Alles war vorbereitet: Sets besprochen, Darsteller gecastet, Klamotten ausgesucht. Doch zum „Ruhe bitte! Kamera läuft! Klappe, P&C die Erste!“ kam es nicht. Kurz vor Weihnachten sagte die Düsseldorfer Modekette Peek & Cloppenburg (P&C) den Dreh eines Fernsehspots für ihr Online-Kaufhaus Fashion ID ab. Nicht nur viele P&C-Mitarbeiter, die sich von der rund 15 Millionen Euro teuren Imagekampagne endlich einen Schub für ihren Web-Shop erhofft hatten, waren enttäuscht. Auch Schauspieler Matthias Schweighöfer, Galionsfigur im geplanten Spot, sei unerfreut gewesen, berichtet eine mit den Vorgängen vertraute Person. Schließlich habe er einen anderen Dreh für den Werbefilm verlegt. Schweighöfer will sich zwar zu den „Vorkommnissen“ nicht äußern. Gleichwohl stehen sie symptomatisch für die Lage bei Deutschlands drittgrößter Textilhandelskette: Zögern und Zaudern prägen das Handeln des Familienunternehmens.
Vorsichtiges Investieren, wenig Risikobereitschaft und unüberschaubare Entscheidungsstrukturen verhindern laut Menschen aus dem Inneren des Konzerns entschiedenes Vorankommen. Dabei kommt P&C gleich von zwei Seiten unter Druck. Zum einen wandelt sich der Modehandel rasant: Online-Giganten wie Amazon oder Zalando sowie Markenhersteller mit ihren eigenen Läden bedrohen das Geschäftsmodell der Düsseldorfer. Gleichzeitig muss P&C gelingen, woran schon viele Familienunternehmen scheiterten: der Generationswechsel. Schließlich ist Sippen-Senior Harro Uwe Cloppenburg mittlerweile 74 Jahre alt.
Seltsam abgeschottetes Reich
Intern aber ist die Stimmung schlecht: Fashion-ID-Chef Christian Meermann (Ex-Zalando-Marketingmanager), P&C-Marketingchef Christian Hupertz (Ex-CEO bei der Werbeagentur Grey), der Leiter der P&C-Unternehmensstrategie Richard Federowski (Ex-Roland Berger) und Fashion-ID-Marketingleiter Eric Hofmann, Experte für digitalen Handel, gingen allein seit April; insgesamt verließen im vergangenen Jahr fast ein Dutzend Manager, darunter viele Digitalexperten, das Unternehmen.
Das Geschäft kommt angesichts dieser Wechselspiele nicht voran: Im Online-Handel verliert man den Anschluss, die Umsätze in den Filialen stagnieren. Der vor einigen Jahren eingeleitete Generationswechsel – der zweite Versuch im Übrigen – von Harro Uwe Cloppenburg auf seinen 33-jährigen Sohn Patrick hat daran nichts geändert. Im Gegenteil: Beobachter und Branchenkenner halten Cloppenburg junior neben dem generell schwierigen Marktumfeld für das größte Problem der Düsseldorfer Modehändler.
Die umsatzstärksten Modehändler der Welt
El Corte Inglés
Umsatz 2013: 14,789 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista, Stand: 2015
The Gap
Umsatz 2013: 16,149 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Marks and Spencer
Umsatz 2013: 16,391 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Kohl's
Umsatz 2013: 19,031 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
H&M
Umsatz 2013: 19,729 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Inditex (Beinhaltet Großhandelsumsätze)
Umsatz 2013: 22,265 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
LVMH (Schätzung)
Umsatz 2013: 24,392 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
TJX
Umsatz 2013: 27,423 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Macy's
Umsatz 2013: 27,931 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
Sears
Umsatz 2013: 36,188 Mrd. US-Dollar
Quelle: Statista
P&C, das ist Peek & Cloppenburg Düsseldorf, die westliche Hemisphäre eines seit 1911 geteilten Modeimperiums, das Herrschaftsgebiet von Patrick Cloppenburg. Er ist nicht der Erste aus dem Nachwuchs von Harro Uwe Cloppenburg, der dieses Reich mal führen sollte: Mit den beiden älteren Söhnen aus erster Ehe, Hendrik, 50, und John, 46, hatte es nicht funktioniert. Patrick dagegen ist seit mehr als zehn Jahren im Unternehmen. Der Auto-Liebhaber startete im Herbst 2005 als Abteilungsleiter für Herrenartikel in Köln. Anfang 2010 wechselte er als Stellvertreter in die Unternehmensleitung.
P&C veröffentlicht keine Bilanzen
Dass es so kommen würde, hatte die WirtschaftsWoche schon 2005 berichtet. Dagegen waren die Cloppenburgs presserechtlich vorgegangen. Wie der Clan überhaupt am liebsten nichts über sich und seine Verhältnisse in der Öffentlichkeit sähe: Das Unternehmen gibt sich wie die Premiumstrumpfhosen in seinen Regalen: blickdicht und feinmaschig.
Umsätze? Eigenkapitalquote? Andere bilanzielle Kennziffern? Bleiben unveröffentlicht. Das Branchenmagazin „Textilwirtschaft“ führt P&C in seinem Umsatzranking 2013 mit einem Deutschland-Geschäft von rund 1,3 Milliarden Euro, mit Auslandsgesellschaften dürfte P&C auf knapp über zwei Milliarden Euro kommen. An dieser Größenordnung dürfte sich auch 2014 kaum etwas geändert haben, denn seit mehr als einem Jahrzehnt meldet das Unternehmen eine Umsatzzahl, die zwischen 1,2 und 1,4 Milliarden Euro mäandert. Heißt: Stillstand seit fast 15 Jahren.
Das liegt auch daran, dass P&C gute Mitte sein will, jeder Kunde soll hier etwas Passendes finden – ein Geschäftsmodell, das schon Karstadt und Kaufhof in die Bredouille brachte. Auf Hersteller wie Boss, Esprit oder Hilfiger, die immer mehr eigene Läden öffnen und damit zu neuen Wettbewerbern werden, hat P&C bisher keine Antwort gegeben. Auf Handelsketten wie Zara, H&M, Primark oder Massimo Dutti, die vor allem mit schnell wechselnden Kollektionen oder niedrigen Preisen Kunden in die Läden locken, ebenfalls nicht. Und das, obwohl im stationären Textilhandel nur die Stärksten überleben werden – und der Rest des Geschäfts in den Online-Handel abwandert. Der verzeichnete 2014 ein Umsatzplus von 20 Prozent.
Zweifel am Junior
Für diese Herausforderungen würde man sich Impulse von Patrick Cloppenburg erhoffen; die Fähigkeit, Aufbruchstimmung zu erzeugen. Vielleicht sogar eine Vision, wie es weitergehen könnte. Aber kann er das? Ehemalige und aktuelle Mitarbeiter glauben: nein.
Patrick sei eher unerfahren, habe nach dem Wirtschaftsstudium in London noch nie woanders als bei P&C gearbeitet und sei auch kein Unternehmertyp wie sein Vater. Mitarbeiter beschreiben ihn als schlanken, sportlichen Typen, rund 1,85 Meter groß, mit kurzen, hin und wieder leicht gegelten Haaren. Fast immer trage er Chinos und Sneaker oder Turnschuhe, nicht selten kombiniert mit Hemd und blauem Sakko. Leicht gebräunt sei er meist, vielleicht auch, weil er in der jüngeren Vergangenheit häufiger mal von seiner Finca auf Mallorca aus arbeite. Er erinnere eher an einen US-College-Boy als an den Lenker eines Milliardenimperiums, sagt einer, der bis vor Kurzem mit ihm zusammengearbeitet hat.
Das wäre an sich nicht schlimm, wenn seine Umgangsformen nicht sein lockeres Outfit des Öfteren konterkarieren würden. Der WirtschaftsWoche berichten übereinstimmend zahlreiche Mitarbeiter, er benehme sich „flegelhaft“, treffe bei Gesprächen mit Mitarbeitern häufig nicht den richtigen Ton und verlasse nicht selten abrupt wichtige Meetings. Cloppenburg lässt diesen Schilderungen über die Pressestelle widersprechen.
Ex-Manager hegen Zweifel an der Führung
Selbst Manager, die mit ihm aneinandergeraten sind, halten ihm jedoch mildernde Umstände zugute. Er handele eben oft nicht aus einer Position der Stärke heraus. Zwar nehme er die Chefrolle ein, im Hintergrund stehe aber sein Vater Harro Uwe und mische sich ein. „Patrick mag eine Art Sprecher sein. Der Entscheider ist er nicht“, sagt ein Manager mit langjähriger P&C-Erfahrung. Dem Senior ist es nämlich auch mit Mitte 70 nicht gelungen, loszulassen. Nach wie vor ist er Mitglied der Unternehmensleitung.
Der Stimmung im Unternehmen schadet dieses Durcheinander. Ein Ex-P&Cler sagt: „Es gibt die, die weg wollen und gehen. Und es gibt die, die resigniert haben und bleiben.“ Die einzige Wertschätzung, die P&C den Mitarbeitern entgegenbringe, sei das Gehalt, das zumindest auf den ersten beiden Führungsebenen deutlich über dem Branchenniveau liegen soll. In der Unternehmensleitung freuen sich denn auch gleich elf Manager über die guten Gehälter, davon alleine fünf für den Einkauf Verantwortliche.
Patrick Cloppenburg fällt derweil, ähnlich wie seine Familie, durch seine seltsame Menschen-Abgewandheit auf. Selbst beim jährlichen Meeting der ersten drei Führungsebenen mit rund 300 Managern auf Schloss Hugenpoet bei Essen überlässt die Familie das Reden meistens Mitgliedern der Unternehmensleitung sowie externen Keynote-Speakern wie Ex-Außenminister Joschka Fischer, Bundespräsident Joachim Gauck, Management-Guru Reinhard Sprenger oder Hockey-Trainer Bernhard Peters.
Bei der Weihnachtsfeier im Henkel-Saal in der Düsseldorfer Altstadt – die Unternehmerfamilie zeigt sich dort selten – mussten die Mitarbeiter stets ab 22 Uhr ihre Getränke selbst zahlen. Das änderte sich erst im vergangenen Jahr auf Initiative einiger Mitglieder der Unternehmensleitung.
P&C fehlt eine Online-Strategie
Wie für die Mitarbeiter fehlt Cloppenburg auch Empathie für die Kunden: Das gilt selbst bei simplen Dingen wie der Kundenkarte. Die ist bei P&C eher ein Bonus-Programm, das am Jahresende bei Einkäufen im Warenwert von 2000 Euro bis zu fünf Prozent Rabatt gewährt. Wer sein Kleid allerdings mit einer Kreditkarte zahlt, geht leer aus.
Wie man so etwas richtig macht, demonstriert Konkurrent Breuninger aus Stuttgart: Kunden können mit der Breuninger-Card Kleidung bis zu zehn Tage zur Auswahl mit nach Hause nehmen, in Ruhe anprobieren und bei Gefallen später zahlen, ebenfalls mit der Karte. Hinzu kommen spezielle Schnäppchen für Karteninhaber, auch für Konzerttickets, Hotels oder in Restaurants. Wie regionales Marketing funktioniert, können sich die P&C-Mannen ebenfalls bei den Schwaben abschauen, sogar direkt vor der Haustür. Dort kam Fortuna Düsseldorf, das Fußballteam der Landeshauptstadt, mit allen Spielern zur Autogrammstunde. Ein klarer Auswärtssieg für die Stuttgarter.
Cloppenburgs größte Baustelle ist jedoch der Online-Auftritt. Natürlich ist es schwieriger, aufgrund der Namensgleichheit mit P&C in Hamburg, einen neuen Namen etablieren zu müssen. „Fashion ID ist ein künstliches Konstrukt, niemand zieht den Link zu P&C“, analysiert „Textilwirtschaft“-Chefredakteur Michael Werner. Um den Namen bekannt zu machen, müsse man eben etwas tun – mehr, als P&C tut.
Online-Kunden sind von P&Cs Fashion ID nicht überzeugt
Doch Patrick Cloppenburg scheut das Risiko. „Er will Fashion ID groß machen, aber ohne Risiko und möglichst umsonst“, sagt ein intimer Kenner. Jedes Start-up gehe mutiger zu Werke.
„Der ursprüngliche Anspruch, Zalando als Marktführer anzugreifen, konnte bislang nicht erfüllt werden“, sagt Wolfgang Thomas, Chef der Hamburger Online-Agentur NetzwerkReklame. Für die WirtschaftsWoche hat er den Online-Auftritt der Modeshops verglichen. Resultat: Die Web-Offensive der Düsseldorfer setzt Zalando eher wenig zu.
So klicken sich Zalando-Kunden in der Regel rund 15 Minuten durchs Sortiment, hat der Datendienstleister Comscore für die Studie ermittelt. Fashion-ID-Besucher sind bereits nach rund drei Minuten wieder weg. Und während 2014 im Schnitt rund sechs Millionen Nutzer jeden Monat den Online-Shop des Berliner Großversenders ansteuerten, schauen auf die Fashion-ID-Homepage lediglich eine Million Nutzer.
Kein Wunder: Kunden, die bei Suchmaschinen nach Neuware fahnden, landen nur in Ausnahmefällen bei Fashion ID. Zwar hätten die Düsseldorfer ihre Netzpräsenz ausgebaut, sagt Thomas. Doch trotz der Aufholjagd sei Zalando bei der Sichtbarkeit in Suchmaschinen „immer noch siebenmal stärker aufgestellt“. Noch größer ist der Abstand im sozialen Netzwerk Facebook, wo mehr als drei Millionen Zalando-Jünger ihr Interesse bekunden. Fashion ID bringt es nur auf gut 100 000 Anhänger.
Zalando spielt in einer anderen Liga. Seine hohe Bekanntheit verdankt der Online-Shop nicht zuletzt den bis zur Nervigkeit ausgestrahlten TV-Spots. Kein Marketing, kein Umsatz – nicht nur das kann P&C von Deutschlands erfolgreichstem Online-Modehändler lernen. Sondern auch, dass man vor allem aufwendig vorbereitete TV-Spots besser nicht platzen lässt.