Picnic, Rohlink, Amazon Fresh Der Onlineangriff auf Deutschlands Supermärkte beginnt

Mit einer Armada schmaler Elektroautos liefert der Newcomer, an dem auch Edeka beteiligt ist, Lebensmittel in zahlreichen Städten Nordrhein-Westfalens aus. Quelle: dpa

Lange zögerten die deutschen Verbraucher beim Einkauf von Lebensmitteln im Internet. Doch seit Beginn der Coronapandemie ändert sich das. Und immer mehr Anbieter machen sich bereit, den Milliardenmarkt zu entern.

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An der Eroberung des deutschen Online-Lebensmittelmarktes haben sich bislang sowohl Supermarkt- wie Internetschwergewichte die Zähne ausgebissen. Kein Wunder: Das Preisniveau in Deutschland ist niedrig, zudem sind Supermärkte und Discounter in den Metropolen meist innerhalb weniger Minuten erreichbar. Beim Online-Ordern von Lebensmitteln sei Deutschland daher „auf dem Entwicklungsstand von Großbritannien vor zehn Jahren“, bilanzierten jüngst die Handelsexperten der Unternehmensberatung EY-Parthenon in einer Studie. Selbst beim Online-Marktführer Rewe, der seinen Lieferservice in bundesweit rund 75 Städten anbietet, schien man ernüchtert. Die „hochfliegenden Prognosen vieler Unternehmensberater“ haben sich nicht erfüllt, konstatierte Rewe-Chef Lionel Souque noch im Februar im Gespräch mit der WirtschaftsWoche: Das Wachstum verlaufe „eher linear als exponentiell“. Doch seit Corona ändert sich das. 

Die Angst vor einer Ansteckung und der Siegeszug des HomeOffice' haben dem Einkauf von Fleisch, Obst und Gemüse via Internet Zuwachsraten von knapp 40 Prozent beschert, sowohl im Bestellvolumen als auch beim Anteil der Konsumenten, die die Lieferdienste nutzen, heißt es nun bei EY-Parthenon. Damit sei das Marktsegment „der absolute Online-Shootingstar der Krise“. Bis 2024 dürfte sich das heutige Umsatzvolumen demnach von 1,8 auf 4,3 Milliarden Euro verdoppeln, erwarten die Experten.

Schon bringen sich die großen Anbieter Rewe und Amazon Fresh für den erwarteten Wachstumsschub in Stellung und bauen ihre Kapazitäten aus. Gleichzeitig drängen neue Player in den Markt, wie der tschechische Lebensmittelhändler Rohlik, der mit seinem deutschen Ableger Knuspr.de Anfang 2021 in München starten will. Kurz danach sollen Frankfurt und Stuttgart folgen. Erklärtes Ziel: die Marktführerschaft im deutschen Online-Brot-und-Butter-Business. 



Während Rohlik noch plant, ist der holländische Rivale Picnic schon deutlich weiter. Mit einer Armada schmaler Elektroautos liefert der Newcomer, an dem auch Edeka beteiligt ist, Lebensmittel in zahlreichen Städten Nordrhein-Westfalens aus. Am Steuer sitzen sogenannte „Runner“. Alle adrett gekleidet: weißes Hemd, dunkle Jeans, weiße Sneaker, rote Schürze. Die Uniform soll Picnics Konzept vom modernen Milchmann symbolisieren: Wie früher die Milchmänner, düsen die Picnic-Runner, zu bestimmten Zeiten durch die Straßen in ihrem Lieferbezirk und bringen die Ware direkt zu den bereits mehr als 150.000 Kunden. „Corona hat für einen extremen Wachstumsschub gesorgt“, sagt Frederic Knaudt, Mitgründer von Picnic Deutschland.

Ein Fahrer des Lebensmittellieferanten Picnic, trägt eine Lieferung aus. Quelle: dpa

Goldgräberstimmung im Online-Lebensmittelhandel

Arbeiteten Anfang des Jahres noch rund 500 Mitarbeiter für Picnic in Deutschland, sind es heute bereits 1500. „Bis Jahresende sollen weitere 400 bis 500 Mitarbeiter dazu kommen“, so Knaudt. Es sei zwar eine Herausforderung, aber aktuell lasse sich der Bedarf an neuen Mitarbeitern noch decken, sagt Knaudt. Unter den Bewerbern seien viele frühere Gastronomie- und Flughafenkräfte, die jetzt coronabedingt nach neuen Jobs Ausschau halten. 

Das hilft auch den Lieferveteranen Bofrost und Eismann, ihren Personalbedarf zu decken. Die beiden Tiefkühlspezialisten fuhren schon im Frühjahr Sonderschichten, um im Corona-Lockdown Rahmspinat, Erbsen und Lachsfilet verlässlich bis an die Haustür der Kunden zu bringen. „Ab Ende März sind unsere Bestellungen sprunghaft gestiegen“, sagt Eismann-Geschäftsführer Elmar Westermeyer. Das erste Halbjahr bescherte dem in Mettmann ansässigen Unternehmen 20 Prozent mehr Umsatz und 120.000 Neukunden. Auch beim Lieferprimus Brofrost ging es nach Angaben eines Unternehmenssprechers deutlich nach oben. Nun rüsten sich die Kontrahenten für das Weihnachtsgeschäft und den Lockdown light, die nächsten Nachfragespitzen sind in Sicht und müssen auch personell aufgefangen werden. „Gerade aus der Gastronomie kommen viele gute Leute, die sich mit Lebensmitteln und ihrer Zubereitung bestens auskennen“, so Westermeyer, das sei „in der Kundenansprache ein absolutes Plus“. 

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von Jacqueline Goebel, Daniel Goffart, Henryk Hielscher, Katja Joho, Stephan Knieps, Bert Losse, Andreas Macho, Theresa Rauffmann

Zu den 860 „Eismännern“ sollen in den nächsten Wochen daher rund 70 neue dazu kommen. Dafür hat das Unternehmen inzwischen auch sein Provisionsmodell verändert und „insbesondere in der Startphase deutlich mehr Geld draufgepackt“, sagt der Eismann-Chef. „So erleichtern wir den Einstieg und können dann langfristig überzeugen“. 

Doch nicht nur die Lieferveteranen sondern auch immer mehr Markenhersteller suchen den direkten Draht zum Kunden. So hat beispielsweise der Danone-Konzern im Oktober einen eigenen Online-Shop für seine Baby-Nahrungsmarke Milupa gestartet. Bereits seit August gibt es ein ähnliches Angebot für die Danone-Marke Aptamil. Für das größte Aufsehen sorgte indes die Übernahme des Online-Lieferdienstes Flaschenpost durch Dr. Oetker. Das 2016 gegründete Start-up Flaschenpost liefert nach eigenen Angaben mittlerweile in 23 Städten Getränke an die Kunden aus.

Der Nahrungsmittelkonzern Dr. Oetker ist dagegen vor allem für sein Backpulver und seine Tiefkühl-Pizzen bekannt. Doch hat das Familienunternehmen auch eine große Getränkesparte, zu der unter anderem Deutschlands größte Brauereigruppe Radeberger mit Marken wie Jever, Schöfferhofer oder Clausthaler, aber auch die Sektmarken Henkell und Freixenet gehören. 


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Wie groß die Hoffnungen auf das Online-Liefergeschäft sind, lässt auch der Kaufpreis erahnen. Nach Informationen des Branchendienstes „Deutsche Startups.de“ soll Flaschenpost Dr. Oetker eine Milliarde Euro wert sein. Oetker selbst machte dazu keine Angaben.

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