online-Plattform, beispielsweise unter Verbandsregie, fehlt“, schreiben die Autoren. „So werden die „Kleinen“ zunehmend verdrängt, sei es durch Aufgabe oder Übernahme.“ Dazu passt die Meldung vom Sommer 2019, als der österreichische Möbelkonzern XXXLutz – die Nummer zwei in Deutschland mit einem hiesigen Umsatz von rund vier Milliarden Euro – eine Digitaloffensive bekanntgab: Der österreichische IT-Dienstleister Premedia baut für XXXLutz einen sogenannten Marketing Content Hub auf, der unter anderem Vorabinformationen und Kaufentscheidungen potenzieller Kunden auf verschiedenen Kanälen vereinfachen soll.

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Wieder anders sieht es bei reinen Online-Möbelhändlern aus: Sie müssen sich ihre Stammkunden erst erarbeiten – in deutlich kürzerer Zeit. Begreiflicherweise dominieren aber diese jungen, nicht-stationären Möbelhändler den deutschen Online-Möbelmarkt, mit einem Anteil von derzeit rund 70 Prozent, wie IFH Köln und BBE notieren. Allen voran: Home24. Das digitale Möbel-Start-up wurde erst 2009 in Berlin gegründet. Nun legte Home24 seine neueste Bilanz vor: Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen 372 Millionen Euro umgesetzt, eine Steigerung von rund 20 Prozent nach 312,7 Millionen Euro im Jahr davor.

Im vierten Quartal 2019 gelang dem Jungunternehmen zudem das erste profitable Quartal der Firmenhistorie. 2019 hatte Home24 reichlich investiert: vor allem in eine Erweiterung der Lagerflächen in Europa und Brasilien und in eine effizientere Geschäftsressourcenplanung (ERP-System). Für das laufende Geschäftsjahr rechnet das Unternehmen abermals mit einer Umsatzsteigerung zwischen 15 und 20 Prozent. Home24-Chef Marc Appelhoff sieht noch viel Potenzial: „Der Markt ist riesig, es gibt aber noch keinen klaren Gewinner wie etwa in anderen Online-Branchen Amazon und Zalando.“

Auch Tchibo und Lidl verkaufen Möbel online

Appelhoff leitet mit Home24 den größten der reinen Online-Möbelhändler. Der größte Konkurrent Westwing, 2011 in München gegründet, kommt auf einen Umsatz von rund 254 Millionen Euro. Der US-Möbelhändler Wayfair weist keinen Umsatz für Deutschland aus. Aber Konkurrenz droht auch von Händlern, die Möbel lediglich als Nebenprodukt vertreiben. So erwirtschaftet der Hamburger Kaffeehändler Tchibo laut den Daten von Ecommercedb, einem Tochterunternehmen von Statista, online rund 194 Millionen Euro mit dem Verkauf von Möbeln; und auch der Lebensmitteldiscounter Lidl setzte 2018 online mit Möbel noch gut 167 Millionen Euro um.

Doch die Frage, wer Deutschlands digitaler Möbelkönig ist, lässt sich aus mehreren Gründen nicht eindeutig beantworten. Der US-Versandriese Amazon erwirtschaftete laut den Daten von Ecommercedb in Deutschland im Jahr 2018 fast 1,3 Milliarden Euro mit Möbeln und Haushaltsgeräten – und wäre damit die Nummer eins. Aber bestätigen will Amazon Deutschland das auf WirtschaftsWoche-Nachfrage nicht: Umsatzzahlen einzelner Kategorien veröffentliche man grundsätzlich nicht. Wie genau man in Abgrenzung zu den Wettbewerbern die Kategorien Möbel und Haushaltsgeräte definiert, und wie viel von den 1,3 Milliarden Euro auf was entfällt, offenbart Amazon ebenfalls nicht.

Möbelhandel: Die Vorzüge des Probesitzens

Doch die Amerikaner machen unabhängig davon deutlich, dass sie im deutschen Möbelgeschäft mitmischen wollen. Anfang 2019 hat Amazon zwei eigene Möbellinien ins Programm genommen: Movian, in Preis und Design offenbar von Ikea inspiriert, sowie die höherpreisige Marke Alkove.

Auch der Hamburger Handelsriese Otto nennt sich „Deutschlands führender Online-Möbelhändler“. Allerdings ebenfalls, ohne Ross und Reiter zu nennen. Bisher hat Otto nur einmal eine Umsatzzahl für seinen Online-Geschäftsbereich „Home&Living“ veröffentlicht: Für das Geschäftsjahr 2017/2018 (März 2017 bis Februar 2018) lag der Umsatz dieser Sparte bei mehr als 950 Millionen Euro. Dazu zählt Otto aber nicht nur Schränke, Tische und Betten, sondern auch Teppiche, Gardinen und Dekorationsartikel. Und seitdem? Eine Otto-Sprecherin teilt auf Anfrage unserer Redaktion mit, in den vergangenen beiden Geschäftsjahren sei der Möbelbereich (als Teilbereich von „Home&Living“) jeweils „zweistellig gewachsen“. Wie hoch aber der Möbel-Anteil an „Home&Living“ ist, verrät Otto nicht.

Im Sommer 2019 kündigte Otto an, seine 24-Stunden-Lieferung in Zukunft auch auf die Möbel auszurollen – gerade bei Polstermöbeln ein nicht leicht einzuhaltendes Versprechen. Dafür baute Otto in Nürnberg ein großes Logistikzentrum auf. André Müller, seit 32 Jahren bei Otto, leitet seit drei Jahren die Sparte „Home&Living“. Auf der Internationalen Möbelmesse in Köln im Januar stellte Otto nun bereits das dritte Jahr in Folge aus. Die Durchdringung im Online-Möbel-Handel, sagte Müller jüngst im Otto-eigenen Podcast, „ist noch nicht ganz so hoch“. Die größte Herausforderung sei die Haptik: Stoff- und Holzmuster können Otto-Kunden kostenlos bestellen, um sie mal anzufassen. Otto wolle in Zukunft beim Online-Möbel-Kauf noch mehr Service bieten und mehr Informationen, erklärte Müller, ähnlich wie Matratzenhändler: mit Informationen über Härtegrade, Zonen, Sitzaufbau und Federkern – dann sei eine Beratung „noch besser möglich“.

Interessanterweise erkennen auch vormals reine Online-Händler gewisse Vorzüge darin, ihren Kunden das Sofa zum Anfassen und Draufsetzen zur Verfügung zu stellen. Home24 etwa betreibt mittlerweile sieben Geschäfte in Deutschland. Auch Konkurrent Westwing eröffnet „hin und wieder“ und „für kurze Zeit einen Pop-Up-Store, damit unsere Kunden die Artikel vor dem Einkauf auch hautnah erleben können“, schreibt das Unternehmen auf seiner Webseite.

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Und der Marktführer? Ikea Deutschland ist mit einem Gesamtumsatz von 5,3 Milliarden Euro Deutschlands Möbelkönig. Doch während der Gesamtumsatz 2019 im Vergleich zum Vorjahr nur um moderate 5,5 Prozent zulegte, eskalierte Ikeas Online-Anteil in Deutschland um 33 Prozent auf nunmehr 494 Millionen Euro. Damit hat Ikea einen Online-Anteil von 9,4 Prozent erreicht. Der durchschnittliche Online-Anteil aller Ikea-Landesgesellschaften weltweit liegt sogar bereits bei 11 Prozent. Ikea-Deutschland-Chef Dennis Balslev erklärte der WirtschaftsWoche: „In Deutschland ist man eher traditionell: Der Online-Anteil am gesamten Handel in Deutschland ist kleiner als in vielen anderen Ländern“. Eines Tages aber werde er auch hier zweistellig sein.

Doch trotz des derzeitigen Online-Wachstums – die nun gewohnten Steigerungsraten werden auch wieder an Kraft einbüßen, prophezeit Sebastian Deppe von der Handelsberatung BBE: „Der Möbelkauf ist nicht so einfach zu digitalisieren wie etwa der Kauf von Büchern, Elektronik oder Kleidung.“ Das liege vor allem an der „komplexen Wertschöpfungskette der Möbel“: Je höher der Preis des Möbelstücks, desto seltener kauft man sich solch ein Produkt und desto sorgfältiger wählt man es auch aus. „Bestimmte Sortimentsbereiche eignen sich besser für den Onlinehandel, aber insgesamt wird die Möbelbranche nicht die breite Online-Verteilung finden wie andere Branchen.“ Uwe Krüger von der IFH Köln stimmt zu: „So hoch wie etwa bei Büchern oder Elektronik wird der Online-Anteil im Möbelmarkt wohl nicht steigen.“

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