Vor Typen wie Kevin Monk haben sie gewarnt. Mit aller Macht werden Onlinehändler aus dem Ausland versuchen, auch deutsche Kunden für sich zu gewinnen, predigen Handelsexperten. "Die Gefahr für den deutschen Handel ist der Onlineshop aus dem Nachbarland", sagt Gerrit Heinemann Leiter des eWeb Research Centers und Professor für BWL, Managementlehre und Handel an der Hochschule Niederrhein im Gespräch mit WiWo Online.
Monk, neuer Deutschland-Chef des Online-Händlers AO, wirkt wie der Prototyp dieser Gefahr. Seit 15 Jahren verkauft AO - kurz für Appliances Only - im Vereinigten Königreich Waschmaschinen, Kühlschränke, Musik-Anlagen, Computer und TV-Geräte - ausschließlich über das Netz. Damit ist der Pure-Player ziemlich erfolgreich und zählt unbestritten zu den erfolgreichsten Onlinehändlern der Insel.
So wichtig wird der grenzübergreifende Handel
Gesamtumsatz Onlinehandel in Europa: 402 Milliarden Euro
Davon im jeweiligen Heimatmarkt: 346 Milliarden Euro
Davon im grenzübergreifenden Handel: 56 Milliarden Euro
Quelle: eMarketer.com / European Multi-channel an Online Trade Association
Stand: 2014
Gesamtumsatz Onlinehandel in Europa: 446 Milliarden Euro
Davon im jeweiligen Heimatmarkt: 377 Milliarden Euro
Davon im grenzübergreifenden Handel: 69 Milliarden Euro
Gesamtumsatz Onlinehandel in Europa: 491 Milliarden Euro
Davon im jeweiligen Heimatmarkt: 407 Milliarden Euro
Davon im grenzübergreifenden Handel: 83 Milliarden Euro
Gesamtumsatz Onlinehandel in Europa: 535 Milliarden Euro
Davon im jeweiligen Heimatmarkt: 436 Milliarden Euro
Davon im grenzübergreifenden Handel: 99 Milliarden Euro
Gesamtumsatz Onlinehandel in Europa: 578 Milliarden Euro
Davon im jeweiligen Heimatmarkt: 462 Milliarden Euro
Davon im grenzübergreifenden Handel: 116 Milliarden Euro
Vor acht Monaten hat das Unternehmen den Schritt auf den Kontinent gewagt. AO hat seit Oktober 2014 nicht nur eine eingedeutschte Website, sondern beliefert die Kunden auch aus einem eigenen Logistikzentrum. Damit kämpft er gegen Amazon, Otto, Redcoon und Notebooksbilliger um die Kunden.
Bis 2018, rechnet der europäische Branchenverband EMOTA vor, werden grenzübergreifende Verkäufe 20 Prozent des weiterhin steigenden Onlinehandelsumsatzes in Europa ausmachen: insgesamt 116 Milliarden Euro.
Für Käufer spielt es kaum eine Rolle, ob der Shop nun aus Deutschland oder England stammt, so lange Preis und Lieferkonditionen stimmen. Zudem hat die EU-Kommission im Mai angekündigt, sich für einen europäischen Binnenmarkt stark zu machen, Hürden abzubauen und insbesondere den Umgang mit unterschiedlichen Gesetzen in den einzelnen Mitgliedsländern zu erleichtern.
Wie stark der grenzübergreifende Handel ist
Verkäufe im Onlinehandel ins eigenen Land: 83,2 Prozent
Verkäufe im Onlinehandel ins EU-Ausland: 10,7 Prozent
Verkäufe im Onlinehandel mit anderen Ländern: 6,0 Prozent
Frage an die Händler: Wie viel Prozent Ihrer Onlineverkäufe haben Sie auf den folgenden Märkten gemacht?
Ecommerce-Umsatz in 2014 insgesamt: 49 Milliarden
Quelle: Flash Eurobarometer 413 / Recherche
Verkäufe im Onlinehandel ins eigenen Land: 85,8 Prozent
Verkäufe im Onlinehandel ins EU-Ausland: 11,0 Prozent
Verkäufe im Onlinehandel mit anderen Ländern: 3,3 Prozent
Ecommerce-Umsatz in 2014 insgesamt: 30 Milliarden Euro
Verkäufe im Onlinehandel ins eigenen Land: 90,7 Prozent
Verkäufe im Onlinehandel ins EU-Ausland: 6,3 Prozent
Umsatz Onlinehandel mit anderen Ländern: 3,0 Prozent
Ecommerce-Umsatz in 2014 insgesamt: 72 Milliarden Euro
Verkäufe im Onlinehandel ins eigenen Land: 66,6 Prozent
Verkäufe im Onlinehandel ins EU-Ausland: 29,3 Prozent
Verkäufe im Onlinehandel mit anderen Ländern: 4,1 Prozent
„Der Handel war bislang eine der Branchen, die am lokalsten gedacht hat“, sagt Dirk Homberg vom auf Handelssoftware spezialisierten Unternehmen JDA und intimer Branchenkenner. „Das mag im Lebensmittelhandel funktionieren. Aber für Waren wie Notebooks und Waschmaschinen brauche ich keine Regionalität.“
Niedrige Erwartungen der Kunden
Davon will auch AO profitieren. Warum der Händler seine Expansion in Deutschland startet, ist leicht erklärt: Die Bundesrepublik ist der größte Markt für elektronische Haushaltsgeräte in ganz Europa. Und die Bedeutung des Onlinehandels wächst auch in diesem Segment.
Der Plan, den deutschen Markt zu erobern, läuft gut an, beteuert AO-Chef Kevin Monk. Die Zahl der Kunden steige, ihre Zufriedenheit mit dem Anbieter liegt auf Rekordniveau. Bei seiner Expansion kommt AO zugute, dass sich der deutsche und der britische Käufer sich lediglich in zwei Punkten unterscheiden: An der Energiebilanz eines Kühlschranks ist der Brite offenbar nur mäßig interessiert. „In Deutschland gibt es ein viel höheres Interesse an technischen Daten und Einzelheiten“, sagt Monk.
Entscheidender für den Erfolg ist aber der zweite Unterschied: „Die Erwartungen der Kunden an einen Onlinehändler sind in Deutschland deutlich niedriger“, glaubt Monk. „Vor allem im Bereich des Kundenservices.“ Anders formuliert: Die Deutschen kennen bislang gar keinen reibungslos funktionierenden Versandhandel.
So wollen die britischen Angreifer punkten
„Preis, Verfügbarkeit, Kundenservice“, benennt AO-Deutschland-Chef Monk den Dreiklang, mit dem er deutsche Händler ausstechen will. AO verspricht nicht nur eine große Produktauswahl, sondern gibt auch eine Niedrigpreisgarantie: Gibt es das Produkt bei einem anderem Händler günstiger, wird der Preis angeglichen.
Schon Stichproben zeigen allerdings, dass viele der Produkte auch bei Amazon, Otto.de und anderen Mitbewerbern verfügbar sind. Gerade der US-Online-Riese Amazon setzt häufig die Messlatte für den Preis. Mit Sonderangeboten unterbieten andere Wettbewerber ihn mitunter – dann aber greift die AO-Tiefpreisgarantie nicht mehr. Und: Während die Lieferung bei AO kostet, ist sie bei Wettbewerbern mitunter kostenlos.
Über Preis und Angebot allein wird der Wettstreit mit den deutschen Händlern nicht zu gewinnen sein. Entscheidend für AO ist deshalb der Kampf um die letzte Meile zum Kunden. Die Mehrzahl der deutschen Onlinehändler verschickt ihre Ware mit Paketdiensten und Speditionen. Den Briten soll zum Erfolg verhelfen, dass sie ausschließlich auf eigene Transporteure setzen.
Aus seinem Lager und Logistikzentrum im nordrhein-westfälischen Bedburg und Verteilzentren in Hamburg, München und Berlin beliefert AO deutsche Kunden direkt. So hat das Unternehmen nicht nur die Kosten und die Geschwindigkeit der Lieferung unter Kontrolle, sondern kann zusätzlich mit seinem Kundenservice vor Ort punkten. Tauchen Schwierigkeiten auf, müssen die nicht umständlich zwischen Kunden, Spedition und Händler gelöst werden.
Erfolg in der Nische
Tatsächlich scheint der Ansatz, Kunden über eine gute Lieferung zu gewinnen, vielversprechend. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Handels-Software-Anbieters JDA zeigt, dass die Erwartungen der Kunden an Händler und Lieferanten gestiegen sind – aber häufig enttäuscht werden.
Was bedeutet überhaupt Multi-Channel?
Kaum ein Begriff wird in der Handelsbranche derzeit so intensiv diskutiert, wie das Multi-Channel-Retailing (Mehrkanalhandel). In der Diskussion, wie auch in den Medien, werden unter dem Oberbegriff dabei verschiedene Ausprägungen synonym verstanden. Ein kurzer Überblick.
Quelle der Begriffsdefinitionen: HandelsMonitor 2014. (R)Evolution des Mehrkanalhandels, dfv Mediengruppe
„Beim Multi-Channel-Retailing setzen Handelsunternehmen parallel mehrere Kanäle zur Distribution ein, die einheitlich markiert sind und einen wesentlichen Sortimentszusammenhang aufweisen. Die Kunden können somit zwischen den alternativen Absatzwegen eines Handelsunternehmens wählen.“
Beispiel: Der Kunde kann ein Produkt sowohl online als auch im laden kaufen.
„Das Cross-Channel-Retailing geht durch die integrative Verknüpfung der einzelnen Kanäle zur Schaffung eines nahtlosen Einkaufserlebnisses über alle Kanäle hinweg einen Schritt weiter als das Multi-Channel-Retailing. Hierdurch wird den Kunden proaktiv ein Kanalwechsel zu jeder Zeit des Kaufprozesses und über alle Touchpoints hinweg ermöglicht.“
Beispiel: Der Kunde bestellt ein Produkt online und holt es im Laden ab.
„Omni-Channel-Retailing bezeichnet die vollständige Integration aller Kanäle über alle Prozesse hinweg. Den Kunden wird die parallele Nutzung von Kanälen durch die ganzheitliche Verknüpfung in jeder Kaufphase ermöglicht.“
Beispiel: Der Kunde scannt im Geschäft mit der Shopping-App des Händlers auf seinem Smartphone des Barcode eines Produktes, und erhält so zusätzliche Informationen und Online-Kundenbewertungen.
Handelsexperten sind sich einig, dass der Verknüpfung der Kanäle in Zukunft eine hohe Bedeutung zukommen wird und dass sie stationären Händlern eine Chance im Wettbewerb mit reinen Online-Anbietern gibt.
Im Rennen um den ersten Platz im Online-Handel gelten die Briten tatsächlich europaweit als Favoriten. Auch, weil selbst viele stationäre Anbieter die Weichen früh gestellt haben. „In England waren die Händler viel früher bereit, ihre komplette Lieferkette an die Herausforderungen des Onlinehandels anzupassen. Die Deutschen zögern da bis heute“, sagt Homberg.
Holger Geißler, Vorstand des Kölner Meinungsforschungsinstitut YouGov, glaubt, dass AO in Deutschland Erfolg haben kann. Dabei profitiere das Unternehmen davon, sich auf den Verkauf von elektronischen Haushaltsgeräten zu beschränken. „Genau die Nische und die Spezialisierung sind die Chance“, urteilt Experte Geißler.
Vor der deutschen Konkurrenz jedenfalls müsse man sich gerade in dem Gebiet nicht bange machen. „Otto mag der bekannteste Online-Händler für Weißwaren sein, das ist aber immer noch relativ im Hintergrund des Images verankert. Man denkt nicht ‚Waschmaschine gleich Otto‘. Bei Amazon ist das ähnlich“, so Geißler. „MediaMarkt und Saturn sind immer noch nicht 100 Prozent im Internet angekommen. Und Redcoon ist nur jedem vierten Deutschen ein Begriff.“
Wie AO wachsen will
Doch auch wenn es bei AO-Manager Monk anders klingt - ein Selbstläufer ist die Expansion nach Deutschland nicht. Schon der Aufbau des Logistiknetzes verschlang viel Geld, das Geschäft in Gang zu bringen, kostet ebenfalls. Elf Millionen Pfund hat Mutterkonzern AO World allein im abgelaufenen Geschäftsjahr für den Sprung nach Deutschland gezahlt. Diese Investitionen drückten das Konzernergebnis in die roten Zahlen. Am Ende stand ein Minus von 2,2 Millionen Pfund.
Bis das Geschäft in Deutschland profitabel wird, ist es noch ein langer Weg. Monk gibt sich dennoch zufrieden: „AO hat in Deutschland innerhalb von sechs Monaten ein Umsatzvolumen erreicht, das es in Großbritannien erst nach sieben Jahren erreichte“, sagt er.
AO in Zahlen
England: 470,8 Millionen Pfund
Deutschland: 5,8 Millionen Pfund
Gesamt: 476,7 Millionen Pfund
Zeit: Geschäftsjahr bis 31. März 2015
Quelle: Unternehmen
England: 8,8 Millionen Pfund
Deutschland: -11,0 Millionen Pfund (Verlust)
Gesamt: - 2,2 Millionen Pfund (Verlust)
Entscheidend für den Erfolg ist, wie schnell AO in Zukunft Bekanntheit und damit neue Kunden gewinnen kann. Während sich AO in England bereits eine große Kundenbasis erarbeitet hat, läuft der Händler in Deutschland noch unter dem Radar.
„Erste Maxime wird sein, über das Internet die preissensiblen Käufer über Suchmaschinen-Optimierung zu gewinnen“, schätzt Geißler. „Wenn AO das richtig macht – und sie werden das können – können sie relativ schnell die Preisfüchse dafür gewinnen. Die werden dann davon ihren Freunden und Verwandten erzählen.“
Ein weiteres Problem: Produkte wie Waschmaschinen und Kühlschränke sind keine Spontankäufe,. Kunden erkundigen sich zunächst online – kaufen die Ware aber immer noch gerne im stationären Handel. Um zu wachsen, wird AO daran arbeiten müssen durch Beratung und Service so aufzufallen, dass auch wenig onlineaffine Verbraucher im Netz kaufen.
Kevin Monk lässt wenig Zweifel daran, weiter an dem Shop arbeiten zu wollen. Deutschland ist für AO der Testballon. Funktioniert es hier, funktioniert es auch auf dem Rest des Kontinents.
“Unser Ziel ist es ganz klar in Zentraleuropa zu expandieren”, sagt Monk. Wann und wo genau, daraus macht der Manager ein Geheimnis. Die Niederlande und Österreich gelten zumindest als interessant.