Porzellanhersteller Abschied vom großen Service

100 Teile muss man erst einmal im Schrank unterbringen – Porzellan kaufen die Kunden in Deutschland heute oft lieber in Einzelteilen. Das stellt die Hersteller wie Rosenthal vor große Herausforderungen.

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Große Porzellan-Sets kaufen die Kunden in Deutschland heute eher selten. Quelle: Jahreiss/Porzellanikon/dpa

Hohenberg Wenn an Weihnachten die Gans – oder der vegane Maronenbraten – auf den Tisch kommt, soll es festlich sein. Doch eine schön gedeckte Tafel ist nicht mehr das, was sie einmal war - das bekommt vor allem die Porzellanbranche zu spüren. Die muss sich jetzt auf andere Ideen verlagern - und zählt auch aufs Ausland.

„Viele Menschen kochen gerne zuhause und zelebrieren das Essen“, sagt Wilhelm Siemen. Er leitet das staatliche Museum Porzellanikon im bayerischen Hohenberg an der Eger, in das viele Fans des Werkstoffs kommen. Wer ein qualitätsvolles Geschirr besitzt, decke es je nach Anlass auf - zu Festen oder wenn für Gäste ein Vier-Gänge-Menü gekocht werde. „Man will zeigen, dass man ein kultivierter Mensch ist.“

Nur: Ein neues 100-teiliges Service kauft heute kaum mehr jemand. Früher gehörte eines auf den Hochzeitstisch eines jungen Paars - so aber ist es nicht mehr. Dafür ist nicht unbedingt Platz, und: Eine Geschirr-Serie mit einem bestimmten Dekor von einem bestimmten Hersteller zu kaufen, die einen durchs Leben begleitet - oder am besten noch zwei Sets zu haben, eines für den täglichen Gebrauch und ein festliches: „Das“, sagt Thomas Grothkopp, Geschäftsführer des Handelsverbands Koch- und Tischkultur (GPK), „ist ein Auslaufmodell.“

Heute kaufen die Menschen Einzelteile, die sie aufstocken und individuell kombinieren können - auch für Hochzeitstische. „Die Brautpaare wählen meist einzelteilige Serien aus, die eine lange Laufzeit haben“, sagt Petra Böttger, Einkäuferin bei Galeria Kaufhof. Die Farbe Weiß liege vorn. Beides garantiert, dass man später erweitern kann. Komplette Sets kauften die meisten schon vor der Hochzeit, für die erste eigene Wohnung - aber eher günstig.

Wenn Kunden eher vier Tassen kaufen statt ein Geschirr-Set für zwölf Personen, dann schlägt sich das in den Büchern der Produzenten nieder. Hinzu kommt die Konkurrenz durch Importe zum Beispiel aus Asien, die es in Möbelhäusern billig gibt. Viele Firmen halten das nicht durch. „Den Herstellern ist es nicht gelungen, das veränderte Kaufverhalten komplett auszugleichen“, sagt Christoph René Holler vom Bundesverband Keramische Industrie (BVKI), dem nur tarifgebundene Unternehmen angehören. „Das zeigt sich an den Insolvenzen.“

Fast 850 Betriebe stellten noch vor zehn Jahren in Deutschland keramische Haushaltswaren oder Ziergegenstände her. Innerhalb von acht Jahren - bis 2014 also - mussten rund 190 davon aufgeben, das zeigen Zahlen aus dem Unternehmensregister des Statistischen Bundesamts. Neuere Zahlen gab es noch nicht. „Das war eine Marktbereinigung, und es hat Überkapazitäten gegeben“, sagt Holler. Gerade die Kleinen starben: Mehr als 90 Prozent dieser verschwundenen Firmen hatten weniger als zehn Beschäftigte.


Junge Firmen sorgen für Aufwind

Die sechs Großen auf dem Markt allerdings haben den Gesamtumsatz der Branche wachsen lassen. Er wuchs dem Unternehmensregister zufolge im selben Zeitraum von 573 auf rund 981 Millionen Euro. Rosenthal, Villeroy und Boch, Seltmann Weiden, Kahla, die Manufaktur Meissen und BHS Tabletop steigerten ihren gemeinsamen Anteil am Gesamtumsatz um fast ein Viertel. Wobei gerade BHS vor allem für Hotels, Gaststätten oder Seniorenheime produziert.

Das Exportgeschäft ist dabei besonders wichtig. Mehr als die Hälfte des Porzellans für Hotels geht nach BVKI-Angaben ins Ausland (50,5 Prozent), für Privatkunden sind es 47 Prozent. „Die Firmen bieten für unterschiedliche Länder auch verschiedene Produkte an“, sagt Siemen.

Für die Branche sieht der Umsatz mit Haushaltsgeschirr in den ersten drei Quartalen dieses Jahres aber nicht so rosig aus. Von Januar bis September war der Absatz der BVKI-Betriebe mit 114 Millionen Euro rückläufig im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (120 Millionen Euro), wie Holler sagt. Der Verband hoffe aber noch auf das Weihnachtsgeschäft. „Durch das letzte Quartal könnte sich bei unseren Mitgliedern noch ein Umsatzplus gegenüber dem Vorjahr ergeben.“

Ob als Weihnachtsgeschenk oder für den Hochzeitstisch: Für die deutschen Porzellanhersteller sind nicht jene Menschen die Zielgruppe, die einfach irgendeine Schüssel für das schnelle Müsli wollen. „Sondern es geht um das nachhaltige Geschirr, um hochwertiges Design“, sagt Museumsdirektor Siemen. Das müsse nicht sehr teuer sein. „Manche Marken wenden sich bewusst an eine junge Zielgruppe, die nicht das dicke Portemonnaie hat, aber gutes Design will.“

Auch, weil es dabei um Repräsentation geht. „In einer gewissen Szene gibt es dafür Geheimtipps“, sagt Grothkopp vom GPK. Wie die erst 1992 gegründete Manufaktur Hering in Berlin, gegründet von der Keramikmeisterin Stefanie Hering. Die Traditionsfirmen wie Rosenthal, das auch die Marke Thomas vertreibt, oder Kahla setzen nicht mehr nur auf die klassisch gedeckte Tafel, sondern zum Beispiel auf Barbecue-Geschirr, Becher für den Coffee-to-go oder rutschfestes Porzellan. Junge Selbstständige, sagt Siemen, und Innovationen bei den Alten zeigten, dass Porzellan wieder Aufwind bekomme.

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