Regionalbahnen Das WLAN-Desaster im Nahverkehr

Im ICE gibt es mittlerweile drahtloses Internet – doch in Regionalbahnen werden auch im Jahr 2020 nur zehn Prozent der Züge mit WLAN fahren. Bis alle Bahnen versorgt sind, könnte die Technik schon wieder überflüssig sein.

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Bahn: Das WLAN-Desaster im Nahverkehr Quelle: dpa

Düsseldorf Es war ein ehrgeiziges Ziel von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Er forderte 2015 von der Deutschen Bahn, WLAN in ihren Regionalbahnen zu installieren. Bis 2020 sollte ein Großteil Züge ausgerüstet sein. Der Zug müsse „das Verkehrsmittel des digitalen Zeitalters“ werden, sagte Dobrindt. Nur gibt es zu wenig Geld, um die Regios flächendeckend aufzurüsten.

Davon können die Bundesländer ein Lied singen: „Der Ausbau von WLAN ist mit Mehrkosten verbunden, die nicht durch zusätzliche Gelder ausgeglichen werden“, so eine Sprecherin des Ministeriums für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Dabei erwarten die Kunden WLAN. In vielen mit Deutschland vergleichbaren Ländern können Reisende kostenlos im Zug-Netz zu surfen. Auch in Bussen und Straßenbahnen ist dort Gratis-Internet oft selbstverständlich. Dass die deutschen Regio-Züge zurückhängen, beweist eine Studie. Die Unternehmensberatung A.T. Kearney bescheinigte 2015 erheblichen Investitionsbedarf. Bisher gibt es nur Pilotprojekte – WLAN in ein bis fünf Waggons. Dass ganze Bahnen versorgt sind, ist selten. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenverkehr werden nach aktuellem Stand nur zehn Prozent der Regionalzüge bis 2020 mit WLAN ausgerüstet sein.

Zwar hat sich die Deutsche Bahn bereiterklärt, ihre Züge auf WLAN umzurüsten – aber nur, wenn die Verkehrsverbunde dafür bezahlen. Der Nahverkehr in Deutschland ist öffentlich organisiert. Um die Züge zu kaufen und die Verbindungen zu betreiben, steht den Ländern Geld aus dem Regionalisierungsgesetz zu. Aus diesen Mitteln bezahlen sie die Eisenbahnunternehmen – in dem sie zum Beispiel Züge mit WLAN verlangen.

Ein Vorreiter ist Sachsen-Anhalt. In 60 Waggons können Reisende vom Handy oder Laptop aus kostenlos ins Internet. Für den Service legt Sachsen-Anhalt jedes Jahr 500.000 Euro zusätzlich auf den Tisch. Um die Züge flächendeckend zu versorgen, müssen die Länder noch tiefer in die Tasche greifen. Rheinland-Pfalz rechnet mit Kosten von etwa zehn Millionen Euro jährlich. „Es stellt sich daher die Grundsatzfrage: Fahren wir mehr Züge oder bieten wir kostenloses WLAN?“, so Fritz Engbarth, Sprecher des Zweckverbandes Rheinland-Pfalz Süd.

Anderswo gibt es das gleiche Bild: „Es steht nicht ausreichend Geld zur Verfügung, um den Kundenwünschen nach WLAN zu entsprechen“, sagt Sabine Herms, Sprecherin des Nordhessischen Verkehrsverbunds (NVV). Zwar könnten die meisten Verbunde WLAN verlangen, wenn sie neue Züge bestellen. Viele alte Verträge laufen aber noch mehrere Jahre. Erweitert man diese auf WLAN-Versorgung, kostet es mehr, die Züge technisch aufzurüsten. Die Verbunde müssen immer wieder die Entscheidung treffen, für was das Geld ausgegeben wird. „Die Kosten dürfen nicht zulasten anderer Angebote im ÖPNV gehen“, so Herms vom NVV.

Der Bund hat die Mittel aber erst im vergangenen Jahr aufgestockt. Bis 2031 soll das Geld reichen – für Schienenbetrieb und WLAN-Aufrüstung.

Doch selbst wenn genug Geld in den Kassen läge: es scheitert nicht nur an der Finanzierung. Um im Zug per WLAN kostenlos ins Internet zu gehen, muss ein Netzwerk von Funkzellen entlang der Strecke für eine Datenverbindung zum Zug sorgen. Oft gibt es nicht genügend Masten entlang der Schiene. „Im ländlichen Nordhessen leben wir in vielen Regionen in der digitalen Steinzeit“, so Herms. „Die drei großen Netzbetreiber investieren nur da, wo Gewinne zu erwarten sind, nämlich in Ballungsräumen. In der Fläche tut sich wenig bis nichts.“ Auch in bergischen Gebieten, wie in Rheinland-Pfalz, sei es schwierig, die Signale zu empfangen.

Nach eigenen Angaben arbeiten Telefonica, Vodafone und die Deutsche Telekom daran, die Netze auszubauen. Neue Masten werden aber priorisiert entlang der großen Fahrgastströme aufgestellt. Da, wo weniger Menschen leben, lohne sich ein Ausbau nicht. Zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern. „Das deckt die Kosten nicht“, sagt Dirk Wende, Sprecher der Deutschen Telekom. Sei der Netzausbau in ländlichen Regionen politisch gewollt, müsse man den aus öffentlichen Geldern finanzieren.

Es bleibt noch viel zu tun. Bisher können nach Messungen der Deutschen Bahn ICE-Reisende nur durch eine Bündelung aller drei Mobilfunknetze mit 78-prozentiger Sicherheit auf WLAN zugreifen. Das sogenannte Multi-Provider-System ist allerdings teurer, als nur auf ein Netz zuzugreifen. „Eine flächendeckende Ausrüstung aller Gebrauchtfahrzeuge bis 2020 ist daher nicht zu erwarten“, sagt Frank Zerban, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenverkehr.

Ob Alexander Dobrindt seine Aussage bereut? Auf Handelsblatt-Nachfrage möchte sich das Bundesverkehrsministerium nicht dazu äußern.

Mit dem WLAN wird es noch eine Weile dauern. „Es ist nicht auszuschließen, dass erst mit Mitte der 2030er Jahre eine weitgehende Bereitstellung von WLAN in den Zügen von Rheinland-Pfalz möglich ist“, so Fritz Engbarth, Sprecher des Zweckverbandes Rheinland-Pfalz Süd. „Ob dies dann allerdings noch der Lebenswelt der Reisenden entspricht, darf aus heutiger Sicht angezweifelt werden. Flatrate-Verträge scheinen Standard zu werden. In der Konsequenz ist es nicht auszuschließen, dass die öffentliche Hand jetzt für eine erhebliche Summe die Züge für ein System nachrüsten lässt, welches in absehbarer Zeit kaum noch notwendig ist.“

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