Pfund-Schwäche Verfrühtes Weihnachtsgeschenk für Irlands Shopper

Viele Iren haben so kurz vor Weihnachten die Schwäche des Pfunds im Brexit-Sog für sich entdeckt: In Scharen pilgern sie ins britische Nordirland, um dort Schnäppchen zu kaufen. Für den Handel ist das eine Goldgrube.

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Einige Händler bieten sogar knallhart einen Eins-zu-Eins-Kurs an, also ein Pfund für einen Euro. Quelle: AP

Newry Der drohende Brexit hat das britische Pfund geschwächt, doch in dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland will man sich derzeit nicht darüber beschweren: In Scharen nämlich strömen Käufer aus dem benachbarten Irland mit ihren Euro-Scheinen über die Grenze, um noch schnell günstig Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Tausende reisen täglich etwa in das grenznah liegende Newry und profitieren vom Wertunterschied zwischen Pfund und Euro. Besonders beliebt: alkoholische Getränke einer britischen Supermarktfiliale.

Die Käufermassen in den Einkaufszentren von Newry, das nur acht Kilometer von der Grenze zum EU-Land Irland entfernt liegt, verdeutlichen, wie tief es seit dem Brexit-Referendum im Juni mit dem Pfund bergab gegangen ist. Damals entschieden sich die Briten überraschend für einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Noch bis Ende März will Premierministerin Theresa May die entsprechenden Verhandlungen einläuten. In dem Absturz der britischen Währung spiegelt sich in erster Linie die Unsicherheit wider, was der Brexit wohl tatsächlich für die Wirtschaft auf der Insel und das Land im Allgemeinen bedeuten wird.

Schon der Euro schwächelt derzeit ungewöhnlich stark gegenüber dem erstarkenden Dollar. Doch das Pfund steht noch einmal schwächer da und vergrößert die Preisdifferenzen für die meisten Güter. Derzeit ist es weniger als 1,20 Euro wert - das entspricht einem Abschlag von etwa 15 Prozent auf den Wechselkurs vor knapp einem Jahr.

Die Geschäfte in Newry werben um die Kunden aus Irland mit den günstigsten Wechselkursen, die sie vor ihren Shops auf Tafeln anpreisen. Einige wenige bieten sogar knallhart einen Eins-zu-Eins-Kurs an, also ein Pfund für einen Euro.

„Jeder, mit dem Du im Süden sprichst, war schon hier oben“, erzählt Laura Doherty aus dem irischen Drogheda. „Wir waren letztes Wochenende in Dublin und haben nicht viel gekauft – überall hatte man dieses Gefühl, abgezogen zu werden“, sagt Margaret McArdle, die im nordirischen Grenzort Meigh lebt.

Viele der irischen Käufer marschieren in Newry direkt zur Mall „The Quays“ und dort in den Supermarkt Sainsbury's, einer britischen Kette ohne Filialen in Irland. Die beliebtesten Gänge dort sind diejenigen mit alkoholischen Getränken, der größten Produktgruppe im Grenzverkehr.

„Ich werde so viel mitnehmen wie in mein Auto passt“, sagt John Horgan, ein Straßenhändler aus Dublin, während er unzählige Flaschen Whiskey, Wodka und Gin in seinen Einkaufswagen lädt. Er werde seine Newry-Ausbeute unter der Theke seines Obststandes verkaufen, verrät Horgan. „Was auch immer ich hier kaufe, es wird bis zum Wochenende in Dublin verkauft sein. Ich kann hier einen zehnfachen Gewinn auf jeder Flasche herausschlagen.“


„Ich habe 50 Euro gespart, ohne mich überhaupt angestrengt zu haben“

Auch Fiachra MacRaghnaill ist auf der Jagd nach einem günstigen Tropfen und angelt eine Flasche Champagner aus seinem Einkaufswagen. „Hier kostet er 30 Pfund, bei uns in Irland sind es 50 Euro (42 Pfund)“, sagt er.

Der Ire erstand in Newry aber auch ein iPad Mini von einer britischen Elektronikkette. Zuvor hatte er die Preise im Internet verglichen, doch bei seiner Ankunft in dem nordirischen Ort fand er den Artikel dann als wahres Schnäppchen vor. „Ich habe 50 Euro gespart, ohne mich überhaupt auch nur angestrengt zu haben“, sagt er.

Newrys Gewinne sind Dundalks Verluste. Der Ort, lediglich 22 Kilometer entfernt an derselben Straße gelegen, ist der kommerzielle Rivale von Newry auf irischer Seite. Und während Newry an diesen vorweihnachtlichen Wochenenden völlig überlaufen ist, kämpft Dundalk darum, wenigstens ein kleines Schnittchen des Geschäfts abzubekommen.

Dundalk-Bewohnerin Simone Gray kommt gerade von einem Großeinkauf in Newry, wo sie Lebensmittel und Haushaltsgüter erstanden hat. Obwohl sie ganz offensichtlich selbst von dem Währungsvorteil profitiert, tun ihr die Geschäftsleute im Heimatort leid. Am vergangenen Samstag sei sie durch die Clanbrassil-Straße von Dundalk gegangen, und das habe sich angefühlt wie in einer Geisterstadt: „Da war absolut niemand unterwegs.“

Cathal Austin, der langjährige Manager des Einkaufszentrums „The Quays“ in Newry, schätzt, dass die Einkäufe der Iren dieses Jahr um 50 Prozent über denen von vergangenem Weihnachten liegen. Käufer kommen seiner Beobachtung nach sogar in Charterbussen, auch aus vier Stunden entfernten Städten wie Tipperary, Cork und Kerry im Südwesten Irlands.

Austin meint aber, dass mit dem Brexit möglicherweise der freie Grenzverkehr zwischen beiden Ländern ein Ende haben könnte. Wenn es ganz hart komme, stehe die Rückkehr in die 1980er Jahre an, als sogar Produkte des täglichen Bedarfs geschmuggelt werden mussten.

In jedem Fall sei es wahrscheinlich, dass die Pfund-Schwäche nur einen kurzfristigen Gewinn beschere - auf Kosten einer Zukunft mit Umsatzverlusten auf beiden Seiten der irisch-britischen Grenze. „Wenn jemand glaubt, dass der Brexit einen langfristigen Gewinn für Händler im Grenzgebiet bedeutet, wird er sein blaues Wunder erleben“, prophezeit der Manager.

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