Rewe, Edeka und das Kartellamt Worum es im Fall Tengelmann wirklich geht

Vor der Entscheidung zur Fusion von Edeka und Tengelmann mehren sich Gerüchte und Störfeuer. Wie es um die Zukunft der Supermarktkette steht, welche Interessen die beteiligten Parteien haben – und wer schon jetzt als Sieger des Streits gelten kann.

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Edeka, Tengelmann und das Bundekartellamt im Twister Quelle: Fotolia, Montage: Marcel Stahn für WirtschaftsWoche Online

Was als Kartellrechtsfrage begann, ist längst zum Richtungskampf für die deutsche Supermarktbranche geworden: Der Fall Tengelmann. Im zähen Ringen um die Frage, ob Edeka hunderte Filialen der kleinen Handelskette übernehmen darf, naht jetzt eine erste Entscheidung. Am 7. April endet die Prüffrist für den jüngsten Fusionsvorschlag. Dann muss das Bundeskartellamt eine Entscheidung fällen. Weil der Termin mit den Osterfeiertagen kollidiert, könnte die aber noch in dieser Woche bekannt werden. Mittwoch oder Donnerstag wissen wir mehr, heißt es aus der Branche.

Worum geht es überhaupt?

Im Oktober 2014 verkündete Karl-Erivan Haub, Chef der Tengelmann-Gruppe, die Kaiser’s-Tengelmann-Supermärkte an Edeka verkaufen zu wollen. Ein halbes Jahr später steht die Entscheidung des Bundeskartellamts zu dem geplanten Deal bevor. Zwar läuft die Frist bis zum 7. April, wegen der Osterfeiertage dürfte es aber bereits in dieser Woche soweit sein. Das Amt entscheidet damit über die größte Übernahmeofferte seit Jahren im deutschen Lebensmittelhandel und über die Zukunft von 16.000 Mitarbeitern, die in den 451 Kaiser’s-Tengelmann-Supermärkten arbeiten.

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Wie sieht das Bundeskartellamt die Übernahme?

Als Edeka-Chef Markus Mosa und Tengelmann-Patron Karl-Erivan Haub ihre Pläne vorstellten, signalisierte die Behörde erhebliche Bedenken. Die Nachfragemacht des Lebensmitteleinzelhandels sei bereits ein Problem, gab Kartellamtschef Andreas Mundt damals zu Protokoll. Das Kartellamt werde den Tengelmann-Verkauf daher "intensiv prüfen". Schon 2009 hatte das Amt die Übernahme der Tengelmann-Tochter Plus durch Edeka genau unter die Lupe genommen. Die Behörde gab den Deal nach monatelangem Gezerre zwar frei, doch nur unter strikten Auflagen. Hunderte Plus-Filialen musste Tengelmann damals an Edekas Rivalen abtreten. Noch wichtiger: Das Amt untersagte auch eine geplante Einkaufskooperation zwischen Edeka und der Tengelmann-Supermarktsparte.

Warum sträubt sich das Bundeskartellamt?

Vor ein paar Monaten haben die Kartellwächter in einer Branchenanalyse zum Lebensmittelhandel auf 400 Seiten aufgedröselt, wie konzentriert der Markt inzwischen ist. Branchenprimus Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland sowie Aldi beherrschen demnach 85 Prozent des deutschen Lebensmittelhandels. Die Entwicklung sei "besorgniserregend", konstatierte Behördenchef Mundt. Schlechte Aussichten also für den Deal. Zwar argumentiert Tengelmann-Chef Haub, seine Supermärkte kämen bundesweit nur auf einen Marktanteil von 0,6 Prozent. Doch das Amt nimmt vor allen Dingen die regionalen Märkte ins Visier und in Teilen von Berlin, München und in Nordrhein-Westfalen dürfte der Marktanteil deutlich höher liegen. Die Sorge: Fällt Tengelmann als eigenständige Kette weg, blieben in vielen Gegenden nur noch Edeka und Rewe als Nahversorger mit einem umfassenden Angebot an Markenartikeln. Es drohe eine „marktbeherrschende Stellung“.

Gibt es weitere Bedenken?

Ja. Öffentlich weniger präsent, aber aus Kartellamtssicht womöglich noch gravierender wären die Folgen einer Übernahme für die Lieferanten. Also für all jene Wurst-, Bier- und Käseproduzenten, die die Regale von Edeka und Tengelmann mit Ware füllen. Ihre Abhängigkeit vom größten deutschen Lebensmittelhändler ist schon jetzt immens und würde weiter steigen, wenn eine Absatzalternative wegbricht. Durch den Machtzuwachs erhöht sich zudem tendenziell die Möglichkeit, die Preise der Lieferanten zu drücken. Dass es dabei nicht um einen theoretischen Disput geht, bewies Edeka bereits bei der Plus-Übernahme: Nach dem Kauf forderte Edeka massiv sogenannte "Hochzeitsrabatte" von rund 500 Lieferanten aus unterschiedlichen Warenbereichen ein. Sprich: nur noch die jeweils günstigsten Einkaufspreise sollten plötzlich gelten.

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Welche Zugeständnisse will Edeka deshalb machen?

Nachdem die Ablehnung des Bundeskartellamts unmissverständlich ausfiel, besserten Mosa und Haub wiederholt nach. Der Plan, sich alle Edeka-Filialen einzuverleiben, wurde fallengelassen. Offenbar beantragt der Handelsriese jetzt nur noch die Übernahme von rund 350 Filialen statt allen 451 Ladengeschäften. Da ein Teil der Filialen an die Konkurrenz geht, sollte zumindest nach der offiziellen Edeka-Darstellung damit eigentlich alles klar sein. Man sei überzeugt, den wettbewerblichen Bedenken in München, Oberbayern und Berlin Rechnung zu tragen, erklärte Tengelmann-Chef Haub.

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Wie sind die Erfolgsaussichten für Edeka wirklich?

Dass dem Kartellamt der Verzicht auf ein knappes Viertel der Filialen ausreicht, darf bezweifelt werden. Schon nach der ersten Abfuhr hieß es hinter vorgehaltener Hand, dass Edeka nur etwa die Hälfte der Filialen ohne Probleme werde übernehmen können. Denn die Monopolkommission bemängelte schließlich die wachsende Verhandlungsmacht in der Lebensmittelbranche. Zudem geht es bei dem Streit nicht nur um die reine Zahl der Geschäfte. Weil den Wettbewerbshütern die Konzentration in manchen Regionen ein Dorn im Auge ist, dürften sie genau darauf achten, welche Filialen an Drittanbieter fallen würden.

Kein Wunder also, dass sich wenige Tage vor Fristablauf die Gerüchte mehren, dass das Kartellamt die Übernahme auch unter den neuen Bedingungen nicht genehmigen wird. Weil Edeka damit rechnen konnte, vermuten Branchenkenner, dass hinter den Zugeständnissen ein anderer Plan steckt: Mit den kleinen Schritten in Richtung Wettbewerbshüter zeigt der Handelsriese gute Willen und bringt sich so für die nächste Phase des Ringens in Stellung.

Was passiert, wenn das Kartellamt die Übernahme nicht erlaubt?

Dann bleibt Edeka noch der Gang zum Oberlandesgericht Düsseldorf. Dort könnten die Richter die Entscheidung des Kartellamts aufheben. Es wäre nicht das erste Mal, dass das OLG einen Fall anders bewertet als die Kartellbehörde. Nachdem das Kartellamt Drogeriekönig Dirk Roßmann ein Bußgeld von 300.000 Euro wegen Preisdumpings aufgebürdet hatte, hob das Gericht die Strafe 2009 wieder auf. Ihren Entschluss begründeten die Richter ungewohnt scharf: Die Bonner Behörde habe ohne jegliche vernünftige Ermittlungen“ gearbeitet. Das Vorgehen der Wettbewerbshüter sei „anachronistisch und verbraucherfeindlich“ gewesen.

Ein Gerichtsstreit mit dem Kartellamt kann sich über Jahre ziehen und teuer werden, die anhaltende Unsicherheit die betroffenen Unternehmen lähmen. Deshalb könnte Edeka auch versuchen, eine Ministererlaubnis zu erwirken: Stimmt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel der Übernahme zu, könnte er die Entscheidung des Kartellamts kurzerhand aushebeln. In der Praxis ist eine solche Einmischung der Regierung jedoch selten.

Welche Alternativen für die Edeka-Übernahme gibt es?

Schon kurz nach Bekanntwerden der Fusions-Pläne hatte Rewe-Chef Alain Caparros sein eigenes Unternehmen als Übernahmepartner für Tengelmann ins Spiel gebracht. Ein Vorstoß, der irgendwo zwischen ernstgemeinter Offerte und bewusstem Störfeuer einzuordnen ist. Denn dass das Kartellamt Rewe einfach erlaubt, einen Großteil der Tengelmann-Filialen zu schlucken, ist nach der Argumentation im Fall Edeka höchst unwahrscheinlich. Die Option, die Filialen zu übernehmen, die Edeka übrig lässt, hat der Rewe-Chef bereits ausgeschlagen. Man werde für die Konkurrenz „nicht den Ausputzer spielen“ echauffierte sich Caparros zuletzt im Berliner "Tagesspiegel" und macht aus seiner Abneigung gegen den ursprünglichen Deal keinen Hehl: „Unser Ziel ist es, dass Edeka dieses Unternehmen nicht bekommt.“

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Warum grätscht Rewe andauernd dazwischen?

Dass den Rewe-Mann dabei nicht primär die Sorge um die Konsumenten treibt, ist klar. Schon beim Plus-Verkauf hatte Rewe mit Tengelmann verhandelt – und war abgeblitzt. Seither sind alle Aussichten für Rewe, zum Marktführer Edeka aufzuschließen, obsolet. Edeka dominiert mit einem Marktanteil von 25 Prozent das Lebensmittelgeschäft in Deutschland, Rewe kontrolliert nur 16 Prozent. Tatsächlich dürfte es Caparros nun darum gehen, zu verhindern, dass der Abstand noch größer wird. Scheitert die Fusion oder erhält gar Rewe als Notlösung einen Teilzuschlag für einen Großteil der Filialen, könnte die Rechnung aufgehen.

Kann denn sonst niemand helfen?

Als Alternative zu Edeka und Rewe müssten Drittanbieter, sprich kleinere, lokale Händler oder Unternehmen aus dem Ausland in die Bresche springen. Das könnte zum Beispiel die Migros-Gruppe sein. Für die Schweizer wäre der Einstieg in den deutschen Markt kein Novum. Vor gut zwei Jahren kauften sie bereits die Handelskette Tegut. Doch was ein Engagement bei Tengelmann geht, hält sich Migros bislang bedeckt. Offenbar auch, weil noch an der Eingliederung und der Optimierung der Tegut-Filialen gearbeitet wird.

Andere ausländische Unternehmen werden eine Investition in Deutschland sicher nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Marktanteile im Lebensmittelhandel sind verteilt, der Preiskampf ist hart. Und dass gerade die deutschen Discounter ernstzunehmende Gegner sind, müssen in England zum Beispiel Tesco, Sainsbury und Asda erfahren: Sie verlieren derzeit massiv Kunden und Umsatz an Aldi und Lidl.

Kritik am Kartellamt und die Sieger des Streits

Bekommt das Kartellamt keinen Gegenwind?

Oh doch. Zwar teilen viele Branchenkenner und Politiker die Einschätzung, dass die wachsende Macht der großen Lebensmittelhändler in der Branche zum Problem wird. Für Andere überspannt die Kartellbehörde beim Umgang mit Kaiser’s Tengelmann und dessen 0,6 Prozent Marktanteil den Bogen jedoch. Dass sich die Fusionskontrolle ausschließlich auf den Erhalt des deutschen beziehungsweise regionalen Wettbewerbs konzentriert, ruft ebenfalls Kritik hervor. Denn dem Kartellamt ist vorerst egal, ob die Unternehmen profitabel arbeiten oder Verlustbringer sind, ob Arbeitsplätze erhalten werden oder verloren gehen, ob die potentiellen Fusionspartner allein eine Chance gegen ausländische Wettbewerber haben. Die Behörde sichert vorrangig die bestehende Machtstruktur.

Was sagen die Arbeitnehmer zu den Plänen?

Die Betriebsräte und Gewerkschafter bei Tengelmann sind im Zwiespalt. Einerseits befürchten sie drastische Einschnitte und Schließungen, sollte das Kartellamt die Fusion kippen. Andererseits sind sie auch von der Übernahme wenig angetan. „Edeka steht für Filial-Privatisierungen, was mit Tarifflucht und Aushebelung der Mitbestimmung einhergeht“, kritisierte die Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Kaiser’s-Tengelmann, Janetta Jöckertitz, in der Verdi-Zeitung „Publik“. Mitte März war auch Verdi-Chef Frank Bsirske bei einer Betriebsversammlung  dabei. Er soll sowohl mahnende Worte für die Führungsspitze der Unternehmen als auch für das Kartellamt gefunden haben und forderte, das Genehmigungsverfahren mit einer Prüfung tariflicher Standards zu verbinden.

Warum tut sich Edeka das Gefeilsche überhaupt an?

Zusammen mit dem konzerneigenen Billigheimer Netto Markendiscount hat Edeka ein Netz von rund 11.600 Märkten über Deutschland gespannt. Beim Flächenwachstum hat Edeka damit wohl die Grenze erreicht. Zusätzliche Märkte lassen sich in Deutschland kaum eröffnen, ohne bereits bestehenden Filialen Kunden abzujagen. Da kämen die bestehenden Tengelmann-Filialen vor allem in München und Berlin gerade recht, zumal Edeka keine Chance hat, kurzfristig Wachstum im Ausland zu generieren – anders als die Wettbewerber. So ist die Kölner Rewe-Gruppe mittlerweile in 16 Ländern aktiv.

Der Düsseldorfer Metro-Konzern erzielt rund 60 Prozent des Umsatzes jenseits der deutschen Grenzen. Edeka ist dagegen nur in Deutschland aktiv. Eine internationale Aufholjagd wäre für den Konzern ungleich aufwendiger als mithilfe von Tengelmann zu wachsen. Das hätte sogar einen schönen Nebeneffekt: Denn mit der geplanten teilweisen Weitergabe der Kaiser’s-Tengelmann-Länden an erfolgshungrige Edeka-Kaufleute könnte Mosa bei seiner genossenschaftlich organisierten Basis punkten.

Wer sind die Gewinner des Gezänks?

Untersagt das Kartellamt die Fusion, punktet Edekas Wettbewerber Rewe. Legt die Behörde kein Veto ein, zählen Haub und Mosa zu den Gewinnern. In jedem Fall dürften die beteiligten Kartellrechtler als finanzielle Sieger vom Platz gehen. Sowohl Tengelmann als auch Rewe haben angekündigt, gegen die Entscheidung des Kartellamtes zu klagen, sollte sie zu ihren Ungusten ausgehen. Die Juristen von Edekas Stammkanzlei White&Case und ihre Gegenspieler bei der Rewe-Kanzlei Freshfields dürften also noch etliche Beratungsstunden abrechnen können.

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