Preisexplosion Toilettenpapier könnte wieder „heiße Ware“ werden

Ist Toilettenpapier bald wieder heißgehandelte Ware? Quelle: imago images

Das Thema Toilettenpapier kommt nicht aus den Schlagzeilen: Jetzt droht ein Preisruck – ausgelöst durch mehr Umweltschutz in China. Womit deutsche Konsumenten rechnen müssen. 

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Der Andrang vor den Toilettenpapierregalen in deutschen Supermärkten und Drogerien steigt wieder. Denn die Tage, in denen Toilettenpapier ein Schnäppchen war, sind gezählt. Die Toilettenpapier-Hersteller Hakle, Essity und Kimberly-Clark kündigten Preissteigerungen für Toilettenpapier an. Und die deutschen Konsumenten haben in Sachen Vorratskauf seit dem Ausbruch der Coronakrise vor einem Jahr Übung: „In Deutschland war das Hamstern schon ausgeprägter“, sagt Christoph Werner, CEO der Drogeriemarktkette dm, im WirtschaftsWoche-Podcast Chefgespräch mit Chefredakteur Beat Balzli.

Hamsterkäufe, leere Regale, Rund-um-die-Uhr-Produktion, Nachfragestau, drohende Kurzarbeit und jetzt eine saftige Preiserhöhung – die Schlagzeilen rund um das Thema Toilettenpapier nehmen kein Ende. Experten rechnen in den nächsten Wochen mit Preiserhöhungen von bis zu zehn Prozent – je nach Qualität macht das zwischen 20 und 50 Cent je Packung aus.

Volker Jung, Geschäftsführer und Besitzer des deutschen Traditionsfabrikanten Hakle gibt an, dass steigende Nachfrage nach Zellstoff Handlungsdruck erzeugt: „Die Rohstoffpreise ziehen seit Januar 2021 an und entwickeln für die gesamte Branche Relevanz.“ Er stünde von Beginn an in engem Austausch mit seinen Handelspartnern, um sie über die Situation zu informieren.

Christoph Werner kann sich mit dem Krisenmanagement der Regierung nicht anfreunden. Im Podcast erklärt er, warum Zentralisierung weder im Staat noch im Unternehmen die Lösung ist und was er von seinem Vater gelernt hat.
von Beat Balzli

Ein Grund für die Preisexplosion von frischen Zellstoffen ist die gestiegene Nachfrage aus China. Dort trat in diesem Januar der vom dortigen Umweltministerium 2018 angeordnete Bann von Altpapierimporten vollständig in Kraft. Das Land hatte 2017 noch fast 28 Millionen Tonnen Altpapier eingeführt. Im vergangenen Jahr importierte die Volksrepublik immerhin noch acht Millionen Tonnen. Der komplette Bann löst jetzt weltweite Verwerfungen an den Zellstoffmärkten aus: „Es ist eine  Lücke von mehreren Millionen Tonnen entstanden“, sagt Esko Uutela, Tissue-Experte vom Marktforschungsinstitut Fastmarkets RISI. „Das bringt jetzt Preiserhöhungen bis in die deutschen Supermärkte.“

Dass die chinesische Wirtschaft wieder brummt, erschwert die Lage – viele der Waren, die von dort in den Westen exportiert werden, werden in Pappkartons verpackt, die nicht wie früher wieder aus dem westlichen Handel in die Volksrepublik zurückkommen. Teils kompensiert China das durch den Import von in anderen asiatischen Ländern vorrecycelte Altpapierpulpe. Doch in der Hauptsache schließt China die Lücke durch den Import von Frischfaser-Zellstoffen. Und konkurriert dabei im Einkauf auch mit den deutschen Toilettenpapier-Herstellern.

Weitere Faktoren für den Preisdruck für Toilettenpapierhersteller sind geringere Kapazitäten in der Erdölverarbeitung – das ist nicht nur für die Plastikverpackungen wichtig, sondern auch für die Leime und Trennmittel für die Toilettenpapierproduktion. Außerdem ruckelt die Zellstoffproduktion, weil weltweit nicht genug neue Produktionsanlagen entwickelt wurden.

Preisinflation um 30 Prozent

Die Preise für alle Sorten von Zellstoff steigen seit Jahresanfang von Monat zu Monat stärker. Der für Toilettenpapiere beliebte kurzfaserige Eukalyptus-Zellstoff kostete im März pro Tonne 770 Euro – eine Preissteigerung zum Vormonat um rund 13 Prozent. Im Vergleich zum niedrigsten Stand in 2020 kostet Zellstoff jetzt im Schnitt 30 Prozent mehr.

Zwei Drittel des Preises von Toilettenpapier macht der Rohstoff aus. Die meisten Produzenten haben allerdings langlaufende Lieferverträge und müssen sich selten nur zum Spot-Preis am Rohstoffmarkt eindecken. Dennoch geben sie wohl nur einen Teil des Preisdrucks an den Handel weiter. Als erster Toilettenpapierfabrikant hat Navigator aus Portugal ab Anfang April die Preise für alle Lieferungen um sechs bis neun Prozent angehoben. Seither ziehen andere Hersteller weltweit nach. „Alle befinden sich unter extremem Druck, alle müssen die Preise erhöhen“, so Uutela, „dabei hatten sie 2020 die Rohstoffpreise auf ihrer Seite und noch gute Gewinne erzielt.“

Die Verknappung des Zellstoffes führt dazu, dass in Brasilien auf Flächen, die zuvor der Rinderhaltung dienten, wieder Bäume angepflanzt werden – meist Eukalyptus. Auch wenn das eine schnell wachsende Baumsorte ist, dauert es ab Pflanzung sieben Jahre, bis ein Baum geschlagen werden kann. Deshalb bleiben die Preise wohl vorerst hoch: „Ich sehe wenig Möglichkeiten, wie sich die Lage schnell ändern sollte“, sagt Uutela.

Rasantes Wachstum im Coronajahr

Der Preishammer ist das dicke Ende der Nachfragekapriolen des vergangenen Jahres. Die Panikkäufe vor dem ersten Lockdown sorgten nach Analysen des Marktforschungsinstituts RISI Fastmarkets allein in Deutschland 2020 zu zwölf Prozent mehr Absatz von Toilettenpapier. Ein rasantes Wachstum für eine Branche, die sonst bestenfalls um 0,5 bis ein Prozent im Jahr zulegt. Die Hersteller leerten nicht nur ihre Lager, sondern fuhren auch Sonderschichten, sodass die Maschinen rund um die Uhr liefen.

Paradoxerweise wird jetzt ein Produkt deutlich teurer, dass es zuletzt im Überfluss gegeben hatte. Noch vor sechs Wochen hatten große Hersteller über Kurzarbeit nachgedacht – ihre Lager waren voll, die Ware bewegte sich nur langsam aus den Regalen. Grund: Um die leeren Regale während des ersten Lockdowns zu füllen, hatten Händler ausländische Toilettenpapiere wie das italienische „Regina“ oder das russische „Soffione“ importiert – das sie jetzt zum Teil zu Schleuderpreisen an den Mann zu bringen versuchen: „Es gibt immer noch große Warenmengen aus dem Ausland in nicht gewohnten Qualitäten im Markt, die zum Teil seit Herbst in den Supermärkten angeboten werden“, so Jung.

Medien wie „Focus“ haben ihre Leser angesichts der „Preisexplosion“ schon zu vorbeugenden Toilettenpapierkäufen angeregt: „Wer jetzt günstige Rollen erhalten kann, sollte zuschlagen.“

Eine Hamster-Situation wird dennoch nicht wieder entstehen, ist sich Jung sicher: „Jedes erste Anzeichen wird gemeinsam von Industrie und Handel erkannt und verantwortungsvoll beruhigt. Hier haben wir viel gelernt und sind noch agiler geworden.“

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Wenn die Ankündigung der Preiserhöhungen jetzt für einen Andrang auf die Toilettenpapierregale sorgt, bedeutet das vielleicht ein gutes Ende der Corona-Ära für die Supermarktketten. Die hatten es mit den Nachschubbestellungen aus dem Ausland zu gut gemeint, die sich als Ladenhüter entpuppten. Jung: „Papier ist eben nicht gleich Papier. Das ist uns allen im Jahr 2020 bewusst geworden.“

Mehr zum Thema: dm-Chef Christoph Werner kann sich mit dem Krisenmanagement der Regierung nicht anfreunden. Im WiWo-Podcast Chefgespräch erklärt er, warum Zentralisierung weder im Staat noch im Unternehmen die Lösung ist und was er von seinem Vater gelernt hat.

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