Produktionsschluss in Wuppertal Vorwerk ist Opfer des Thermomix-Erfolgs

Küchenmaschine Thermomix Quelle: dpa

Das einstige Wunderküchengerät Thermomix findet in Deutschland immer weniger Abnehmer. Hersteller Vorwerk schließt die Produktion in Wuppertal und setzt künftig auf China. Was steckt dahinter?

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Ein Küchengerät ist ein Küchengerät – aber der TM5 ist für Thermomix-Anhänger eine Erleuchtung gewesen. Er kann: mixen, mahlen, zerkleinern, vermischen, schlagen, rühren, kneten, kochen, dampfgaren, wiegen, erhitzen und emulgieren. Uff. Beziehungsweise: Amen.

Die Begeisterung brach sich Bahn im September 2014: Das Wuppertaler Familienunternehmen Vorwerk brachte die neueste Version seiner Küchenmaschine Thermomix auf den Markt. Name: TM5. Zwar verkauft Vorwerk bereits seit 1982 seine Thermomixe, aber nie war der technische Sprung zwischen zwei Modellen größer – der TM5 verfügt als erster Thermomix über eine berührungsempfindliche Anzeige –, nie war die Begehrlichkeit höher, nie die (internationale) Öffentlichkeit närrischer nach immer neuen Rekordmeldungen als in den ersten 24 Monaten des TM5. Kunden warteten zeitweise bis zu 13 Wochen darauf, endlich 1300 Euro für ihren neuen Küchencomputer ausgeben zu dürfen. Es war eine für Unternehmen geradezu traumhafte Melange aus Verknappung und Begierde. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ ernannte den Thermomix folgerichtig zum „iPhone aus Wuppertal“.

Wenige Jahre später ist diese Begeisterung ein wenig abgekühlt. Für das Geschäftsjahr 2018 musste Vorwerk kürzlich einen Umsatzschwund von rund vier Prozent auf 2,8 Milliarden Euro vermelden. Bereits im zweiten Jahr in Folge muss das Wuppertaler Familienunternehmen damit eine Umsatzverkleinerung verkraften: Im Jahr 2016 hatte Vorwerk noch knapp mehr als drei Milliarden Euro erwirtschaftet. In derselben Zeit stieg allerdings die Anzahl aller Mitarbeiter um fast 1000 auf 12.972. Das geht nicht gut zusammen. „Die Entwicklung des Umsatzes lag unter anderem wegen nicht erreichter Absatzziele erheblich unter den Erwartungen“, heißt es im aktuellen Geschäftsbericht.

Das Wuppertaler Familienunternehmen Vorwerk hat mit dem Thermomix einen echten Hype entfacht – und sich selbst neu erfunden. Warum ist die Küchenmaschine ausgerechnet jetzt so erfolgreich?
von Mario Brück, Thorsten Firlus, Sven Prange, Harald Schumacher

Das hat nun Konsequenzen: Vorwerk wird bis Ende des Jahres die Thermomix-Fertigung am Standort Wuppertal schließen, wie das Unternehmen am gestrigen Dienstag einen Bericht der „Rheinischen Post“ bestätigte. Betroffen sind bis zu 200 Mitarbeiter, unter anderem auch aus Verwaltung und Vertrieb. Für bis zu 85 von ihnen könnte es im schlimmsten Fall zu betriebsbedingten Kündigungen kommen, sagt Vorwerk-Sprecher Michael Weber. Man versuche die Zahl allerdings durch Vorruhestandsangebote klein zu halten. Der Thermomix für die europäischen Märkte wird damit wieder ausschließlich am großen Vorwerk-Produktionsstandort in Frankreich hergestellt.

In Deutschland ging der Thermomix-Absatz um fast 15 Prozent zurück

Der Thermomix macht mit 39 Prozent den Großteil des Vorwerk-Umsatzes aus. Im Jahr 2018 waren das knapp 1,1 Milliarden Euro – ein Rückgang von 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hierzu heißt es im Geschäftsbericht: „Das operative Ergebnis blieb gravierend, der Umsatz erheblich unter den Erwartungen.“ Der Staubsauger Kobold folgt mit einem Anteil von 27 Prozent am Vorwerk-Gesamtumsatz (757 Millionen Euro) – auch hier verzeichnet Vorwerk einen Rückgang von 4,5 Prozent.

„In den Jahren 2015 und 2016 hat der TM5 eine unglaubliche Nachfrage ausgelöst. Wir sind in Deutschland innerhalb eines Jahres fast um 50 Prozent gewachsen“, sagt Vorwerk-Sprecher Weber. „Diese Nachfrage hat wieder etwas nachgelassen.“ Aufgrund dieses Bedarfs, der das Unternehmen offenbar in dieser Wucht überrascht hat, zog Vorwerk in Wuppertal überhaupt erst eine eigene, wenngleich kleine Thermomix-Produktion hoch. So wollte man die unerwartet vielen neuen Kunden besser bedienen. Wenngleich in Wuppertal vor allem Kleinserien und Thermomix-Varianten hergestellt werden, etwa mit anderem Stecker (für den britischen Markt) oder mit anderer Stromspannung. Mit der Schließung ist Vorwerk erkennbar Opfer des eigenen Erfolgs geworden.

Bereits 2017 ist die Thermomix-Nachfrage stark zurückgegangen. Laut Vorwerk-Gesamtbetriebsratschef Ralf Hüttemann gibt es derzeit Thermomix-Überkapazitäten in Europa. Ist das das Ende des Hypes? Vorwerk schreibt im aktuellen Geschäftsbericht, die Anzahl der Berater, also Vertreter, die das Gerät im Rahmen kleiner, privater Partys vorführen und sodann möglichst verkaufen, sei im Vergleich zu 2017 „geringfügig gesunken“: Es seien mehr als 44.500 Menschen für Vorwerk im Einsatz gewesen, um den Thermomix unter die Leute zu bringen. Aber allein in Deutschland, dem wichtigsten Thermomix-Markt, ging der Absatz um erschreckende 14,8 Prozent zurück, in Italien um 19,7 Prozent und in Frankreich gar um 21,4 Prozent.

„Der Thermomix-Markt ist fürs Erste gesättigt“

Christian Fichter ist Wirtschaftspsychologe an der Kalaidos-Fachhochschule in Zürich und beschäftigt sich seit Jahren mit den, wie er es nennt, Prozessen der Entscheidungsfindung. „Beim Thermomix handelt es sich um ein typisches High-End-Produkt, das zum Megathema gesunder Lebensstil passt: Man kocht selber, man kocht gesund“, sagt er. Mit einem Thermomix kaufe man auch ein Stück Lifestyle mit. „Aber mittlerweile sind auch gute Nachahmer-Produkte vorhanden und der Markt ist fürs Erste gesättigt. Alle, die sich so ein Gerät leisten können und wollen, die haben jetzt eins und es funktioniert auch noch eine ganze Weile.“

Auch abseits der rückläufigen Verkäufe mehren sich die Zeichen der Abkühlung: Im März stellten der Hamburger Verlag Gruner+Jahr und der Landwirtschaftsverlag Münster ihr gemeinsam entwickeltes Rezepte-Heft „Essen+Trinken Thermomix“ ein. Ein überbordendes Interesse war wohl nicht der Grund. Und auch die auf Thermomix-Rezepte spezialisierte Zeitschrift „Mixx“, die im Jahr 2016 noch mit einer zwischenzeitlichen Auflage von rund 106.000 verkauften Exemplaren glänzte, ist fast um die Hälfte eingebrochen (rund 55.000 Exemplare).

Wirtschaftspsychologe Fichter sieht noch einen weiteren Aspekt, der auch zur Entwicklung beigetragen haben dürfte: „Es gibt einen zweiten Trend, der dem entgegengesetzt ist: Die Leute haben auch das Bedürfnis, beim Kochen Zeit zu sparen. Viele sagen sich: Wenn ich nach einem langen Arbeitstag endlich nach Hause komme, mache ich’s mir beim Kochen einfach. Und da hat die Convenience-Industrie mithilfe der Marktforschung in den vergangenen Jahren Boden gut gemacht: Es gibt inzwischen wirklich gute, auf gesund und bio getrimmte Fertigprodukte.“ Das Pendel zwischen beiden entgegengesetzten Trends – selber kochen mit viel Zeit oder gesundes, zeitsparendes Fertigessen – sei recht beweglich.

China könnte der wichtigste Thermomix-Markt werden

Vorwerk-Sprecher Weber verweist darauf, man verkaufe „trotz der Rückgänge immer noch etwa eine Million Geräte pro Jahr. Das ist ja keine geringe Zahl.“ Sodann bittet er um Nachsicht und erklärt, dass die Nachfrage in den Jahren 2015 und 2016 schlicht „überproportional groß“ gewesen sei: „Es war klar, dass man dieses Wachstum nicht halten kann.“

Neues Wachstum hat Vorwerk nun vor allem in China lokalisiert: Dort konnte man den Thermomix-Absatz im vergangenen Geschäftsjahr um abenteuerliche 138 Prozent auf 122 Millionen Euro steigern. Damit schloss China zum einst weit enteilten italienischen Markt auf. 2019 werden in China 200 Millionen Euro durch Thermomix-Verkäufe erwartet. „Fantastisch“, schwärmte Vorwerk-Chef Reiner Strecker gegenüber dem Handelsblatt: „China könnte bald der wichtigste Markt für den Thermomix werden.“ Deshalb will Vorwerk die Geräte für den asiatischen Markt nun auch in Shanghai produzieren lassen: Eine schon länger dort betriebene Fertigung für die Vorwerk-Staubsauger Kobold soll entsprechend um- und aufgerüstet werden. Motoren und Messer für die asiatischen Thermomixe werden weiterhin in Wuppertal gebaut. Für das laufende Geschäftsjahr erwartet Strecker für den Geschäftsbereich Thermomix insgesamt wieder „eine beträchtliche positive Entwicklung beim Umsatz“, so steht es zumindest im Geschäftsbericht. Seit April gibt es das Nachfolgemodell TM6, für 1360 Euro.

In China setzt Vorwerk allerdings auf ein anderes Vertriebskonzept: Statt wie in Deutschland üblich zu den Kunden nach Hause zu kommen, führen Vorwerk-Vertriebler in China die Geräte in eigenen Läden vor. Das sei kulturell bedingt. Rund 20 solcher Thermomix-Läden gebe es mittlerweile in China, verteilt auf die Millionenstädte an der Ostküste wie Shanghai, Hangzhou, Chengdu, Suzhou und Shenzhen, dort vor allem in den großen Einkaufszentren. Ein weiterer Aufbau dieser Struktur sei sukzessive geplant, heißt es von Vorwerk.

Doch nicht alles Heil für Vorwerk liegt in Zukunft abseits des heimischen Marktes. Stefanie Holtz aus dem sauerländischen Ense ist im Thermomix-Kosmos keine Unbekannte: Unter dem Künstlernamen Thermifee betreibt sie einen Youtube-Kanal mit 76.580 Abonnenten, die regelmäßig ihre Kochvideos anschauen - und damit fast siebenmal so viele wie den offiziellen Youtube-Kanal von Thermomix Deutschland, den Vorwerk betreibt. Die Produktionsverlagerung von Wuppertal nach Shanghai interessiere sie „ehrlich gesagt nicht sonderlich“, sagt sie auf Anfrage der WirtschaftsWoche. „Meinen Spaß am Thermomix sowie an meinen Youtube-Clips kann diese Tatsache mir nicht nehmen.“ Die Lust daran sei „weiterhin ungetrübt“. Und überhaupt: „Ein rückläufiges Interesse am Thermomix konnte ich bisher nicht feststellen.“ Fast meint man, einen Seufzer der Erleichterung aus Wuppertal zu vernehmen.

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