Papier ersetzt Kunststoffverpackungen Die umweltfreundlichste Verpackung, seit es Schokolade gibt

Nucao-Mitgründer Mathias Tholey setzt auf kostengünstige und nachhaltige Verpackungsmaterialien Quelle: PR

Konzerne wie Nestlé treiben den Ersatz von Kunststoff durch Papier-Verpackungen voran. Ganz vorn im Kampf gegen den Plastikmüll liegen aber der Schoko-Newcomer nucao und der innovative Papierhersteller Koehler Paper.

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Ist die Schokolade verzehrt, kommt deren Verpackung in den Plastikmüll – normalerweise. Nucao, der 2016 gegründete Newcomer im Schokoladenmarkt, dessen Produkte etwa bei Rossmann, dm, Rewe und Edeka verkauft werden, hat von Anfang an Alternativen dazu gesucht und nutzt Verpackungsmaterial, das teilweise auf dem Gartenkompost und teilweise im Restmüll landet. Wirklich zufrieden waren die Leipziger damit aber offenbar nicht. Denn nun gehen sie einen großen Schritt weiter: Als erster Lebensmittel- und Süßigkeiten-Hersteller setzt nucao für die komplette Produktpalette auf eine Verpackungsinnovation aus 100 Prozent Papier. Früchte und Nüsse mit Schoko-Mantel von nucao sind bereits seit Ende 2022 in Papier verpackt. Der Rest des Sortiments soll bis zum Herbst dieses Jahres folgen.

Die Neuigkeit, über die nucao und der Hersteller des innovativen Verpackungspapiers – Koehler Paper aus dem badischen Oberkirch – am kommenden Montag (23. Januar) gemeinsam die Öffentlichkeit informieren wollen, setzt neue Maßstäbe im noch jungen Kampf gegen umweltschädliche Kunststoffe. Zwar ist nucao mit derzeit rund acht Millionen Euro Umsatz und 6,5 Millionen Einzelprodukten pro Jahr ein Zwerg gegenüber milliardenschweren Wettbewerben wie dem US-Konzern Mondelez mit Marken wie Milka und Marabou. Aber verändern kann die Vereinbarung zwischen dem sechs Jahre jungen Start-up und dem 1807 gegründeten Familienunternehmen Koehler die ganze Lebensmittel- und Konsumgüterbranche – hierzulande und auch international.

Hängt das Start-up beim Recycling Nestlé ab?

Denn auf der Suche nach Ersatz für Kunststoffverpackungen und nach Lösungen für ihre Nachhaltigkeits-Probleme sind alle. Ritter Sport und Mars Wrigley verpackten Schokolade und Getreideriegel schon 2021 testweise in Papier-Alternativen. Der Schweizer Nestlé-Konzern meldete im selben Jahr, dass er seine Smarties-Schokolinsen fortan in Papierhüllen füllt und dadurch nach eigenen Angaben 250 Millionen Kunststoffverpackungen im Jahr einspart. Bis 2025 will Nestlé ein Drittel weniger Neuplastik verwenden. Auch viele andere Hersteller haben hehre Ziele zur Plastikreduktion verkündet.

Doch Nucao sieht sich nun als „Vorreiter bei Schokoladen-Primärverpackung aus Papier“ und toppt mit dem Koehler-Spezialpapier NexFlex womöglich alles, was bis jetzt auf dem Markt ist. Die umweltfreundlichste Verpackung, seit es Schokolade gibt, ist offenbar die des Start-ups aus Sachsen.

Dass das so ist, bestätigt auf Anfrage der WirtschaftsWoche Interseroh+, eine Tochter des Umwelt-Dienstleisters Interzero in Berlin, der das neue Produkt auf seine Recyclingfähigkeit getestet hat. Nach einer Punkteskala, die das Augsburger Bifa Umweltinstitut gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung entwickelt hat und von Interseroh+ für sein Siegel „Made for Recycling“ angewendet wird, hat das Koehler-Papier 19 von 20 möglichen Punkten erreicht. Für eine Papierverpackung mit Produktschutz seien „19 Punkte eine außergewöhnlich hohe Bewertung, die zumindest in unserer Prüfung bisher von keinem vergleichbaren Papier erreicht wurde“, schreibt Interseroh+ in seiner Antwort an die Redaktion.

Da Papiere von selbst keine Schutzfunktionen für Lebensmittel mit sich bringen, werden bei den bisherigen Verpackungslösungen Kunststoff- oder Aluminiumschichten und sogenannte „funktionelle Barrieren“ aufgebracht, welche das Recycling maßgeblich beeinflussen können. Die von Koehler aufgebrachte Beschichtung verfügt über eine für den direkten Kontakt mit Schokolade und Nüssen notwendige Sauerstoff-, Mineralöl- und Fettbarriere. Sie ist laut Interzero „zum einen so dünn, dass die Papiere im Altpapier entsorgt werden können und gleichzeitig hat sie nur einen äußerst geringen negativen Einfluss auf die Recyclingpapierqualität“.

Das allgemeine Attest „recyclingfähig“ sagt wenig aus über die tatsächliche Qualität. „Sobald nur die Hälfte der Verpackung ein irgendwie gestaltetes Recycling erfährt, kann diese allgemein „recyclingfähig“ genannt werden“, erklärt Interseroh+. Viele angeblich recyclingfähige Papiere bildeten nach dem Recycling „klebende Oberflächen, die an Umwälzrollen und Sieben im Prozess haften“, was etwa zu Bahnabrissen in der Papierherstellung und damit enormen Kostensteigerungen führe. Bei NexFlex ist das nicht so.

Ob Nestlés Smarties-Papier ähnliches leistet, ist fraglich. Auf einen Papier-Anteil hat sich der Konzern auf Anfrage unserer Redaktion nicht festgelegt, sondern antwortet: „Die Papierverpackung für unsere Smarties bestehen zum überwiegenden Teil aus frischen Papierfasern. Wir verwenden zu einem geringen Anteil eine dünne, wasserlösliche Beschichtung.“ Diese sei ein lebensmitteltaugliches Material, die gute Barriere-Eigenschaften mit sich bringe. Bei der Frage zur Recycling-Qualität beruft sich Nestlé mit Interpretationsspielraum auf formale Grenzen: „Die Papierverpackung von Smarties kann über die Altpapiertonne entsorgt werden. Die gesetzliche Voraussetzung für die Entsorgung über das Altpapier sind erfüllt und die Recyclingfähigkeit der Verpackungen haben wir mit unabhängigen Instituten getestet und zertifiziert.“

Keinerlei Reklamationen der Verbraucher

Nucao-Mitgründer Mathias Tholey spricht in höchsten Tönen von der neuen Verpackung um die veganen Schokoladenprodukte des Start-ups. Sie sei nicht einmal teurer als die frühere Verpackung aus einem zu Hause kompostierbaren Zelluloseverbund. Nach den ersten drei Monaten im Verkauf habe es keinerlei Reklamationen seitens der Verbraucher gegeben. Wichtig ist dem 33-Jährigen die grüne Botschaft an die Zielgruppe: „Die Generation Z legt großen Wert auf umweltverträgliche Verpackung.“ 

Politisch korrekt, sozial und umweltfreundlich zu sein, gehört zur DNA der Marke. Nucao-Produkte werden mit Bio-Zutaten und fairem Kakao aus ökologischem Anbau hergestellt. Mit jedem verkauften Produkt werden außerdem Aufforstungsprojekte in Nepal und Madagaskar unterstützt.

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Koehler-Chef und -Mitinhaber Kai Furler sind Nachhaltigkeitsüberlegungen nicht fremd. Mehr als 70 Millionen Euro investiert Koehler, um das eigene Kraftwerk am Standort im thüringischen Greiz von Braunkohle und das in Oberkirch von Steinkohle auf Biomasse umzustellen.

Koehler-Chef und -Mitinhaber Kai Furler Quelle: PR

Vor zwanzig Jahren bereits hat Koehler angefangen, nicht nur in die Erzeugung selbst genutzter Energie zu investieren, sondern auch in erneuerbare Energieproduktion als Geschäftsfeld. Heute sind die Windparks, Biomasse- und Wasserkraftwerke der Tochter Koehler Renewable Energy (KRE) ein eigenes und schnell wachsendes Geschäftsfeld. Mit voraussichtlich 150 Millionen Euro Umsatz trug KRE 2022 zum ersten Mal mehr als zehn Prozent zum Umsatz der Unternehmensgruppe bei.

Furler leitet sein Papier-Imperium seit 2011 und in achter Generation. Mit voraussichtlich 1,2 Milliarden Euro Umsatz hat Koehler 2022 erstmals die Milliardengrenze geknackt. Weltmarktführer ist das Traditionsunternehmen unter anderem bei sogenanntem Thermopapier, das etwa bei Supermarktkassen und in Parkscheinautomaten eingesetzt wird. Koehler hat es recyclingfähig gemacht – seitdem ist es technisch bedingt graublau und kommt in dieser Version exklusiv aus Oberkirch. Mit NexFlex kann Furler dem Unternehmen nun neue Märkte und eine neue wirtschaftliche Dimension erschließen.

Damit Plastik nicht mehr die Meere zumüllt

Der Badener ist überzeugt, dass seine Innovation „das nächste große Ding“ wird: „Weil Plastik die Meere zumüllt. Und weil unsere Alternative aus nachwachsenden Rohstoffen kommt und voll recyclingfähig ist.“  Im Vergleich zu herkömmlicher Kunststoffverpackung reduzierten flexible Papierverpackungen „den CO2-Fußabdruck signifikant“ und leisteten zudem einen positiven Imagetransfer auf die Produkt- und Unternehmensmarke.

Die Umstellung der meisten Verpackungsmaschinen von Kunststoff auf Papier erfordert laut Koehler nur geringe Umrüstungen und Investitionen. Der für Verpackungspapiere zuständige Koehler-Bereichsleiter Christoph Wachter sagt: „Oft genügen Adjustierungen einiger Parameter auf bestehenden Verpackungsmaschinen, um etwa Siegeltemperaturen oder Siegelzeiten zu optimieren. Das sind aber alles Maßnahmen, die überschaubar sind.“

Nestlé hingegen berichtet von riesigem Aufwand: „Wir haben bei Smarties zum Beispiel in unserem Hamburger Werk – hier werden die Schokolinsen für Deutschland und mehrere Länder weltweit hergestellt – neue Fertigungslinien installiert, um die Schokolinsen in recyclefähigem Papier verpacken zu können. Auch die Form der Smarties-Riesenrolle haben wir auf sechseckig umgestellt, weil Papier als Verpackungsmaterial dies erfordert hat.“

Nur wenige internationale Hersteller wie der südafrikanische Sappi-Konzern – fünfmal so groß wie Koehler – haben für Lebensmittel geeignete Verpackungspapiere bisher zur Marktreife gebracht.

„Plötzlich kommen die Nestlés und Mondelez dieser Welt und sprechen mit uns“, erklärt Mittelständler Furler die Veränderung in seinem Terminkalender. Manchmal kämen sogar die CEOs, „weil sie sehen wollen, wie das Papier gemacht wird“. Auch mit Ritter Sport ist das Unternehmen im Austausch. Der Quadratisch-Praktisch-Gut-Hersteller aus dem baden-württembergischen Waldenbuch möchte aber noch umfangreiche Tests durchführen.

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Entwickelt hat NexFlex die 60-köpfige Forschungsabteilung am Stammsitz in Oberkirch. 300 Millionen Euro investierte der Mittelständler seit 2019 alleine in die neue Papier- und Streichmaschine für seinen neuen Geschäftszweig. Es war eine strategische Entscheidung Furlers mit Risiko und Weitblick. Auf der Verpackungsmesse „Fachpack“ Ende September in Nürnberg präsentierte der 48-Jährige die selbst entwickelte Primärverpackung für Lebensmittel als neuen Hoffnungsträger des Familienunternehmens erstmals der internationalen Öffentlichkeit. Vier Monate später scheint der Durchbruch geschafft.

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