Psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch Wie Chefs richtig mit depressiven Mitarbeitern umgehen

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Depressionen lassen sich nicht verhindern


„Es wird deutlich, dass noch ein großer Aufklärungsbedarf besteht“, bestätigt Christian Gravert, Projektleiter Psychische Gesundheit bei der Deutsche Bahn Stiftung und Leitender Konzernbetriebsarzt der Deutsche Bahn. Denn egal, ob stressiger oder gar kein Job, glückliche Familie oder frisch getrennt – eine Depression kann jeder bekommen. Jeden Fünften trifft es mindestens einmal im Leben. Fast jede dritte Berufsunfähigkeit entfällt derzeit auf psychische Erkrankungen.

Direkte Krankheitskosten liegen bei 16 Milliarden Euro pro Jahr

Auch bei den Krankschreibungen sind psychische Erkrankungen auf dem Weg, Rückenprobleme abzulösen. Laut dem aktuellen BKK Gesundheitsreport sind sie die dritthäufigste Diagnosegruppe bei Krankschreibung. 2017 kamen auf 100 Arbeitnehmer 237 Fehltage wegen psychischer Erkrankungen zusammen; im Schnitt 36 Tage pro Fall. „Größere Unternehmen wissen, dass sie etwas tun müssen, weil psychische Erkrankungen ein riesiger Kostenfaktor sind“, sagt Hegerl.

Allein die direkten Krankheitskosten für psychische Erkrankungen betragen knapp 16 Milliarden Euro pro Jahr. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schätzt, dass diese Kosten bis zum Jahr 2030 auf rund 32 Milliarden Euro ansteigen könnten. Dabei ist der noch größere Anteil an indirekten Kosten – geringere Produktivität und vorzeitige Verrentung – noch gar nicht berücksichtigt.

Das Problem ist aus Hegerls Sicht, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern zwar Rückengymnastik, Stresscoachings und Yoga anbieten können, das aber gegen Depression weder hilft, noch sie verhindert. „Man muss immer unterscheiden zwischen Befindlichkeitsstörungen und der Krankheit Depression“, sagt er.

„Ich kann durch Stressmanagement und sonstige Wellbeing-Maßnahmen sehr viel für das Wohlbefinden tun, aber ob dadurch das Auftreten von Depressionen verhindert werden kann, das würde ich in Frage stellen. Hier werden manchmal naive Versprechungen gemacht"·

Depressionen sind Stoffwechselstörungen, keine Launen

Was nicht heißt, dass Kurse zur Stressreduktion nichts bringen, aber gegen eine Stoffwechselstörung im Gehirn – was eine Depression nun mal ist – helfen sie nicht. Betroffene brauchen eine Therapie. Die bekommt aber nur eine Minderheit. Oftmals müssen Patienten lange Wartezeiten überbrücken, bis sie einen Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten erhalten und eine adäquate Behandlung erfahren, wie die Studie zeigt.

Bis zum Therapiebeginn müssen viele im Job noch funktionieren. „Besteht ein vertrauensvolles Verhältnis zu Kollegen und Arbeitgebern, dann lassen sich manchmal Arrangements treffen, zum Beispiel kann der Betroffene weiter im Arbeitsrhythmus bleiben, das Arbeitspensum wird aber deutlich reduziert. Bei leichteren Depressionen ist das oft besser, als grübelnd zu Hause im Bett zu liegen", sagt Hegerl. Aber dafür müssten Betroffene ihre Situation ansprechen, wenn der Vorgesetzte es nicht selbst bemerkt.

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