Die Anrufe kommen wöchentlich: Ob und vielleicht, also wenn da was wäre, dann könne er sich jederzeit gerne melden. Hermann Schwahn kann die Anrufer, die weder auf ihre neue Uhr aus einer limitierten Sonderauflage noch das eigens angefertigte Schmuckstück warten, nur vertrösten. Sie wollen etwas, das Schwahn, der Generalbevollmächtigte des Juweliers Wempe, nicht versilbern würde: die Ladengeschäfte.
20 Niederlassungen betreibt das Hamburger Unternehmen in Deutschland. In Städten wie Berlin, Hamburg oder München sind es gar zwei oder drei, dazu kommen je eine in London, Paris, Madrid, Wien, New York und eine auf der MS Europa. Und alle sind in Straßen, wo andere gerne hin möchten. Doch statt Platz zu machen und einige Millionen Euro als Belohnung zu kassieren, spricht Schwahn derzeit eher selber mit den Eigentümern der Gebäude direkt neben den bestehenden Filialen. "In einigen Standorten wollen wir uns eher vergrößern."
Deutschland, selig Luxusland. Die Heimat des Schwarzbrots, des fleißigen Schaffers und kniepigen Sparers lockt die Anbieter des Schönen, Teuren und Überflüssigen. Deutschland, das ist für die meist aus Frankreich, Italien, der Schweiz oder den USA stammenden Unternehmen ein verlässliches Pflaster. Es gibt nur zu wenig davon. Denn die Geschäfte laufen blendend.
Die vier großen Konzerne, die sich mit Luxuslabels schmücken, begeistern ihre Aktionäre und Anteilseigner mit Umsatz- und Gewinnsteigerungen.
Derzeit erzielen sie zwar die größten Wachstumsraten in Asien oder dem Nahen Osten, aber das vergleichsweise krisenresistente Deutschland bietet vor allem eines: steigende Umsätze. Der deutsche Konsument kauft weiter. Auch Luxus.
Große Auswahl erstklassiger Standorte in Deutschland
Teures Pflaster
Bei einer Ladengröße von 100 Quadratmetern müssen auf dieser Luxusmeile 250 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden.
Damit ist die Maximilianstraße die teuerste Einkaufsmeile Deutschlands.
245 Euro bezahlen Mieter auf der Kö pro Meter. Die Summe bezieht sich auf eine Ladenfläche von 100 Quadratmetern, bei größeren Geschäftsräumen sinkt der Meterpreis.
Bei einer Ladenfläche von 100 Quadratmetern bezahlt Man auf der Goethestraße in Frankfurt 220 Euro pro Quadratmeter.
Auf dem Neuen Wall bezahlen Mieter bei einer Ladenfläche von 100 qm im durchschnitt 215 Euro je Quadratmeter.
Auf dem Kurfürstendamm werden pro Quadratmeter Preise von rund 200 Euro bezahlt.
Quelle: Jones Lang LaSalle, Zahlen von 2011
Und das gleich in mehreren Städten. Konzentriert sich der Verkauf von Handtaschen aus Straußenleder und Uhren mit Platingehäusen in England, Frankreich oder Spanien auf die jeweilige Hauptstadt, so haben Marken, die in Deutschland Fuß fassen wollen, rund zehn Städte mit kaufkräftigem Publikum zur Auswahl. Vorneweg ist München, das auf der Maximilianstraße die höchsten Mieten erzielt. Es folgen Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg. Die Mischung aus Kaufkraft der Bewohner und reichen Touristen aus China, Russland und den arabischen Staaten entscheidet über den Erfolg der Lage.
Die Gretchenfrage: "Wo sollen wir hin?"
Doch selbst in Städten, wie Stuttgart, Nürnberg, Hannover oder Köln, die internationalen Touristen kaum als Zentren mondänen Shoppings bekannt sind, können die Marken gutes Geld verdienen. Wie viel es ist pro Quadratmeter Mietfläche "gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Branche", sagt Frank Emmerich, Leiter der Einzelhandelsvermietung Düsseldorf des Immobilienmaklers CBRE.
Umsätze eines Modegeschäftes lägen meist unter den von Juwelieren, die zwar mehr Schaufensterfläche benötigen aber mit weniger Verkaufsfläche auskämen. Die Wahl des Standortes ist für eine Marke, die erstmals mit eigenen Boutiquen in Deutschland Fuß fassen will, deswegen die Gretchenfrage. Wer den Schweizer Uhrenhersteller nach seinen Plänen für die Expansion des Netzes von bislang 22 markeneigenen Boutiquen von New York bis Tokio befragt, bekommt eine Gegenfrage: "Wo in Deutschland sollen wir denn hin?"
München ist die "Platinfläche"
Nach München in die Maximilianstraße. Nirgends in Deutschland sind die Mieten für Ladenflächen und das Prestige höher. Wer hier ist, hat es geschafft . Einer der größten Schätze, den die deutsche Geschäftsführerin von Louis Vuitton, Beate Klingenberg, hütet, ist das Ladengeschäft mit der Hausnummer 12/14. Eine "Platinfläche" sagt Emmerich.
Beate Klingenberg organisiert den Umzug, denn Louis Vuitton wird im kommenden Jahr am Ende der Maximilianstraße auf mehreren Stockwerken eine sogenannte Maison eröffnen, die alles in den Schatten stellen soll, was Louis Vuitton in Deutschland bislang zu bieten hat. Der Mutterkonzern LVMH kennt die Güte der Lage. "Ich gehe davon aus, dass eine Marke aus unserem Konzern Interesse haben wird, unsere bisherigen Räumlichkeiten zu belegen", sagt Klingenberg.
Viele Interessenten wären bereit, dafür zu zahlen. Abstandszahlungen in siebenstelliger Höhe sollen schon geflossen sein. "Es gibt Situationen, wo ein Vormieter früher den Vertrag beendet und auf "Keymoney" hofft. Wir sind keine großen Freunde davon und es ist auch nicht die Regel", sagt Doris von Muschwitz, Head of Retail Leasing für das Maklerunternehmen Jones Lang LaSalle, die Luxusmarken aus aller Welt bei der Expansion und Standortsuche berät.
Nespresso sucht die Nähe zu Hermès und Dior
Bei Mieterwechsel steigen derzeit automatisch die Preise, sei es auf der Düsseldorfer Königsallee, dem Berliner Kurfürstendamm, dem Hamburger Neuen Wall oder der Frankfurter Goethestraße. Die begrenzten Flächen werden gleich von mehreren Unternehmen umworben. Genügte es Modemachern wie Michael Kors vor einigen Jahren, mit einem Shop-in-Shop in Luxuskaufhäusern vertreten zu sein wie den von Karstadt betriebenen Häusern KaDeWe in Berlin und Oberpollinger in München, muss es nun eine Boutique sein. Möglichst zusätzlich natürlich.
Zu den Modeunternehmen und Uhrenherstellern gesellen sich überraschende Konkurrenten um hochwertige Ladenflächen. Die Schweizer Nestlé-Tochter Nespresso eröffnete 2002 in Paris die erste Boutique, heute hat Nespresso allein zehn in Deutschland. Der Deutschland-Chef von Nespresso Holger Feldmann hat den Erfolg des Unternehmens mit einer Neueröffnung nach der anderen begleitet.
Nespresso ist vom eigenen Anspruch her ein Luxusprodukt, das die Nähe zu Hermès oder Dior sucht – mit einer vielfachen Zahl an Kunden. Die Erlebniswelt mit einer Mischung aus poppig-bunten Kapselwänden und glitzerndem Maschinenpark braucht Platz. "Wir benötigen großzügige Flächen."
Der Neue Wall in Hamburg gehört zu den wenigen Adressen, die in den letzten zehn Jahren Flächen dazugewinnen konnten, weil dort Deutschlands erster "Business Improvement District" gegründet wurde. Hübscheres Pflaster, bessere Beleuchtung und ansprechendere Blumenkübel sind Dinge, die die Anlieger finanzierten, um auch die hinteren zwei Drittel der Straße attraktiv für die Kunden zu gestalten.
Kette statt Tradition
Thomas Schnädter, Geschäftsführer von Montblanc Deutschland, ist froh, eine Adresse mit niedriger Hausnummer nahe dem Jungfernstieg zu belegen. "Wir sind eine Marke, die aufgrund der Struktur des Sortiments eine gewisse Frequenz in den Geschäften braucht", sagt Schnädter. Montblanc, das zum Luxuskonzern Richemont gehört, ist eine der dynamischsten Marken der Gruppe. Wachstum in Form von mehr Boutiquen ist Pflicht.
In Berlin wäre viel Platz auf dem Kurfürstendamm. Aber ausgerechnet hier drängeln sich die Top-Labels von Chanel bis Valentino auf einer Strecke von weniger als 1000 Metern. Bis zu 250 Euro pro Quadratmeter und Monat kosten Ladengeschäfte in den besten Lagen. Die Mieter sehen sich ganz unterschiedlichen Vertragspartnern gegenüber. Von Einzelbesitzern bis zu institutionellen Vermietern von Fonds- oder Grundstücksgesellschaften.
Aufruhr gab es unlängst in München, als der Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) dem seit 70 Jahren in München beheimateten Modehaus Maendler den Vertrag nicht verlängerte. Nun zieht in die Immobilie die spanische Modemarke Mango ein – Kette statt Tradition, schimpften die Kritiker. Alfred Herrmann vom WAF sagt, dass das Gebäude an der Theatinerstraße dank hoher Lauffrequenz gut zu einer Modemarke wie Mango passe.
Den Vermietern kommt eine Verantwortung auch für das Image der Lage zu. Die Düsseldorfer Königsallee ist in Deutschland einzigartig, denn nirgends sind so viele Besucher mit so hoher Kaufkraft unterwegs wie hier. Doch an der südlichen Seite der Königsallee ist für Marken wie Cartier die Nachbarschaft ein bisschen weniger exklusiv geworden. H&M, Esprit, American Apparel und Zara bilden den Anziehungspunkt für ein Publikum, das eher selten nach dem Top für 19,95 einen Brillantring 1895 für mehr als 2500 Euro kaufen wird.
Kurfürstendamm überholt wieder die Friedrichstraße
"Manche Vermieter sehen in erster Linie nur die Rendite, andere achten ganz genau darauf, wer zu ihnen passt", sagt von Muschwitz von JonesLangLasalle. Ihr Kollege Emmerich von CBRE in Düsseldorf reist schon mal mit dem Vermieter ins Ausland, um ihn von der Strahlkraft einer interessierten Marke zu überzeugen.
Die Stadtpolitik kann oder will in der Regel wenig tun. Die Stuttgarter Wirtschaftsförderung ist da eine Ausnahme, sie vermittelt gerne Interessenten und kooperiert mit Maklern. Auch in München verlässt man sich auf einen runden Tisch aus Politikern und Händlern. Wenige Städte erleben allerdings einen derartigen Imagewechsel wie Berlin. Die Stadt musste dabei zusehen, wie nach der Wende der Kurfürstendamm langsam dahinsiechte und die Friedrichstraße mit dem Quartier 206 zur neuen Luxuslage hochgejubelt wurde. Jetzt holt der Kurfürstendamm wieder auf.
Der Senator für Stadtentwicklung Michael Müller sieht die Aufgabe der Stadt darin, zu verhindern, dass dem bestehenden Handel durch zu viele Shoppingcenter außerhalb der City Konkurrenz gemacht wird. Dass der Luxus Richtung Ku’damm abwandert, beunruhigt Müller nicht. "Das bedeutet nur eine Strukturveränderung."
Auf die hofft auch Düsseldorf. Am Ende der Königsallee soll 2013 der Kö-Bogen fertiggestellt sein, ein Apple-Store dort öffnen und die Königsallee mit dem von Daniel Libeskind entworfenen Gebäude noch stärker beleben. Dann wird vielleicht die stille Seite der Edelmeile für mehr Menschen attraktiv. Frank Emmerich von CBRE konnte die amerikanische Marke Abercrombie & Fitch mit einem ihrer ersten Geschäfte in Deutschland dorthin locken. Sie bekommt wenige Meter weiter nach der Fertigstellung einen neuen Nachbarn: Nespresso.