Proteste im Iran „Der Iran sieht die Zukunft in Russland und China“

Weltweit solidarisieren sich Menschen wie hier in Berlin mit den Demonstranten im Iran. Quelle: AP

Die heftigen Proteste im Iran setzen auch deutsche Unternehmen unter Druck, die dort Geschäfte machen. Aber wie stark sind die wirtschaftlichen Verflechtungen überhaupt?

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Die Frau, die zum Symbol wurde, heißt Mahsa Amini. Eine 22-jährige iranische Frau kurdischer Abstammung, die von der iranischen Sittenpolizei festgenommen worden ist, weil ihr Hijab zu locker saß. Im Gewahrsam starb sie, angeblich an den Folgen von Folter. Die Polizei dementiert das und verweist auf einen Herzinfarkt. Mit Aminis Tod hat sich im Iran etwas verändert: Die junge Generation geht auf die Straße, will einen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen. Drei Wochen schon dauern die Proteste, nicht nur im Iran gehen die Leute auf die Straße, sondern auch überall sonst auf der Welt.

Der Iran war einmal ein Land, in das deutsche Unternehmen große Hoffnungen gesetzt haben. Siemens etwa hatte ehrgeizige Pläne: Eine Lizenzfertigung für Gasturbinen und Lokomotiven war vereinbart, auch hatte das Unternehmen eine Absichtserklärung zur Modernisierung der Bahn-Infrastruktur unterzeichnet. Der Wind- und Solarparkprojektierer ABO Wind hatte 2016 nach der Aufhebung internationaler Sanktionen ein Büro in Teheran eröffnet und baute einen Solarpark in der nordiranischen Provinz Semnan. Und der Tunnelbohrmaschinenbauer Herrenknecht sollte eine Vortriebsmaschine für den Bau eines großen Autotunnels ausliefern – ein Geschäft mit einem Auftragsvolumen von rund 20 Millionen Euro.

2018 dann kündigte Donald Trump das Atomabkommen mit dem Iran und legte neue Sanktionen auf. Die Folge: Deutsche Unternehmen zogen sich im großen Stil zurück. Doch wie sieht es nun aus, 2022, da die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sich entsetzt über die „rohe Gewalt des Regimes“ in Teheran zeigt und neue Sanktionen ankündigt? Und die ganze Welt auf die „Kopftuchproteste“ blickt – deren Benennung viel zu klein für das sein könnte, was da im Iran gerade passiert?

Irangeschäft ähnlich brisant wie der Handel mit Russland?

Informationen über die aktuellen deutsch-iranischen Handelsbeziehungen sind – über Außenhandelsstatistiken hinaus – momentan schwer zu bekommen. Für Unternehmen, Berater und Handelskammern scheint der Iran im Moment ein so heikles Thema zu sein, dass sich kaum jemand äußern will. Das Thema habe gerade eine ähnliche Brisanz, wie wenn man sich zu Geschäften in Russland äußern würde, sagt ein Manager. Es sei nahezu unmöglich mit dem Land Geschäfte zu machen, fügt er noch hinzu, und dass die Welt groß genug sei, sich auf andere Länder zu konzentrieren. Immerhin: Auf der Firmenwebsite sind noch Ansprechpartner für Kunden aus dem Iran zu finden, ganz untätig scheint das Werkstoffunternehmen also nicht zu sein.

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Die deutsch-iranische Industrie- und Handelskammer (AHK Iran), eigentlich die Anlaufstelle für Recherchen dieser Art, stehe aktuell für Interviews nicht zur Verfügung, heißt es von der Pressestelle – auch zum Schutz der Kolleginnen und Kollegen. Wie viele deutsche Unternehmen derzeit noch im Iran tätig seien? Auch darauf gibt es keine Antwort. Die letzten Schätzungen der AHK sind von 2021, demnach waren damals etwa 50 deutsche Unternehmen in Iran ansässig und beschäftigten dort 500 bis 700 Personen. Und einer Pressemitteilung der AHK Iran ist zu entnehmen, dass diese Mitte Juni 15 deutsche Unternehmen auf einem deutschen Gemeinschaftsstand bei der iranischen Lebensmittel- und Landwirtschaftsfachmesse Iran Agro Food empfangen wollte – immerhin 15 Unternehmen, in nur einer Branche.

Die Schmallippigkeit der AHK überrascht auch insofern nicht, wenn man sich die andere Seite anhört. Etwa die der Kampagne „Stop the bomb“, die sich gegen das iranische Atomprogramm richtet und sich für die Unterstützung der Protestbewegung im Iran einsetzt. Sprecherin Ulrike Becker sagt: „Diese Form der Wirtschaftsförderung muss aufhören und ist insbesondere in der jetzigen Situation, in der Frauen und Mädchen, die für ihre Rechte auf die Straße gehen, getötet, verhaftet und gefoltert werden, skandalös.“ Und: „Die AHK sollte geschlossen werden, solange die Unterdrückung im Iran anhält.“

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von Bert Losse

Auch die Rechtsanwälte und Unternehmensberater Rödl & Partner, die laut Website-Angaben eigentlich von Deutschland aus Mandanten beim Markteintritt im Iran begleiten und entsprechende Investitionsvorhaben betreuen, wollen sich derzeit nicht zum Thema Iran äußern. Zu heikel. Und der Verein „Deutsch-Iranische Handelskammer e.V.“ mit Sitz in Hamburg ist gleich gar nicht mehr – weder telefonisch, noch per Mail – zu erreichen.

Deutschland ist Irans fünftgrößter Handelspartner

Immerhin, ein paar Kenner äußern sich dann doch zur Lage. Michael Schumann etwa, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA). In der Vergangenheit standen der BWA und Schumann in der Kritik wegen angeblicher dubioser Verbindungen nach Moskau und Peking. Sein Job ist es, Verbindungen in verschiedenste Länder zu fördern. Dass er iranfreundlich ist, verwundert deshalb nicht. Auch wenn Schumanns Aussagen mit Vorsicht zu genießen sind, kennt er sich gut aus im Handel und mit den Geschäften zwischen Deutschland und dem Iran. Erst im Juli reiste er dorthin, um die Geschäftsbeziehungen auszubauen.

Wie viele deutsche Unternehmen vor Ort noch Strukturen unterhalten? Seiner Ansicht nach liege die Zahl im dreistelligen Bereich, konkrete Zahlen seien wegen der Sanktionen aber extrem schwierig. Deutsche Qualität habe im Iran nach wie vor einen guten Ruf, iranische Unternehmer würden großes Interesse an Deutschland zeigen. Vor allem deutsche Maschinenbauer machten einst gute Geschäfte im Iran, der nach und nach seine eigene Industrie hochzieht. Zu den Produkten, die Deutschland am meisten in den Iran exportiert, gehörten laut Angaben des Statistischen Bundesamts 2021 vor allem Gerste und Weizen sowie Arzneiwaren, auch Sattel-Straßenzugmaschinen tauchen relativ weit oben in der Statistik auf.

Druckmaschinen aus Deutschland im Iran?

Das Telefonat mit dem deutsch-iranischen Unternehmensberater Dawood Nazirizadeh, der gerade im Iran ist, bricht zwischendurch immer wieder für einige Sekunden ab. Im Iran ist das Internet gesperrt, zwar kann die Bevölkerung es über Umwege trotzdem nutzen – aber dann im Zweifel eben mit kurzen Aussetzern.

Nazirizadeh klingt beinahe etwas stolz, wenn er über die deutsch-iranischen Handelsbeziehungen spricht: Seit über einem Jahr gebe es einen länger anhaltenden Wachstumstrend, endlich wieder nach den US-Sanktionen. Deutschland ist aktuell der fünftwichtigste Lieferant für den Iran, 2021 lieferte Deutschland Waren im Wert von 1,4 Milliarden Euro. Der Iran lieferte im Gegenzug Waren im Wert von 314 Millionen Euro. Zwischen Januar und Juli sind laut Angaben der AHK Iran die deutschen Exporte um 3,4 Prozent, die deutschen Importe um 4,3 Prozent gestiegen.

Doch auch Russland wird als Handelspartner für den Iran immer wichtiger, „der Iran sieht die Zukunft in Russland und China“, sagt Nazirizadeh, nicht in Europa. An Deutschland interessierten die Iraner aber vor allem chemische Produkte, auch die Druckindustrie versorge sich weitgehend mit Produkten aus Deutschland – mit den Druckmaschinen, den Farben und dem Papier.

„De facto sind die Produkte komplett hier erhältlich“

Sind Unternehmen aus diesen Bereichen noch im Iran tätig? Auf der Website von Heidelberger Druckmaschinen, nach eigenen Angaben Weltmarktführer in der Herstellung von Bogenoffset-Druckmaschinen, verweist das Unternehmen auf die „Iran Rotative Co.“ als Ansprechpartner im Iran. „Es handelt sich um einen von der Heidelberger Druckmaschinen AG autorisierten Händler und Vertragspartner“, heißt es auf der Website. „Der Vertragspartner ist ein selbständiger Vertragshändler der Heidelberg-Produkte und handelt in eigenem Namen und auf eigene Rechnung.“ Der Partner agiere unabhängig, heißt es auf Nachfrage bei Heidelberger Druckmaschinen, das Unternehmen selbst sei im Iran nicht tätig. Doch zumindest informiert es direkt über die Website, wie Iraner an die Produkte kommen können.

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Denn deutsche Waren, sagt Nazirizadeh, fänden sowieso ihren Weg in den Iran. Dann etwa über Zwischenhändler in der Türkei, oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten – je nachdem ob die Produkte per LKW oder per Schiff verschickt würden. Siemens etwa, die vor den Sanktionen eine eigene Niederlassung im Iran hatten, verkauften ihre Produkte zwar nicht mehr selber im Land. „De facto sind die Produkte aber komplett hier erhältlich“, sagt Nazirizadeh. „Es gibt keine deutschen Produkte, die nicht im Iran erhältlich sind – nur teuer sind sie durch die Sanktionen geworden.“

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