Pop-Up-Stores in Coronazeiten 20.000-Euro-Turnschuhe im Pop-Up-Store

Philipp Kassel Quelle: Privat

Ausgerechnet in Pandemie-Zeiten gewinnt die nicht mehr ganz so neue Idee von Pop-Up-Geschäften neue Bedeutung – wie das Beispiel des Turnschuh-Verkäufers Philipp Kassel zeigt.

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Mit Kanye West und Jay-Z fing alles an. Als die beiden US-Rapper im Juni 2012 für ein Konzert nach Frankfurt kamen, im Rahmen ihrer „Watch the Throne“-Tour, schlug der Bankkaufmannslehrling Philipp Kassel vor der Festhalle Frankfurt sein Zelt auf: Er wollte unbedingt einen Platz in der ersten Reihe im Innenraum erringen. Das gelang ihm. Und so aus nächster Nähe betrachtet, bemerkte Kassel dann auch diese besonderen Nike-Schuhe, die Kanye West während des Auftritts trug: die sogenannten Nike Air Yeezy. „Die wollte ich mir nach dem Konzert auch kaufen“, erinnert sich Kassel. „Ich habe überall geguckt: Foot Locker, Sport-Check, Nike – nix.“ Schließlich fand er die Schuhe bei Ebay: für rund 20.000 Euro. „Mit meinem Azubi-Gehalt konnte ich das natürlich vergessen.“

Heute würde Kassel nicht mehr bei Foot Locker nach solch einem limitierten Turnschuh suchen: Er verkauft sie inzwischen selber. Nachdem er bei einer Verlosung des Schuhhändlers „Size?“ in Köln einmal das Kaufrecht für drei Yeezy V2 von Adidas (genannt: „Bred“) gewonnen und die drei Paar direkt vor dem Laden mit jeweils 300 Euro Gewinn an Zwischenhändler weiterverkauft hatte, war Kassel, wie er sagt, „im Thema drin“. Da habe er erstmals bemerkt, „man kann auch neben dem kommerziellen Job in der Bank Geld verdienen, ohne sich in einen Anzug zu zwängen“. Anfang 2017, da studierte er BWL in Köln, machte er sich selbständig mit seinem Online-Sneaker-Vertrieb 7Perplex: Er kauft limitierte Turnschuhe von anderen Händlern auf und veräußert sie weiter. Als er dem Ravensburger Rapper Kenneth Glöckler, bekannter unter seinem Pseudonym Kay One, ein Paar seltene Schuhe verkaufte, und dieser anschließend den Kauf und auch den Verkäufer via Instagram seinen zahlreichen Anhängern anpries, erhielt Kassel quasi über Nacht mehrere Dutzend Anfragen. Vergangenes Jahr verkaufte er rund 2000 Paar Schuhe und erzielte rund 500.000 Euro Umsatz.

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Kassel erzählt seine Geschichte am Telefon, er ist derzeit in Berlin: Im Edel-Warenhaus Kaufhaus des Westens (Kadewe) unterhält er seit vergangener Woche einen sogenannten Pop-Up-Store. Bis zum 9. Januar verlagert er sein Online-Geschäft nun ins erste Kadewe-Obergeschoss. Es ist Kassels bislang längstes stationäres Handels-Engagement. Ist das eine gute Idee, den Online-Handel in ein Kaufhaus zu verlängern, ausgerechnet während der Coronapandemie, mitsamt der bekannten Einschränkungen? Offenbar, finden nicht nur Philipp Kassel und das Kadewe, schließlich ist es bereits ihre zweite Kooperation nach der Premiere im Sommer. Und gleichzeitig verkauft er nun auch in einem zweiten Pop-Up-Store seine Schuhe im Kaufhaus Breuninger in Düsseldorf – dort ist dann seine Freundin vor Ort.

Zalando und selbst Aldi mit Pop-Up-Stores

Das Konzept Pop-Up-Geschäft ist nicht neu. Es entstand etwa Anfang der 2000er Jahre in den USA: temporäre Läden, die nur wenige Monate oder Wochen öffnen, vorzugsweise in Ferienzeiten, um auch viele Touristen zu erreichen. In Deutschland machten später Onlinehändler wie zum Beispiel der Modehändler Zalando das Konzept bekannter, der etwa 2012 in einem Geschäft in Berlin-Mitte drei Tage lang Frühjahrsmode präsentierte. Mittlerweile eröffnet Zalando Pop-Up-Stores in Serie. Auch der Discounter Aldi errichtete im September für ein paar Tage in Berlin einen Pop-Up-Laden, um seine limitierte Kleider-Kollektion „Aldi Original“ loszuschlagen. Die Leute standen Schlange, um Aldi-Anzug, Tennissocken und „Aldiletten“ kaufen zu dürfen. Sebastian Deppe von der Münchener Handelsberatung BBE sagt: „Das Konzept Pop-Up-Store wird zwar ein bisschen gehypt, ist aber hochspannend.“ Ein Händler habe dadurch grundsätzlich die Chance, „mal etwas Innovatives, Neues auf begrenzter Fläche zu zeigen“, meint Deppe – und so auch Kunden anzuziehen, „die er sonst vielleicht nicht in sein Haus bekäme.“

In der Coronapandemie kommt aber noch eine Besonderheit hinzu: Viele haben kaum eine andere Wahl. Handelsexperte Deppe: „Viele Shoppingcenter sind auch aus einer Notsituation heraus sehr offen für das Konzept Pop-Up: wegen sonst drohendem Leerstand. Die Coronakrise ist ein Beschleuniger dieser Entwicklung.“ So versucht auch die hessische Stadt Hanau mit der Initiative „Hanau aufladen“ mittels Pop-Up-Geschäften ihre Innenstadt zu vitalisieren, die durch die Pandemie, wie viele andere auch, mit Leerständen zu kämpfen hat. Lokale Gründer oder Händler dürfen sich hier in Geschäften in teils bester Innenstadtlage für begrenzte Zeit ausprobieren; die Miete zahlt zunächst die Stadt. Auch die Stadt Bremen treibt ein ähnliches Projekt voran.

Die Edel-Kaufhäuser von Kadewe und Breuninger indes sind nicht derart von der Krise betroffen. Pop-Up-Konzepte, erklärt eine Kadewe-Sprecherin, gehörten schon seit vielen Jahren zum Geschäftsmodell der drei Häuser; neben dem Kadewe in Berlin zählen auch das Oberpollinger in München und das Alsterhaus in Hamburg dazu. In allen drei Häusern gebe es zwischen 80 und 100 Pop-Up-Flächen: Diese können von großen wie auch von kleineren, aufstrebenden Marken sein. Corona ändere daran nichts.

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Und auch der Stuttgarter Warenhaus-Filialist Breuninger (Umsatz: circa 900 Millionen Euro) mit seinen elf Häusern setzt schon länger auf temporär vermietete Verkaufsflächen. Auf den Turnschuh-Verkäufer Philipp Kassel wurde man über das Netzwerk Instagram aufmerksam, die erste Zusammenarbeit erfolgte im April 2019 im Haupthaus in Stuttgart. Ein Wochenende am Monatsanfang, „weil die Leute dann gerade ihr Gehalt überwiesen bekommen haben“, sagt Kassel. Offenbar bekam Breuninger das, was man sich von Kassel erhofft hatte. Eine Unternehmenssprecherin teilt mit: „Gefragte Sneaker-Modelle wie Adidas x Yeezy oder Nike x Off White sprechen ein jüngeres Klientel an, das sich für besondere, exklusive Produkte interessiert. Philipp Kassel als auch Breuninger profitieren demnach von Synergie-Effekten“.

Der ersten Pop-Up-Zusammenarbeit in Stuttgart folgten weitere, etwa in den Breuninger-Filialen in Düsseldorf, Nürnberg, Leipzig, Freiburg sowie im Main-Taunus-Zentrum. Mittlerweile kann so ein Temporär-Geschäft auch schon mal eine Woche dauern. Nach wie vor, sagt Kassel, erwirtschafte er zwar mehr als 80 Prozent seines Jahresumsatzes mit dem Online-Vertrieb. Sein wichtigster Kanal sei Whatsapp, er bediene zum Großteil Stammkunden. Aber er profitiere dennoch enorm von der Offline-Erfahrung: In einer Woche im Breuninger verkaufe er ungefähr 50 Paar Schuhe, der Durchschnittspreis liegt zwischen 400 und 600 Euro. Besonders gehypte Schuhe wie etwa der Nike Air Dior kosten rund 20.000 Euro. Wie viel von seinem Umsatz er an Breuninger oder Kadewe abtreten muss, will Kassel nicht sagen. Aber er berichtet von zahlreichen „prominenten Kunden“, die durch diese Edel-Kaufhäuser spazierten. Bei manchen Profifußballern wie etwa Christoph Kramer von Bundesligist Borussia Mönchengladbach profitiert Kassel von deren Mitteilungsdrang bei Instagram und Facebook, was wiederum neue, ebenfalls kaufkräftige Kundschaft nach sich zieht. Und die Prominenz seiner Käufer verschafft Kassel auch bei seinen Händlern eine bessere Position: „Ab einem gewissem Bekanntheitsgrad kriegt man Angebote.“


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Seit kurzem präsentiert Kassel seine wertvolle Ware während einer Pop-Up-Session einlaminiert. Das Problem hatte er zu Zeiten als reiner Online-Händler nicht gekannt: Aber wenn zahlreiche Kunden die Schuhe mal in die Hand nehmen, begutachten und drehen, könnten sie leicht beschädigt werden. Bei diesen Preisen sind Fans und Sammler diesbezüglich wenig tolerant. Die Idee, die Schuhe in Folie einzuwickeln, hat Kassel von seinem großen Vorbild. Und das ist nicht etwa ein anderer, größerer Online-Verkäufer - sondern der stationäre Sneaker-Tempel Flight Club in Manhattan.

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