Preise massiv gestiegen Schrotthändler: „Die Speditionen stehen derzeit Schlange bei uns“

Nach den Materialien Holz, Stahl, Aluminium und Kunststoff wird nun auch der Sekundärrohstoff Schrott zur Mangelware. Laut dem Fachverband Schrott, E-Schrott und Kfz-Recycling sind die Preise für Stahlschrott seit dem Vorjahr im Durchschnitt um 200 Euro gestiegen. Quelle: dpa

Nach Holz, Stahl und Kunststoff wird nun auch der Sekundärrohstoff Schrott zur Mangelware. Die Preise für Stahlschrott sind seit November um 80 Prozent gestiegen. Eine Entspannung ist nicht in Sicht.

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Den Weg aus ihrem Schrottwerk in Deisslingen nahe Konstanz muss sich Geschäftsführerin Bettina Schuler erst durch viel Hupen freikämpfen. Sechs Lastwagen von unterschiedlichen Speditionen stauen sich an diesem Mittwoch Mitte Juni vor dem Werkstor des Schrottgroßhändlers Schuler Rohstoff aus Baden-Württemberg. „Die Speditionen stehen derzeit Schlange bei uns“, sagt Schuler, „sobald Schrott bei uns reinkommt, wird er auch sofort wieder abgeholt.“

Anfang der 1990er-Jahre hat Schuler den Schrottbetrieb ihrer Eltern übernommen. Bis zu 25.000 Tonnen Schrott setzt die Unternehmerin mit ihren knapp 100 Mitarbeitern an mehreren Standorten monatlich um. Was sich derzeit an den Schrottplätzen ihres Unternehmens abspielt, hat Schuler in mehr als 30 Jahren Berufserfahrung noch nicht erlebt. „Ich habe noch nie ein derart hohes Niveau an Preisen für Schrott erlebt wie im Moment“, sagt Schuler.

Nach den Materialien Holz, Stahl, Aluminium und Kunststoff wird nun auch der Sekundärrohstoff Schrott zur Mangelware. Laut dem Fachverband Schrott, E-Schrott und Kfz-Recycling sind die Preise für Stahlschrott seit dem Vorjahr im Durchschnitt um 200 Euro gestiegen. Das entspricht einer Steigerung von rund 80 Prozent im Vergleich zum November des Vorjahres.

von Rüdiger Kiani-Kreß, Andreas Macho, Martin Seiwert, Christian Ramthun, Christian Schlesiger, Volker ter Haseborg

Die massiv gestiegenen Schrottpreise sind auch ein Indikator dafür, wie drastisch der Materialkreislauf in der Stahlindustrie durch die Pandemie aus dem Gleichgewicht geraten ist. Grund dafür ist nicht zuletzt der Mangel von Halbleitern. Weil in der Autoindustrie zahlreiche Werke wegen fehlender Mikroelektronik nicht produzieren können, fehlen den Schrotthändlern nun die Produktionsabfälle der Autoindustrie, die diese wiederum an Stahlwerke liefern. Wenig spricht dafür, dass dieser Materialkreislauf sich rasch wieder normalisieren wird. Der Preis für Schrott dürfte laut Brancheninsidern zumindest bis Jahresende auf hohem Niveau verharren.

„Seit dem Ausbruch der Pandemie erleben wir nur noch Extreme“, sagt Stephan Klein, Verkaufsleiter beim Schrott- und Metallgroßhändler Theo Steil aus Trier. Rund 600 Millionen Euro setzt das Unternehmen mit seinen rund 750 Mitarbeitern pro Jahr um. Mit Beginn der Pandemie drohte ein massiver Rückgang der Geschäfte. „Die Nachfrage der Autoindustrie ist in den ersten Monaten der Pandemie so stark eingebrochen, dass man meinen konnte, es werden nie wieder Autos produziert“, erinnert sich Klein. Und er erinnert sich an die Kettenreaktion, die das entfacht habe. „Daraufhin haben natürlich auch die Stahlkocher ihre Kapazitäten runtergefahren und kaum noch Schrott eingekauft“, so Klein.

Statt nach Deutschland verkaufte Klein den Schrott des Unternehmens Theo Steil während der Pandemie vorwiegend in andere Länder. Seit Anfang des Jahres habe Theo Steil vermehrt in die Türkei exportiert, das als größter Schrottimporteur der Welt gilt. „Die Warenströme beim Schrott haben sich durch die Pandemie verändert. Es ist zu einer Umleitung in andere Länder gekommen“, so Klein.

Mit dem Rückgang der Corona-Infektionszahlen und der wachsenden Nachfrage nach Schrott kam es zu einer massiven Verteuerung des Sekundärrohstoffs. Laut Einkaufsleiter Klein habe die Türkei die Preise in der Branche seit Anfang des Jahres diktiert. Um den Schrott in Deutschland zu halten, müssten heimische Stahlkocher die türkischen Preise nun überbieten. „Im Juni war der Inlandspreis für Schrott erstmals wieder höher als der Exportpreis“, so Klein.

Doch die Probleme der Industrie sind auch die Probleme von Einkäufer Klein. Seit der Halbleitermangel die Werke vieler Autobauer stillgelegt hat, fehlt Klein der Nachschub an Schrott. „Von dem Stahl, den die Autohersteller etwa für die Rohkarosserie einsetzen, ergeben sich gut 20 Prozent Produktionsabfall“, so Klein. Diese Abfälle sind ein wichtiger Pfeiler für den Rohstoffeingang von Theo Steil und anderen Schrotthändlern. Nun fehlen ihnen diese Abfälle.

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Zum Mangel an Schrottnachschub gesellt sich die gestiegene Nachfrage. „Wir erleben derzeit einen regelrechten Nachfrageschock bei Schrott“, sagt Sebastian Will, stellvertretender Vorsitzender des Fachverbands Schrott. Die seit Jahren bestehenden globalen Überkapazitäten beim Stahl seien durch die Pandemie wie weggeschmolzen. China würde seinen Stahl kaum noch exportieren, wodurch die europäischen Stahlhersteller die gewaltige Nachfrage kaum bedienen können. Will rechnet damit, dass die Schrottpreise bis Ende des Jahres auf dem hohen Niveau verharren werden.

Beim Schrotthändler Schuler Rohstoff müssen sich Kunden bereits auf Wartezeiten einstellen. „Ich kann der enormen Nachfrage momentan nicht gerecht werden“, sagt Geschäftsführerin Schuler. Neukunden würde sie in manchen Bereichen nicht mehr aufnehmen. Alleine durch die bestehenden Kunden würde „alles, was an Schrott reinkommt, sofort wieder verkauft“ werden.

Die Lager zu füllen, käme Schuler aber auch aus einem anderen Grund nicht in den Sinn. „Sollten die Preise für Schrott wieder sinken, würden wir mit vollen Lagern unsere Bilanz belasten“, sagt die Unternehmerin. Höhere Margen würde ihr die Preisrallye beim Schrott ohnehin nicht bescheren. „Unsere Einkaufspreise sind ja in gleichem Maße gestiegen wie die Verkaufspreise.“

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