Otto-Chef Alexander Birken "Wir müssen uns nicht vor Amazon fürchten"

Alexander Birken, Konzernchef der Otto Group, über Amazon, Wachstumsziele, Börsenpläne für Tochterunternehmen und den Sinn verkaufsoffener Sonntage.

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Otto-Group-Chef Alexander Birken. Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Birken, nervt es Sie eigentlich, dass Otto immer mit Amazon verglichen wird?
Alexander Birken: Wieso soll das nerven? Der Vergleich unter den großen Onlinehändlern liegt doch nahe, auch wenn wir unseren ganz eigenen Weg gehen. Dass immer wieder das Stichwort Amazon fällt, wenn über die Otto Group gesprochen wird, zeigt mir vor allem eines: Wir gelten mittlerweile als einziger Onlinehändler in Europa, der in der Lage ist, Amazon überhaupt noch die Stirn zu bieten.

Moment, die Otto Group hat 2016 rund 12,5 Milliarden Euro Umsatz erzielt, Amazon lag bei umgerechnet 115 Milliarden Euro. Das klingt nicht so, als müsste sich Amazon-Chef Jeff Bezos vor Ihnen fürchten.
Das muss er sicher nicht, aber auch wir müssen uns bei allem Respekt nicht vor Amazon fürchten. Nehmen Sie den deutschen Markt: Da sind wir mit fünf Milliarden Euro reinem Onlineumsatz die klare Nummer zwei. Wir wachsen mit schönen Raten, allein im ersten Halbjahr ging es im Onlinehandel um zehn Prozent weiter nach oben. Und bei Themen wie Fashion und Möbel weiß ich nicht, ob Amazon mithalten kann.

Zur Person

Wird Otto unterschätzt?
Eindeutig und ganz ehrlich: Ich fühle mich sehr wohl damit, unterschätzt zu werden. Wir können die wichtigen Themen in Ruhe vorbereiten und voranbringen. Zudem ist eine positive Unruhe wichtig. Das Bewusstsein, dass wir am Markt kämpfen müssen, ist mir lieber als die Haltung: Wir sind die Digitalisierungsweltmeister und haben alles geschafft. Zu viel Erfolg birgt die Gefahr, dass man satt und zufrieden wird. Mir ist wichtig, dass wir hungrig bleiben. Daher haben wir auch das Ziel formuliert, unseren jährlichen Umsatz bis 2022 von 12,5 Milliarden Euro auf 17 Milliarden Euro zu steigern.

Wie soll das gelingen?
Indem wir uns auf unsere starken Marken wie Bonprix und Crate and Barrel konzentrieren. Oder indem wir zum Beispiel das Produktangebot bei unserem Flaggschiff, der Einzelgesellschaft Otto, massiv und gezielt erweitern. Aktuell sind bei otto.de rund 2,3 Millionen Artikel abrufbar, 200.000 mehr als am Jahresanfang. Vor allem die Auswahl im Fashion-Bereich ist jetzt größer. Sukzessive wollen wir das Sortiment auf rund fünf Millionen Produkte erweitern.

Das schaffen Sie nicht allein.
Selbstverständlich werden wir otto.de verstärkt zu einer Plattform ausbauen, die für andere Händler und Marken offen ist. Unsere Partner können so von unserer Reichweite profitieren und über uns ihre Produkte verkaufen. Wir vergrößern damit unser Sortiment und bieten den Kunden die gewohnten Dienstleistungen, etwa konkrete Zeitfenster für die Paketzustellung.

Die umsatzstärksten Onlinehändler

Das bietet Amazon mit seinem Marktplatz schon seit Jahren. Was ist daran neu?
Auch wir betreiben das seit Jahren, bauen jetzt aber kräftig aus und bieten gegenüber Konkurrenten eine ganz andere Inspiration und persönliche Beratung. Wir sind 365 Tage im Jahr rund um die Uhr für unsere Kunden erreichbar, und zwar nicht nur über Algorithmen, sondern mit mehr als 200 Kolleginnen und Kollegen, denen Kunden Fragen stellen können, die bei Technikproblemen helfen oder beim Möbelkauf beraten. Das gibt es bei anderen großen Wettbewerbern nicht, und das koppeln wir mit ganz neuen Ideen.

Was haben Sie vor?
Bleiben wir beim Beispiel Möbel: Jedes zweite online gekaufte Möbelstück kommt von einem Otto-Unternehmen, wir sind der größte Onlinemöbelhändler in Deutschland. Sie können sich bei uns zum Beispiel vor dem Kauf Stoff-, Leder- oder Holzproben zuschicken lassen und einen Aufbauservice dazubuchen. Das wollen wir künftig mit neuen Technologien kombinieren. Bei unserer US-Einrichtungstochter Crate and Barrel können sich Kunden schon heute neue Lampen oder Esstische über Smartphones und Tablet-Computer virtuell im eigenen Wohnzimmer ansehen.

Neue Technik kostet. Kann sich Otto milliardenschwere Investitionen leisten?
Ja, aber nicht alles ist eine Frage des Investments. Wir screenen permanent Start-ups, um zu schauen, welche Ansätze Relevanz für unser Geschäftsmodell haben und wo wir einsteigen sollten. Gleichzeitig rücken wir immer enger an das MIT, das Massachusetts Institute of Technology, in Boston heran, um von der dortigen Grundlagenforschung zu profitieren und sehr früh Innovationen aufzuspüren. Wir sind also dabei, das Ökosystem der Otto-Gruppe deutlicher als bisher zu öffnen, für Marken und Händler gleichermaßen wie für Technologiepartner, aber auch für strategische und Finanzinvestoren.

Otto-Chef Birken: Diese Frage sollte sich jeder Ladeninhaber stellen

Investoren sollen sich an Otto beteiligen?
Nicht an der gesamten Gruppe, aber für einzelne Konzernunternehmen sind strategische und Finanzinvestoren eine hervorragende Möglichkeit, um das Wachstum zu beschleunigen. Es muss aber strategisch und inhaltlich passen. Vor ein paar Wochen ist zum Beispiel SevenVentures, der Finanzinvestor der ProSiebenSat.1 Media Gruppe, bei unserer Tochter MyToys eingestiegen. Dadurch kann MyToys nun den medialen Werbedruck deutlich steigern.

Finanzinvestoren sind Partner auf Zeit und streben irgendwann einen Exit an. Wird es Börsengänge von Otto-Beteiligungen geben?
Für einige wachstumsstarke Konzerngesellschaften der Otto Group sind auch Börsengänge eine ernsthafte Option.

Sie haben gerade erst bestätigt, dass Sie einen Investor für Ihr wachstumsstarkes Mode-Start-up About You suchen.
Das ist richtig. Wir starten für die weitere Internationalisierung und für entsprechendes Wachstum von About You eine zweite Finanzierungsrunde. Im Zuge einer Kapitalerhöhung ist die Otto Group bereit, einen Investor mit Kapitalmarkterfahrung als weiteren Gesellschafter aufzunehmen. Wir werden aber weiter der größte Anteilseigner bleiben.

Onlinehandel: So kauft der Durchschnittsdeutsche ein

Welche weiteren Unternehmen kommen infrage?
Es geht um Handelsgeschäfte und technologisch geprägte Dienstleister, bei denen wir ein großes Wachstumspotenzial sehen. Aber wir suchen nicht nur Partner für bestehende Beteiligungen, sondern wollen uns auch selbst an Unternehmen beteiligen.

Wonach suchen Sie?
Interessant sind technologiegetriebene Handelsdienstleister. Die Online- und Offlinewelt verschmelzen immer stärker, und ich bin überzeugt, dass Technologie in den kommenden Jahren für den klassischen stationären Einzelhandel viel wichtiger werden wird. Das fängt bei ganz trivialen Dingen wie Tablets an, mit denen Händler ihre Verkaufsfläche plötzlich um Tausende Produkte erweitern können. Im ganzen Zahlungsbereich stehen wir in Deutschland erst am Anfang. Wenn ich heute in Asien unterwegs bin, habe ich teilweise Schwierigkeiten, bar oder mit Kreditkarte zu zahlen, weil fast alles über das Handy läuft. All das wird die stationäre Handelswelt grundlegend verändern.

Nicht nur zum Guten.
Das hängt davon ab, ob die stationären Einzelhändler die Digitalisierung der Welt erleiden oder sie als Chance betrachten. Jeder Ladeninhaber sollte sich fragen: Wie offen und veränderungswillig bin ich? Umarme ich neue technologische Möglichkeiten, um einen Mehrwert für meine Kunden zu schaffen? Tue ich das, bin ich auf der Gewinnerseite.

Das ist doch graue Theorie. In der Praxis haben doch gerade kleinere Händler im Netz keine Chance, sich gegen die großen Player zu behaupten.
Sicher, für Händler, die sich bisher online nicht engagiert haben, wird es immer schwieriger, aufzuholen. Über ein Drittel des gesamten deutschen Onlinegeschäfts entfällt bereits auf Amazon, die Otto Group und Zalando. Der technologische Abstand wächst. Trotzdem gibt es Möglichkeiten, gegenzusteuern: Kleinere Firmen können sich vernetzen, um gemeinsam Programme und Projekte zu entwickeln. Am Ende hat das wiederum viel mit der Haltung in einem Unternehmen zu tun: Ich muss in Zeiten der Digitalisierung gewohnte Verhaltensmuster ablegen, alte Erfolgsrezepte infrage stellen, selbst wenn sie heute noch funktionieren.

Welche Handelsbranchen stehen vor den größten Veränderungen?
Der Onlineanteil am gesamten deutschen Einzelhandelsumsatz liegt heute erst bei rund zehn Prozent. Im Fashion- und Elektronikbereich liegen wir deutlich darüber. Im Lebensmittelhandel beginnt die Entwicklung dagegen erst. Mit Blick auf Metropolen in anderen Ländern lässt sich aber schon absehen, dass der Onlinehandel mit frischen Lebensmitteln auch in Deutschland wichtiger werden wird.

"Ich bin kein großer Fan verkaufsoffener Sonntage"

Werden Sie künftig auch Lebensmittel verkaufen wie Amazon?
Das haben wir schon in den Neunzigerjahren mit dem Otto Supermarktservice versucht. Die Idee war gut, aber die Zeit noch nicht reif. Aktuell gibt es keine Pläne, wieder in den Markt einzusteigen. Allerdings werden wir künftig mehr Drogerie- und Kosmetikartikel anbieten, auch um die Einkaufsfrequenz unserer Kunden zu steigern. Eine Schrankwand oder ein Sofa kauft man alle paar Jahre, Duschgel und Waschpulver alle paar Wochen.

Welche Folgen hat der Onlineboom für die Innenstädte?
Es wird gravierende Veränderungen geben, vielleicht nicht in den A-Lagen, also auf den großen Einkaufsstraßen in den Metropolen. Aber viele Klein- und Mittelstädte werden Probleme bekommen. Es reicht oft schon aus, wenn ein Händler im Stadtkern aufgibt, um einen Dominoeffekt in Gang zu setzen. Die Kundenfrequenz sinkt, andere Händler bekommen Probleme, die Straße kippt.

Wie können Kommunen eine solche Abwärtsspirale verhindern?
Städte brauchen neben den Geschäften auch andere Kundenmagneten. Es geht um Gastronomie, Spielplätze und Angebote für junge Familie und Kinder, um Kultur und Unterhaltung. Es gibt tolle Beispiele, wo das gut gelingt, etwa in Heidelberg, Wismar oder Erfurt. Die klassische Fußgängerzone, wie wir sie aus den Achtzigerjahren kennen, hat dagegen keine Daseinsberechtigung mehr.

Ließe sich die Abwanderung der Kunden ins Netz durch mehr verkaufsoffene Sonntage stoppen?
Ich bin kein großer Fan verkaufsoffener Sonntage.

Das wäre auch überraschend für den Chef eines Versandhändlers.
Moment mal: Wir betreiben mit Marken wie Sportscheck, MyToys oder Manufactum auch viele stationäre Läden. Wir kennen also beide Seiten. Nach unseren Erfahrungen führen verkaufsoffene Sonntage eher zu einer Umsatzverschiebung als zu einer Umsatzsteigerung. Statt am Donnerstag oder Freitag wird halt am Sonntag eingekauft, aber in Summe nicht mehr ausgegeben. Für viele Händler führt das am Ende sogar zu höheren Personal- und Betriebskosten. Und online wird trotzdem immer mehr bestellt …

… was zu weiteren Problemen in den Städten führt: Paketboten verstopfen die Straßen, die Luftverschmutzung nimmt drastisch zu. Was tut Ihre Pakettochter Hermes dagegen?
Die Luftverschmutzung nimmt durch den Onlinehandel definitiv nicht zu, wie Studien zeigen. Gerne werden die Emissionen der Kundinnen und Kunden auf dem Weg zum stationären Einzelhandel außer Acht gelassen, die ja durch den Onlinehandel sinken. Aber im Kern haben Sie recht: Die großen Paketzusteller haben dafür zu sorgen, die Umwelt zu entlasten. Bei Hermes betreiben wir deshalb das dichteste Netz an Paketshops in Deutschland. Dadurch sparen wir Wegekosten und arbeiten energieeffizienter als viele Wettbewerber. Zudem setzen wir auf Elektromobilität: Wir haben bei Daimler gerade 1500 Elektrotransporter bestellt.

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Das ist nur ein kleiner Teil Ihrer Lieferflotte, der Rest fährt mit Diesel. Was machen Sie, wenn es zu Dieselfahrverboten in Großstädten kommt?
Sollte es dazu kommen, hat nicht nur Hermes ein Problem. Das würde die gesamte Logistikbranche treffen. Ich hoffe, dass die Politik hier mit Augenmaß handelt und im Zweifel realistische Übergangsfristen schafft. Hermes will bis 2025 in Metropolen alle Pakete emissionsfrei zustellen. Das heißt, unser E-Anteil wird ohnehin steigen, wobei ich hoffe, dass wir technologisch noch mal einen ganz neuen Sprung machen, um eine nachhaltige Lösung zu finden.

Wie wär’s mit Lieferdrohnen?
Bis diese spannende Fantasie Wirklichkeit wird, schaffen wir lieber Lösungen, die tatsächlich funktionieren.

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