Retro als Rettung? Porzellan-Zukunft auf dem Flohmarkt

Das Geschirr von Oma weckt bei Retro-Fans vielleicht Begehrlichkeiten - für die Spülmaschine ist es aber nichts. Die krisengebeutelte Porzellan-Branche wittert hier eine Chance.

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Tassen der Freiberger Porzellanproduktion stehen im Freiberger Stadt- und Bergbaumuseum. Quelle: dpa

Seeschwalben oder ein Pferd aus Porzellan? Koffer und Körbe voll schleppen die Menschen an, damit Experten ihre - hoffentlich kostbaren - Stücke ansehen. „Es kommt ein Retrotrend beim Geschirr“, sagt Petra Werner.

Die Kuratorin im Porzellanikon in Hohenberg, einem staatlichen Museum in der Porzellanregion Oberfranken, begutachtet an diesem Tag viele Teile. „Altes Porzellan ist total trendy, aber es ist nichts für die Spülmaschine.“ Die Firmen passten ihre Produkte deshalb an heutige Bedürfnisse an. Nur: Hippe Vintage-Fans stehen zwar auf Retro, auf Tassen mit Goldrand oder Kannen in den Farben und Formen der 1960er Jahre. Aber sie kaufen gern Gebrauchtes. Billig, im Internet oder auf Flohmärkten. Das ist, wie Werner sagt, ein Problem für die Branche.

„Natürlich sind neben der Dumping-Ware aus China auch Schnäppchen auf Flohmärkten eine Konkurrenz“, sagt Christoph René Holler, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Keramische Industrie (BVKI). Die Branche reagiere aber stärker und schneller auf Trends als früher.

Die größten Glückspilze der Welt
Platz 7: Das Profi-FahrradNach der Tour de France 2006 wurde Floyd Landis (links) positiv auf Doping getestet, sein Sieg wurde ihm aberkannt, er wurde gesperrt: 2008 wurde eines seiner Fahrräder durch einen Windstoß von einem Transporter geweht, im Straßengraben gefunden und auf einem Flohmarkt verkauft. Der Amerikaner Greg Estes erstand es für fünf Dollar. Später verkaufte er das Rad für 8000 US-Dollar. Quelle: dapd
Platz 6: Das Bild in der Couch2007 kaufte eine deutsche Studentin auf einem Flohmarkt in Berlin ein ausziehbares Sofa - für 150 Euro. Als sie die Couch öffnete, entdeckte sie das Gemälde "Preparation to Escape to Egypt" eines Künstlers aus dem Kreis des venezianischen Malers Carlo Saraceni. Das Bild wurde schließlich für 27.630 Dollar verkauft. Quelle: dpa
Platz 5: Die Demo-CD75 amerikanische Cent zahlte ein Käufer auf einem Flohmarkt in Manhattan für eine LP mit dem Namen "Velvet Underground … 4/25/66". Es war die Demo-CD der damals unbekannten Band von Lou Reed - die die Plattenfirma Columbia Records einst abgelehnt hatte. Der Glückspilz versteigerte die Platte bei eBay - für 155.401 Dollar Quelle: dpa
Platz 4: Der katholische PriesterWegen seines schönes goldenen Rahmen kaufte ein katholischer Priester ein Gemälde des flämischen Malers Anthonis van Dyck - für 660 Dollar. Später wurde bekannt, dass das Bild 660.000 Dollar wert ist. Quelle: dpa
Platz 3: Warhol in der GarageFür fünf Dollar kaufte ein Amerikaner auf einem Garagenflohmarkt verschiedene Skizzen. Was er damals noch nicht wusste: Eines der Bilder trug die Signatur von Andy Warhol. Der Wert wird heute auf zwei Millionen US-Dollar geschätzt. Quelle: AP
Platz 2: Die chinesische SchaleAuf einem Flohmarkt brachte sie drei Dollar. Dann wurde die mehr als 1000 Jahre alte chinesische Schale für 2,23 Millionen Dollar im Auktionshaus "Sothebys" versteigert. Quelle: dpa
Platz 1: Die Unabhängigkeitserklärung im Rahmen 1989 kauft ein Mann ein Bild - zum Preis von vier Dollar. Als er einen Riss in der Leinwand untersucht, fällt der Rahmen ab - und zum Vorschein kommt: eine Original-Kopie der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten. Eine von 24 Exemplaren. Sie wurde schließlich für 2,42 Millionen Dollar verkauft. Quelle: REUTERS

So will die staatliche Manufaktur Meissen, deren Umbau zum Luxuskonzern scheiterte, mit maschinell aufgedruckten Dekoren einen Kurswechsel erreichen, das heißt: jüngere Käufer. Bedrucktes Geschirr ist günstiger - und spülmaschinenfest. Andere entwerfen Porzellan zum Grillen, Kaffeebecher aus Keramik statt aus Pappe. Oder eben im Retro-Look.

Villeroy und Boch bringt Pastellfarben auf Teller, holt alte Dekore der Firmengeschichte aus dem Keller. In diesen Trend passt auch, was sich Rosenthal im oberfränkischen Selb ausgedacht hat: Eine Wiederauflage des Geschirrs „Maria“, 1916 zum ersten Mal geformt.

Bis heute sei das Service ein Verkaufsschlager, sagt Kuratorin Werner, auch bei jungen Leuten. Obwohl es bieder anmutet, klassizistisch geformt, mit Granatapfel-Relief. Es ist benannt nach der zweiten Frau von Firmengründer Philipp Rosenthal. Der Sohn der beiden, Philip, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden, weshalb das Porzellanikon ihm und seinem Vater eine große Ausstellung widmet. Zu Zeiten von Rosenthal Junior, Ende der 1950er bis Anfang der 80er Jahre, hatte allein diese Firma mehr als 10.000 Mitarbeiter; heute sind es 850. Bundesweit hat die Branche aktuell weniger als 6000 Beschäftigte.

Kunden legen Wert auf deutsche Produktion

Rosenthal zählt zu den größten Haushaltsporzellan-Produzenten in Deutschland, neben Villeroy und Boch, Seltmann Weiden, Kahla und BHS Tabletop. Gerade die vielen Kleinen aber ringen oft ums Überleben. Laut Unternehmensregister gab es vor neun Jahren 799 Hersteller keramischer Haushaltswaren, 2013 - neuere Zahlen gibt es nicht - waren es noch 685. Die sächsische Firma Annaburg etwa stellte 2015 den Betrieb ein, zwei Jahre zuvor war Arzberg insolvent.

Nach der Wende gab es auf dem deutschen Markt Überkapazitäten, hinzu kam Konkurrenz aus China, Vietnam oder der Türkei. Es entstand, so Holler, massiver Preisdruck. Die jährlichen Umsätze mit Haushaltswaren und Ziergegenständen aus Keramik in Deutschland sinken dem BVKI-Geschäftsführer zufolge seit 2000 kontinuierlich - mit wenigen Ausnahmen. „Wir haben das Umsatzplus von 2014 nicht halten können.“ Der Absatz im vergangenen Jahr sank um sieben Millionen Euro auf 459 Millionen. Hintergrund ist auch der Zusammenbruch des russischen Marktes.

Schnäppchen, die Millionen wert sind
Ihr Vorbesitzer hatte sie in einem Trödelmarkt für drei Dollar gekauft und jahrelang in seinem Wohnzimmer aufgestellt, ehe er neugierig wurde und sie von einem Experten untersuchen ließ - nun brachte die chinesische Schale bei einer Auktion mehr als 2,2 Million Dollar (1,7 Million Euro). Das weiße, 12,5 Zentimeter hohe und rund 1000 Jahre alte Stück aus der Song-Dynastie wurde im Auktionshaus Sotheby's in New York verkauft. Neuer Besitzer ist ein Händler aus London. Vor der Auktion war der Wert der Schale auf 200.000 bis 300.000 Dollar geschätzt worden. Quelle: AP
Diese chinesische Vase war in der Gunst einer Familie auf Long Island bei New York nicht sonderlich hoch angesehen. Sie diente jahrelang als Türstopper. Nun hat sie bei einer Auktion in New York mehr als 1,3 Millionen Dollar (etwa eine Million Euro) eingebracht. Die blau-weiße Vase entstammt der Ming-Dynastie. Quelle: dpa
Weil sie den Rahmen schön fand, hat eine Frau auf einem Flohmarkt in den USA für sieben paar Dollar ein Bild gekauft - und damit einen Coup gelandet. Denn Experten stufen das kleine bunte Bild als ein Werk des französischen Impressionisten Pierre-Auguste Renoir (1841-1919) ein. Sie schätzen es auf einen Wert von bis zu 100.000 Dollar (etwa 78.000 Euro) - ein Vielfaches des Flohmarkt-Preises. Experten eines Auktionshauses in Virginia identifizierten das Fundstück dann als „Landschaft am Rande der Seine“. Wer der Verkäufer war und wie das Bild auf einen Trödelmarkt in Virginia gelangte, ist unklar. Quelle: REUTERS
Nur 1500 Euro zahlte ein französischer Flohmarktbesucher für ein Bild mit einem Pferd und einem Bauern. Das 45 mal 30 Zentimeter große Bild entpuppte sich als echter van Gogh. Geschätzter Wert drei bis fünf Millionen Euro. Quelle: dapd
Der Kalifornier Rick Norsigian wird dank einer Kiste Fotonegative vom Trödelmarkt reich. Nach eingehender Prüfung steht fest, sie stammen von dem berühmten amerikanischen Landschaftsfotografen Ansel Adams. Wert: 200 Millionen Dollar. Bezahlt hatte er nur 45 Dollar. Quelle: dpa
Ein britischer Arzt fand 2007 in der Garage seines verstorbenen Onkels einen wahren Schatz. Der dort eingestaubte Oldtimer war ein 1937 Bugatti Typ 57S Atalante. Von dem Wagen wurde nur 17 Stück produziert. Der ehemalige Besitzer Harold Carr hatte ihn 1960 dort abgestellt – und ihn nie wieder gefahren. Wert: 3,2 Millionen Euro. Das Bild zeigt einen Bugatti 35T von 1926. Quelle: dpa
Eine Berliner Studentin fand in einem Sofa, das sie für 150 Euro auf dem Flohmarkt gekauft hatte, ein Gemälde. Bei Ausziehen fiel ihr das Bild in die Hände. Bei einer genauen Untersuchung von Experten stellte sich heraus, dass es sich um ein Werkt des venezianischen Künstlers Carlo Saraceni aus dem Jahr 1605/10 handelte. Wert: Rund 20.000 Euro. Quelle: dapd

Heute ist Geschirr eher Konglomerat als Komplettset. Schälchen für alles, für Soße, Salat, Beilagen. „Schälchenkultur“, nennt Werner das. Viele Kunden legten aber wieder mehr Wert auf deutsche Produktion und Qualität, sagt BVKI-Mann Holler. Seniorenheime, Krankenhäuser, Hotels, Lokale - sie alle brauchen Geschirr. „Da gibt es wieder Zuwächse.“ Zu beobachten etwa bei BHS Tabletop: Der Umsatz lag 2015 bei 114,2 Millionen Euro, im Jahr zuvor bei 99,3 Millionen.

„In der Porzellanbranche gibt es keine großen Wachstumssprünge“, sagt Rosenthal-Geschäftsführer Gianluca Colonna. Das Unternehmen verkauft heute auch Arzberg - obwohl bei Rosenthal selbst 2009 ein Insolvenzverfahren lief. Der italienische Haushaltswarenhersteller Sambonet Paderno sprang ein. Für dieses Jahr erwarte das Unternehmen wie 2015 ein stabiles Ergebnis bei 83 bis 85 Millionen Euro Umsatz.

Ein wenig aber hofft die Branche, dass die Retro-Fans ihr auf die Sprünge helfen. „Vielleicht“, sagt Holler, „will die Klientel, die auf dem Flohmarkt altes Geschirr kauft, ein zweites, ein neues.“

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