Ozon Wie ein schrulliger Science-Fiction-Onlineshop das russische Amazon wurde

Mitarbeiter des russischen Onlinehändlers Ozon sortieren Waren in einem Lager in der Borovlevo-2-Industriezone. Quelle: imago / itar-tass

Ozon gelang ein perfekter Börsenstart. An der Spitze des russischen Onlinehändlers stehen längst keine Enthusiasten mehr, der Gründer hat vor Jahren verkauft. Von den Wurzeln bleibt nur: Unterm Strich steht kein Gewinn.

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Er hätte der russische Jeff Bezos werden können, ein Multimilliardär im Licht der Öffentlichkeit. Der Mann, dessen Gesicht vor wenigen Tagen auf dem New Yorker Times Square zu sehen gewesen wäre, auf welchem die Börsengang-Zeremonie von Ozon, Russlands Pendant zum US-Internet-Giganten Amazon, übertragen wurde. Anfang 1998 gründete der Programmierer Alexander Jegorow zusammen mit einem Freund und Science-Fiction-Autor Ozon als eine Art Online-Katalog für Liebhaber dieses Buch-Genres. Den Namen hatten die Russen frech beim vier Jahre älteren US-Vorbild Amazon abgekupfert.

Es war eine Zeit des rasant wachsenden Internets. Schon bald, nachdem die ersten Bestellungen eintrudelten, explodierten die Klickzahlen, die Umsätze wuchsen exponentiell. Nur Gewinne brachte die neue Geschäftsidee nicht. Und so kaufte Jegorow erst den Anteil seines Partners und verkaufte 2002 das ganze Geschäft für einen kleinen einstelligen Millionen-Betrag an professionelle Investoren.

Ein Schritt, den Jegorow dennoch nicht bereut. „Ich fühle tiefe Befriedigung und Stolz“, sagt der Ozon-Gründer über den Börsengang, der seinem einstigen Nerd-Projekt nun einen Börsenwert von um die sechs Milliarden Euro beschert hat. „Ein schöner Börsengang, der das russische Tech-Business insgesamt besser dastehen lässt“, freut sich Jegorow, der heute ein Unternehmen für IT-Outsourcing betreibt und die Öffentlichkeit scheut. Einzelhandel sei ohnehin nicht sein Ding gewesen.

Tatsächlich steht der Börsengang von Ozon für eine russische Branche, die sich trotz Wirtschaftskrise und allgemeiner Stagnation in Russland rasant entwickelt und Geldgeber lockt. Mehr als 800 Millionen Euro haben Investoren für die Ozon-Papiere ausgegeben. Eine Summe, die selbst Branchenkenner in Russland überraschte. Seit dem Börsengang des russischen Suchmaschinengiganten Yandex vor gut neun Jahren hat kein russisches Unternehmen einen ähnlich guten Börsenstart hingelegt. Kleinere Erfolge mehrten sich jedoch zuletzt. Erst im vergangenen Jahr wagte das russische Job-Portal Headhunter den Gang aufs Parkett, dessen Börsenwert hat sich seither auf gut eine Milliarde Euro verdoppelt. Die Yandex-Aktie kletterte seit vergangenem Dezember an der Nasdaq von gut 40 auf knapp 70 US-Dollar.

Schon frohlockte die Moskauer Wirtschaftszeitung „Vedomosti“, der Ozon-Börsengang habe bewiesen, dass westliche Investoren durchaus an russischen Unternehmen interessiert seien. Ähnlich äußerten sich Analysten der privaten Uralsib-Bank. „Der erfolgreiche Börsengang spiegelt das große Interesse an russischen Tech-Unternehmen und an der E-Commerce-Branche wider“, hieß es in einer Mitteilung.

Dabei war der erfolgreiche IPO alles andere als programmiert. Und das obwohl Ozon heute kaum noch etwas mit dem schrulligen Science-Fiction-Internetladen aus der Anfangszeit zu tun. Der Konzern verkauft fast alles von Kosmetik über Delikatessen und Elektronik bis hin zu Bastelbedarf. Zudem können Händler wie beim US-Vorbild Amazon eigene Shops eröffnen. Ozon betreibt 43 Lager, beschäftigt fast 2500 Boten und verfügt über 12.000 Abholpunkte. In den ersten neun Monaten des Jahres hat das Unternehmen rund 1,4 Milliarden Euro Umsatz gemacht, das waren rund 40 Prozent mehr als im gesamten Jahr 2019.



An der Spitze stehen keine Enthusiasten mehr. Stattdessen ziehen Profis wie der Großaktionär Wladimir Jewtuschenkow im Hintergrund die Strippen. In Deutschland wurde seine Holding Systema mit der Übernahme der Real-Supermärkte bekannt. Nach dem Börsendebut hält der Oligarch noch etwa ein Drittel der Anteile.

Mit den Anfangsjahren eint Ozon eigentlich nur noch eins: Unterm Strich bleibt kein operativer Gewinn. Im vergangenen Jahr rutschte der russische Versandhändler 260 Millionen Euro tief ins Minus. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres summierte sich das Minus auf umgerechnet etwa 150 Millionen Euro.

Unter Analysten und auch in der Branche war der Börsengang daher umstritten. Eine der schärfsten Kritiker heißt Dmitri Alexejew. Er ist Mitgründer der russlandweiten Elektronik-Kette DNS mit knapp 2000 Läden und einem beliebten Online-Shop. Aus einem „erfolgreichen Buchladen“, urteilt Alexejew auf seinem Facebook-Profil, wurde innerhalb von zehn Jahren ein „äußert kostenlastiges und behäbiges Unternehmen“. Angesichts der sich türmenden Verluste sei das alles ein „Fiasko“, schrieb er noch kurz vor dem Ozon-Börsengang.

Dass Ozon noch weit von der Gewinnzone entfernt ist, daraus hat das Unternehmen in seinem Börsenprospekt ebenfalls keinen Hehl gemacht. „In den kommenden Jahren werden wir weiterhin Verluste einfahren“ heißt es bei Ozon. Grund dafür sind vor allem Investitionen in die eigene Logistik, die im größten Flächenland der Erde für die E-Commerce-Branche eine teure Angelegenheit ist. Die meisten Analysten sind sich sicher, dass Ozon noch mindestens vier Jahre in den roten Zahlen bleiben wird.

Dem gegenüber steht das rasante Wachstum des Marktes und das Potenzial nach oben. Allein für 2020 hat der russische Branchenverband AKIT ursprünglich ein Wachstum des Internethandels um 29 Prozent vorausgesagt, tatsächlich dürfte das Plus nach neuer Prognose 44 Prozent in diesem und 34 Prozent im nächsten Jahr betragen. Zudem besetzen die Top-3-Anbieter unter den Versandhändlern in Russland nur 18 Prozent des Marktes, in Deutschland liegt der Wert zum Vergleich laut Euromonitor bei 45 Prozent.


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Dass in der Branche tatsächlich auch Gewinne gemacht werden können, zeigt der russische Marktführer Wildberries unter der Leitung von Tatjana Bakaltschuk. Im vergangenen Jahr hat der Onlinehändler seine Expansion nach Europa, nach Polen und in die Slowakei in Angriff genommen und verbuchte als einer der Wenigen in der Branche einen Gewinn von umgerechnet 50 Millionen Euro. An einen Börsengang nach Ozon-Beispiel denkt die Wildberries-Gründerin Bakaltschuk nicht. Vom Börsenlisting der Konkurrenz profitiert sie jedoch bereits, denn Analysten erwarten, dass der Ozon-Erfolg abfärbt: Noch im Frühjahr bezifferte die russische „Forbes"-Ausgabe Bakaltschuks Vermögen auf 1,4 Milliarden US-Dollar. Ausgehend von der Ozon-Bewertung, schreibt die Online-Ausgabe des Magazins, dürfte ihr Vermögen nun auf 10 Milliarden Dollar angeschwollen sein.

Mehr zum Thema: Wegen der EU-Sanktionen sucht Russland die Annäherung an China. Eine zunehmende Abwendung Moskaus vom Westen würde vor allem die deutsche Wirtschaft treffen.

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