Reedereien im Kriegsgebiet (Fast) alle Schiffe deutscher Reeder im Kriegsgebiet stecken fest

Das Archivbild zeigt einen Schlepper, der ein Handelsschiff in einen Hafen in der Nähe von Odessa geleitet. Aktuell ist die Arbeit der Schlepper eingestellt. Quelle: Imago

Ein Frachter konnte Odessa überraschend verlassen. Doch der Reederverband ist besorgt wegen der verbliebenen Schiffe und Crews im Kriegsgebiet – und fordert Russland auf, sie herausfahren zu lassen. Die Firmen müssen gleich mehrere militärische und finanzielle Aspekte abwägen.

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Schon seit Tagen lag das fast 230 Meter lange Schiff einer norddeutschen Reederei im Hafen von Odessa. Als Russland am vergangenen Donnerstag gegen die Ukraine in den Krieg zog, sah es zunächst nicht so aus, als könnte der Frachter bald auslaufen. Die Angriffe der russischen Marine machten den Norden des Schwarzen Meers plötzlich gefährlich, auch für die Handelsschifffahrt. Häfen schlossen und es gab Berichte über Einschläge auf mindestens drei Frachtern. Am Freitagmittag erhielten Seeleute die Nachricht, dass die Namura Queen aus Japan im hinteren Bereich von einem Flugkörper getroffen worden sei, „gerade eben 1210 lokale Zeit 25. Feb. 2022“.

Am Samstag dann ging dennoch alles ganz schnell für den Koloss der norddeutschen Reederei, wie ein Mitarbeiter auf Nachfrage der WirtschaftsWoche berichtet. Die Kollegen seien überrascht gewesen von der Ansage der Hafenbehörde, die da lautete: Die Ladung Getreide ist an Bord, fahrt los. Der Insider beschreibt die Stunden, bis das Schiff in internationalen Gewässern war, als angespannt und heikel. „Im Hafen zu bleiben, wäre aber vermutlich auch nicht sicherer gewesen.“ Crew und Ladung überstanden die Ausfahrt aus dem Kriegsgebiet unbeschadet. Über Istanbul ging es ins Mittelmeer, mit Kurs auf Ägypten.

Laut dem Verband Deutscher Reeder (VDR) ist diese Episode eine absolute Ausnahme. Mehrere Schiffe deutscher Reeder hingen im Kriegsgebiet in der Ukraine fest, klagten Verbandsvertreter am Mittwoch, ohne konkrete Namen und Zahlen zu nennen. „Ablegen ist unmöglich, es gibt keine Schlepper“, sagte ein VDR-Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters. Gegenüber der WirtschaftsWoche erklärt er, dass der größte ukrainische Hafen in Odessa eigentlich „menschenleeres Gebiet“ sei. Einzig acht Wachmänner hielten die Stellung, „angeblich unbewaffnet“. Ohne Schlepper aufzubrechen, könne „man versuchen, ist aber äußerst schwierig“. Ob der 230-Meter-Frachter es ohne Schlepperhilfe schaffte, ist nicht bekannt.

Ein Sprecher der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), die ein Terminal im Hafen von Odessa betreibt, sagt, die Lage sei ruhig und das ukrainische Militär vor Ort. Die HHLA-Mitarbeiter seien längst von dem Gelände runter.

Lesen Sie hier alle aktuellen Entwicklungen in der Ukraine und zu den Sanktionen gegen Russland.

Trotzdem: Ein Aufenthalt in russischen und ukrainischen Gewässern ist aktuell gleich aus drei Gründen nicht sehr beliebt bei Reedereien. Die militärische Komponente ist die gefährlichste: Raketen könnten Crew, Schiff und Gut in Gefahr bringen. Zudem seien die Gewässer laut VDR-Sprecher „wahrscheinlich vermint“. Er berichtet von Crews deutscher Flotten, denen das ukrainische Militär auf Karten gezeigt habe, wo die Minen lägen.

Wie real diese Gefahr ist, beweist der Fall der „Helt“. Das estnische Frachtschiff ist nach einer Explosion vor Odessa gesunken, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Möglicherweise sei das Schiff auf eine Mine gelaufen, sagt ein Vertreter des Betreibers Vista Shipping Agency. Zwei Besatzungsmitglieder hätten es in eine Rettungsinsel geschafft, vier würden vermisst.

Neben diesen Risiken für Leib und Leben spielen aber auch finanzielle Aspekte eine Rolle für die Firmen: Viele Häfen haben den Betrieb gestoppt und fertigen überhaupt keine Schiffe mehr ab. Bei anderen fehlen Schlepper, die große Tanker vom Anleger wegziehen können. Ohne die Schlepper kommen die Riesenschiffe kaum ins offene Gewässer. Die langen, unplanbaren Liegezeiten aber kosten Geld – und auch höhere Versicherungsprämien. Die Schiffsversicherer haben die Gegend noch vor Kriegsausbruch zum besonders gefährdeten Gebiet erklärt und damit die Prämien drastisch erhöht.

Eine Reederei, die diese Punkte gerade abwägen muss, ist die Hamburger Schulte Group. Ihr Containerschiff „Joseph Schulte“ liegt seit dem 23. Februar in Odessa vor Anker. Zu der kniffligen Situation und möglichen Auswegen will sich das Unternehmen nicht äußern. „Absolute Priorität“ habe die Sicherheit der Besatzung, teilt eine Sprecherin mit. Crew und Schiff seien „derzeit sicher und wohlauf“.

Ob die Schiffe der deutschen Reeder in den ukrainischen Häfen nur wegen der Probleme im Betriebsablauf festsitzen oder ob Russlands Marine die Handelsschiffe auch aktiv an der Ausfahrt hindert, ist unklar. Verlässliche Informationen zu bekommen, ist in der Kriegssituation auch für die Schiffsbesatzungen und Besitzer schwer. Denn stets sind diverse Player, oft auf mehreren Kontinenten, mit einem Schiff beschäftigt. Die Namura Queen etwa fährt unter der Flagge Panamas, gehört einer japanischen Reederei – und wird betrieben von den Philippinen aus.

VDR-Chefin Gaby Bornheim richtete deshalb einen eindeutigen Appell an Russland: Alle Schiffe mit ihren Besatzungen müssten die Region verlassen dürfen. „Russland muss die Freiheit der Schifffahrt respektieren“, sagte Bornheim. „Unbeteiligte Handelsschiffe dürfen nicht angegriffen werden.“

Mehr zum Thema: Im Hafen von Odessa, dem wichtigsten in der Ukraine, betreibt die HHLA ein Containerterminal. Seit der Annexion der Krim ist dieses immer wichtiger geworden. Satellitenbilder zeigen, wie das Hamburger Unternehmen das Gelände in den vergangenen Jahren ausgebaut hat.

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