Prozess gegen Anton Schlecker Fünf Lektionen aus der Schlecker-Pleite

Ex-Drogeriekönig Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis, lautet das Urteil im spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren des Jahres. Welche Lehren Unternehmer und Manager aus Pleite und Prozess ziehen können.

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Schlecker-Leuchtreklame vor geschlossener Filiale Quelle: imago images

Am Montag fiel das Urteil im spektakulärsten Wirtschaftsprozess des Jahres: Der ehemalige Drogerieunternehmer Anton Schlecker muss nicht ins Gefängnis. Das Landgericht Stuttgart verurteilte den 73-Jährigen wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 54.000 Euro. Schleckers Kinder Lars (46) und Meike (44) wurden dagegen zu Haftstrafen von zwei Jahren und acht Monaten beziehungsweise zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.

In dem Prozess ging es im Kern darum, wann Schlecker die drohende Pleite kommen sah. Von diesem Zeitpunkt an hätte er dem Unternehmen kein Geld mehr entziehen dürfen. Das Verfahren gegen Schleckers Frau Christa war eingestellt worden.

Der Prozess hat deutlich gezeigt, wie es zum Kollaps des Unternehmens kam und welche Fehler der Drogerieunternehmer dabei gemacht hat. Der Fall Schlecker taugt damit zum Lehrstück für Unternehmer und Manager, um auf Krisen besser vorbereitet zu sein und das eigene Haftungsrisiko zu minimieren. Die Lehren aus der Schlecker-Pleite:

„Er war ein Geizhals“
Anton Schlecker Quelle: dpa
Erwin Müller (Schlecker-Konkurrent) Quelle: dpa
Meike Schlecker Quelle: REUTERS
Anton Schlecker Quelle: dpa
Ursula von der Leyen Quelle: AP
Steffen Seibert Quelle: dpa
Philipp Rösler (Bundeswirtschaftsminister von 2011 bis 2013) Quelle: dpa

1. Nie die Kunden aus dem Blick verlieren

Um zu verstehen, warum Schlecker gescheitert ist, lohnt ein Blick auf die Anfänge seiner Karriere. 1965, mit 21 Jahren hatte er als jüngster Metzgermeister Baden-Württembergs in der familieneigenen Fleischereikette angeheuert und schnell bemerkt, dass sich mit dem Verkauf von Drogerieartikeln mehr verdienen ließ als mit dem Geschäft mit Schinken und Jagdwurst.

Stationen der Schlecker-Insolvenz

Er baute sein Unternehmen auf, expandierte und trug den weißen Schlecker-Schriftzug auf blauem Grund bis in die hintersten Winkel der Republik. „Wenn du in den Urlaub fährst“, spotteten Handelsleute damals, „dann schließ die Wohnungstür gut ab, sonst sitzt der Schlecker drin, wenn du wiederkommst“. Denn der Seifenkönig von der Schwäbischen Alb nahm so ziemlich alle Standorte, die er kriegen konnte – und die niemand anders wollte. Hauptsache die Miete war niedrig. Dass Rivalen wie dm und Rossmann lieber größere Märkte in hochfrequentierten Fußgängerzonen eröffneten als auf dem Dorfanger in der Provinz, interessierte ihn nicht.

Statt auf den Kundennutzen zu achten, versuchte Schlecker mit immer neuen Läden, das Umsatzwachstum zu treiben und so Größen- und Preisvorteile im Einkauf zu generieren. Doch ab dem Jahr 2000 zeigten sich erste Risse. Mit ihren lichten und großzügigen Märkten saugten die Wettbewerber Schleckers Kundenströme auf wie Schwämme. „Weniger Märkte, die hervorragend laufen und die von den Kunden geschätzten werden“, seien ihm „lieber als Tausende Standorte, die sich nicht rechnen“, sagte jüngst Rewe-Chef Lionel Souque im Interview mit der WirtschaftsWoche und fügte an: „Das hat nicht zuletzt die Pleite des Drogeriekonzerns Schlecker gezeigt.“

2. Kritik von außen und innen fördern

Die Probleme im Schlecker-Reich waren schon Jahre vor dem Insolvenzantrag ein Dauerthema unter den Mitarbeitern – nur nicht in der 7. Etage der blau verglasten Konzernzentrale, von der aus Schlecker sein Reich dirigierte. Dort war der Begriff Krise tabu. Anton Schlecker spielte weiter die Rolle des erfolgreichen Familienpatriarchen. Er hatte sich systematisch von kritischen Stimmen abgekapselt, die ihn frühzeitig auf die Misere hätten hinweisen können. Auch der Kontakt zur Basis fehlte.

Die meisten der rund 55.000 Schlecker-Mitarbeiter kannten ihren Chef nur von einem Uralt-Foto aus der Mitarbeiterzeitung: das Haar akkurat gestutzt, im Hemd mit flirrendem Muster posierte er darauf Seit‘ an Seit‘ mit Gattin Christa vor einer Europaflagge und kündete im Begleittext von der „innovativen und expansiven Unternehmenspolitik“ – selbst als es schon ans Eingemachte ging. Mit einem gut besetzten Beirat oder einem Aufsichtsrat wäre das kaum passiert. Auch die Arbeitnehmervertreter hätten zum Korrektiv werden können, hätte sich Schlecker auf eine ernsthafte Zusammenarbeit mit ihnen eingelassen.

3. Rechtzeitig das persönliche Risiko abfedern

Schlecker führte sein Milliardenimperium nicht als Aktiengesellschaft oder GmbH, sondern als Einzelkaufmann. Daher gab es nie eine klare Trennlinie zwischen seinem privaten Vermögen und dem seiner Firma. Schlecker konnte damit zwar in seinem Drogerieimperium nach Belieben schalten und walten, trug aber auch das volle persönliche Haftungsrisiko.

Die Schlecker-Familie auf der Anklagebank

Experten raten dazu, die Gefahren zu reduzieren, dabei kann eine Änderung der Rechtsform helfen, auch Vermögensübertragungen an Angehörige kommen infrage. Entscheidend ist dabei aber immer der Zeitpunkt. Das unternehmerische Risiko minimiert man am besten, solange es finanziell gut läuft, empfehlen Insolvenzexperten. Wenn das Unternehmen dagegen bereits in Schieflage ist oder gar die Gefahr einer Insolvenz besteht, können Vermögenstransfers schnell als Versuch interpretiert werden, Geld beiseite zu schaffen – möglicherweise mit strafrechtlichen Folgen wie im Fall Schlecker.

So verteilte Anton Schlecker noch im März 2011 an seine vier Enkelkinder 800.000 Euro. Der Vorgang ist Teil der Anklage. Auch eine Umwandlung von Schleckers Firma in eine GmbH hätte zu diesem Zeitpunkt wohl nichts mehr genutzt. „In den meisten Fällen bringt eine Rechtsformänderung in der Krise nichts, weil sie in der Regel durch mehrjährige Nachhaftungen zu spät erfolgt oder der Unternehmer ohnehin persönlich für Verbindlichkeiten seines Unternehmens haftet“, sagt Schleckers Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz. „Trotzdem ist es ratsam, insbesondere als Vorstand oder Geschäftsführer die Haftungsrisiken in der Krise im Auge zu haben“, so Geiwitz.

4. Auf Krisen frühzeitig reagieren

„In der Krise steigt erfahrungsgemäß die ‚Betriebsblindheit‘ und Hoffnung auf unrealistische Rettung und/oder Besserung prägt die Unternehmerdenke“, sagt Insolvenzverwalter Geiwitz. So auch im Fall Schlecker.

Erst im Mai 2010, als sich die Krise nicht mehr überdecken ließ, wagte Schlecker einen Befreiungsschlag und engagierte die Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner. Ein Beraterteam präsentierte der Familie im August 2010 ein neues Konzept namens „Fit for Future“ und machten sich mit dem Segen des Schlecker-Clans an die prompte Umsetzung: das alte Schlecker Logo wurde gegen einen gefälligeren Schriftzug getauscht und ein neues Filial-Outfit entwickelt.

Doch für den strategischen Wandel war es bereits zu spät. Die Medizin wurde verabreicht, als der Patient nicht mehr zu retten war. Vor allem hatte Schlecker nicht kalkuliert, dass die Mittel für die Umsetzung des ehrgeizigen Wieselhuber-Projekts nicht mehr ausreichen würden. „Jedem Unternehmer in der Krise empfehlen wir schnell eine tagesgenaue Liquiditätsplanung zu erstellen und ein Sanierungskonzept im Insolvenzverfahren rechnen zu lassen“, empfiehlt Lorenzo Matthaei, Partner der Frankfurter Sanierungskanzlei Finkenhof. „Nur so kann er zusammen mit seinen Beratern seine Rechtspflichten beurteilen und seine Chancen wahren, sein Unternehmen zu behalten“, sagt der Experte.

Die Schlecker-Insolvenz in Zahlen

5. Nerven behalten

Der Rat, die Nerven zu behalten, klingt trivial, ist aber ein Kardinalfehler vieler Unternehmen in Krisensituationen á la Schlecker. So ließ Anton Schlecker nur wenige Tage vor dem Insolvenzantrag sieben Millionen Euro an die Logistikfirma seiner Kinder überweisen. Die zogen das Geld noch am selben Tag ab. Jeweils 2.576.875 Euro flossen per Blitzüberweisung auf ihre Konten bei der Bethmann Bank. 1.846.250 Euro gingen an das Finanzamt Ehingen. Damit hätten sich Lars und Meike Schlecker Gewinne ausgezahlt, die es laut Anklage gar nicht mehr gab - und damit eine Überschuldung herbeigeführt.

Jeder Anwalt hätte der Familie im Vorfeld wohl von einer solchen Transaktion abgeraten. Ausgeschlossen, dass Insolvenzverwalter und Staatsanwälte die Überweisung nicht bemerken würden. Doch wer im Panikmodus entscheidet, beachtet selten die Konsequenzen seiner Handlungen.

Was wurde eigentlich aus Schlecker?
1975Der 1944 geborene Anton Schlecker, Sohn eines Fleischwarenfabrikanten, eröffnet in Kirchheim unter Teck seinen ersten Drogeriemarkt. Schleckers Strategie: Er eröffnet die Läden an strukturell wenig attraktiven Standorten in Wohngebieten. Die Filialen sind klein und spartanisch ausgestattet. Schlecker handelt mit Lieferanten beste Konditionen und lange Zahlungsziele aus, um so die Expansion zu finanzieren. Und seine Kette expandiert schnell: Schon zwei Jahre später zählt Schlecker mehr als 100 Filialen, 1984 gibt es bereits 100 Drogeriemärkte.
1987Die Kinder der Schleckers, Lars (r.) und Meike (nicht im Bild) werden am 22. Dezember entführt. Ihr Vater handelt das Lösegeld von 18 auf 9,6 Millionen D-Mark herunter, die Summe, über die er versichert ist. Kurz vor Heiligabend können sich die Kinder selbst befreien. Die Täter werden 1998 gefasst. Quelle: dpa Picture-Alliance
1987-1998Im Jahr 1987 eröffnet Schlecker die ersten Filialen im Ausland. Er expandiert wie im Rausch: 1995 kommt Schlecker bereits auf 5800 Filialen und beschäftigt rund 25.000 Mitarbeiter. Doch Schleckers Image als Arbeitgeber leidet: 1994 wird der Familie vorgeworfen, Scheinarbeitsverhältnisse zu betreiben und unter Tarif zu bezahlen. Auch die Gründung von Betriebsräten soll systematisch blockiert worden sein. 1998 werden Anton Schlecker und seine Ehefrau Christa zu jeweils zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Grund: Das Amtsgericht Stuttgart sieht es als erwiesen an, dass das Ehepaar seinen Mitarbeitern tarifliche Bezahlung vortäuschte Quelle: imago images
Schlecker-Tochter IhrPlatz stellt Insolvenzantrag2007 kaufte die Drogeriekette den insolventen Konkurrenten Ihr Platz. 700 Standorte kamen auf einmal dazu, Schlecker zählte nun 14.400 Ableger in 17 Ländern. Ein Höhepunkt. Quelle: dapd
Schlecker reicht Insolvenzantrag einDoch der Abstieg war schon zu ahnen: 2011 holte Anton Schlecker seine beiden Kinder Lars (links) und Meike (rechts) in die Unternehmensführung. Zuvor war die Drogeriekette wieder einmal wegen dem Umgang mit den Mitarbeitern in die Kritik geraten. Laut Medienberichten überwachte Schlecker seine Mitarbeiter, auch der Vorwurf der schlechten Bezahlung wurde erneut erhoben. Viele Medien sahen die neue Familiengeneration an der Spitze als Ablenkungsmanöver.Bild: Montage der Familie Schlecker. Quelle: dapd
Mit einer Marketingkampagne wollte das Unternehmen sein angeschlagenes Image 2011 wieder aufpolieren. Doch der Denglisch-Spruch „For you. Vor Ort.“ stößt bei Sprachwächtern auf Kritik. Ein Sprecher des Unternehmens rechtfertigt sich in einem Brief damit, dass die Kunden ein „niedriges Bildungsniveau“ hätten – der Brief gerät an die Öffentlichkeit und löst einen Shitstorm aus. Gleichzeitig machen sich die Bilanzprobleme immer stärker bemerkbar. Noch im selben Jahr werden 600 Filialen geschlossen, weitere sollen 2012 folgen. Quelle: imago images
For You. Vor Ort. Vorbei.Im Januar 2012 erklärte sich Schlecker als zahlungsunfähig und meldete Insolvenz an. Rund 2400 Läden sollten geschlossen werden. Quelle: dapd
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