Otto Group Inkasso... find’ ich gut

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Mit allen Registern

Eine Angestellte des Finanzdienstleisters EOS Quelle: Presse

18. März 2013: Erstmals meldet sich EOS und appelliert an meine Zahlungsmoral: „Irren ist menschlich, vergessen auch“, heißt es im Schreiben. „In der Hektik des Alltags haben Sie sicher vergessen, die offene Forderung unserer Auftraggeberin fristgerecht zu zahlen.“ Die Batterie der Babywaage ist mittlerweile fast am Ende, das anfangs schrille Gedudel nach Einschalten der Musikfunktion ist längst einem moderaten Geleier gewichen. Ein halbes Jahr ist verstrichen und die Forderung auf 145,84 Euro gestiegen.

Gelingt es EOS, das Geld bei den Schuldnern einzusammeln – egal, ob Autokäufer oder Klinikpatient –, kann das Unternehmen stattliche Gewinne verbuchen. Während es Otto im Handelsgeschäft, in dem die Spannen branchenweit niedrig sind, auf eine operative Gewinnmarge von 2,1 Prozent bringt, liegt der Wert im Finanzsegment bei 35 Prozent.

Dafür zieht EOS bei den Schuldnern alle Register. „Briefe und Anrufe sind Standard“, sagt EOS-Chef Scherer. „Aber nach wie vor setzen wir auch auf Hausbesuche.“

Vor-Ort-Inkasso? Das klingt nach stiernackigen Finsterlingen vor der Tür, nach Besuchen des Inkasso Team Moskau, jenem Anbieter, der vor Jahren mit dem Slogan für Schlagzeilen sorgte: „Ihr Schuldner muss kein Russisch können, er wird uns auch so verstehen.“

Scherer wiegelt ab. Für ihn würden im Forderungsgeschäft zwei hehre Grundsätze gelten: „Wenn ein potenzieller Kunde einen Anschein von Unseriosität vermittelt, wollen wir kein Inkasso machen“, sagt Scherer. Zudem müsse der Umgang mit den Schuldnern korrekt ablaufen.

Bei den rund 200 Außendienstlern im sogenannten „Field Service“ handelt es sich überwiegend um Frauen, denen bei dem konfliktträchtigen Job meist mehr Fingerspitzengefühl attestiert wird. Ihre Mission: der Direkteinzug von überfälligen Leasing- oder Kreditraten. Sie „prüfen Objekte und führen Vor-Ort-Recherchen durch“ oder „stellen Mobilien sicher“, heißt es auf der Unternehmenshomepage. Soll heißen: Zahlt ein Kunde der Fiat Bank etwa seine Leasingraten für den Alfa Romeo nicht, rückt im Zweifel eine der EOS-Feldarbeiterinnen aus, um dem Schuldner Dampf zu machen – oder bei hartnäckigen Fällen von Zahlungsunwilligkeit das Fahrzeug zu konfiszieren. Knapp 300.000 Einzelaufträge pro Jahr erledigen die Hamburger mit ihrem Vor-Ort-Service.

Das Gros der Fälle wird jedoch per Brief und Telefon beackert. Rund 1,3 Millionen Telefonate mit Schuldnern führen die Callcenter-Kräfte des Unternehmens, 11,4 Millionen Schreiben an Schuldner verschickt EOS in Deutschland jedes Jahr.

11. April 2013: Frau B. von EOS ruft an und fragt: „Wie können wir das regeln?“ „Hmm, weiß auch nicht“, scheint nicht die richtige Antwort zu sein. Frau B. bleibt hartnäckig: „Wenn Sie es nicht auf einen Schlag schaffen, können wir eine Ratenzahlung vereinbaren.“ Mindestens 33 Euro pro Monat müsste ich zahlen. „Na gut“, murmele ich. „Ich verlasse mich auf Sie“, verabschiedet sich Frau B. Wenig später kommt die schriftliche Bestätigung des Deals. Die Rechnung hat sich inzwischen auf 178,10 Euro mehr als verdoppelt. Ich überweise die erste Rate.

Experten wie Christian Maltry, Schuldnerberater beim Landratsamt Main-Spessart, stören sich generell an den happigen Inkassogebühren, deren zulässige Höhe bisher nicht gesetzlich geregelt ist. In der Praxis orientieren sich die Kosten oft an den Sätzen von Anwälten, die Politik diskutiert derzeit über die Einführung von Obergrenzen, um unseriöse Anbieter künftig in die Schranken zu weisen.

Innerhalb der an schwarzen Schafen reich bestückten Inkassoherde gilt der Otto-Ableger bei Schuldnerberatern als ein Anbieter, über den es nur wenige Beschwerden gibt. Kritisch sieht Experte Maltry indes die Datendichte, über die die Hamburger verfügen. Nicht nur die Otto-Versandunternehmen und EOS tauschen Informationen aus. EOS ist auch am Wirtschaftsinformationsdienst Bürgel beteiligt.

Ähnlich wie die Schufa stellt Bürgel Unternehmen Informationen zur Kreditwürdigkeit ihrer Kunden und Geschäftspartner in spe zur Verfügung. Bürgel zieht Informationen zu Insolvenzen und Inkassoverfahren, aber auch Alters- und Wohnortdaten heran, um die Finanzkraft eines Kunden zu rastern, statistisch hochzurechnen und schließlich in einer Bonitätskopfnote zu verdichten: dem Scorewert. Je schlechter der Wert, desto höher ist laut Bürgel die Wahrscheinlichkeit, dass der Verbraucher seine Rechnung nicht zahlt.

Das statistische Verfahren kann reale Konsequenzen haben: Vermieter scoren Mietaspiranten, Softwareprogramme für Online-Shops entscheiden auf Basis des Scorewertes, ob ein Kunde seine Schuhe auf Rechnung kaufen darf, Vorkasse leisten muss oder überhaupt beliefert wird. Bei EOS heißt es dazu, dass der Datenschutz gewahrt werde und Informationen nur dann an Wirtschaftsauskunfteien wie Bürgel weitergegeben würden, wenn der Gläubiger dazu einen Auftrag erteilt hat.

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