Ritter Sports „Keine Schokolade"-PR „Ritter Sport hat es geschafft, an die Grenze des Möglichen zu gehen“

Im neuen Ritter-Sport-Produkt Cacao y Nada ist kein Zucker enthalten. Deshalb, so vermittelte es Ritter Sport, dürfe es nicht Schokolade genannt werden. Eine falsche Annahme. Quelle: imago images

Der Deutsche Rat für Public Relations nimmt den Fall Ritter Sport genau unter die Lupe. Für Lars Rademacher, den Vorsitzenden des DRPR und Medien-Professor in Darmstadt, handelt es sich um einen Grenzfall, wie der Schokoladenhersteller seine neue Kakaosaftzucker-Kreation in Szene gesetzt hat.

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WirtschaftsWoche: War die Kampagne von Ritter Sport, dass ihre neue Schokolade keine Schokolade ist, aus der Sicht des DRPR eigentlich in Ordnung?
Lars Rademacher: Wir haben den Fall schon im Rat diskutiert. Die Frage ist, was wir aus einer normativen Perspektive dazu sagen können. Wir prüfen, ob die Öffentlichkeit zu ihrem Nachteil massiv belogen wurde – oder nicht. Hat Ritter Sport wissentlich öffentlich die Unwahrheit über ein Thema gesagt?

Wie denken Sie denn über den Fall nach?
Es ist ein Problem, wenn jemand vorgibt etwas zu tun, das er gar nicht tut. Es gibt einerseits unsere standesethischen Regeln, und dann gibt es auch noch die satirische Brechung des Ganzen. Andere Fälle, die wir diskutierten, waren Scrabble, als sie das Spiel zum 70. Geburtstag umbenennen wollten. Auch Citroen hatte zum 100. Geburtstag behauptet, sie nennen sich jetzt Zitrön. Man erkennt bei diesen Fällen aber schnell auch die Satire. Scrabble hatten wir damals noch gerügt, weil die verdeckte Phase sehr lang war. Aber wir wollen auch nicht die Spaß-Bremse der Nation sein und sagen, wir verstehen den Witz nicht.

Citroen sprang ein paar Monate später auf diese Idee auf, und kam dann ohne Rüge davon.
Es gibt eine Gratwanderung bei solchen Mystery-Geschichten – etwas eine Zeit lang unter Verschluss zu halten, um die Neugierde zu erhöhen und dann erst aufzulösen, ist für uns in Ordnung. Auf dieser Achse bewerten wir letztlich auch den Ritter-Sport-Fall.

Lars Rademacher ist Vorsitzender des DRPR und Medien-Professor in Darmstadt.Foto: Martin Wessner

Eine Auflösung hatte Ritter Sport ja gar nicht vor.
Stimmt, das ist ein Grenzfall. Auf der einen Seite ist Ritter Sport ganz klar mit einer falschen Behauptung ins Land gezogen – dass man das Produkt, das sie neu rausbringen, nicht Schokolade nennen darf. Ihr Produkt hätte man vermutlich einfach Schokolade nennen können – dann aber wäre der Effekt nicht da gewesen. Ritter Sport hat mit dieser Sachlage gespielt...

...und die Medien an der Nase herumzuführen versucht.
Es war an den Haaren herbeigezogen, aber wurde auch ein cooler Coup, weil so viele in der Berichtserstattung aufsprangen. Das Problem liegt eher auf der journalistischen Seite: Dass die Medien auf die Nummer reingefallen sind und sie so groß gemacht haben, ist eher problematisch.

Das war sehr geschickt, das als erstes bei der Bild-Zeitung zu platzieren und damit die Medienlandschaft in Zugzwang zu bringen.
Schokolade mag einfach jeder. Und Zucker reduzieren ist auch immer super. Man kann einen wunderbaren Kontrast aufbauen zwischen der guten Absicht des Produkts und der bösen Beschränkung, die das Gesetz einbaut. Ein wunderbare Gut-gegen-Böse- oder David-gegen-Goliath-Geschichte, die ein populäres Medium daraus stricken kann.

Diejenigen, die die Strategie, gegen die Lebensmittelgesetze zu schießen, ins Leben riefen, waren echte Davids.  Das Start-up Lemonaid hatte ja eine Abmahnung erhalten von der Verbraucherschutzbehörde wegen zu niedrigen Zuckergehalts und hätte alle Pfandflaschen austauschen müssen. Ritter Sport ist dagegen eher ein Goliath.
Das stimmt. Lemonaid hätte das wahrscheinlich die Existenz gekostet, aber man kann trotzdem eine Analogie ziehen. Vielleicht hätte Ritter Sport prüfen müssen, ob wirklich eine Gefahr besteht, dass das jemand einklagt bei ihrer Schokolade.

Um ihre Behauptung aufzustellen, hat Ritter Sport ja die Schokoladenverordnung mit der Zuckerverordnung kombiniert. Die Schoko-Verordnung allein aber sagt schon, dass Schokolade aus Kakao und Zucker besteht – und lässt auch Zuckerarten zu, die nicht explizit genannt wurden. Aber Ritter Sport zog zusätzlich die Zuckerverordnung heran – und da ist Kakaosaftzucker nicht als Zuckerart aufgeführt.
Das war sehr geschickt konstruiert. Ein Hoch auf die PR-Frau, die das erfunden hat. Das ist wirklich eingeschlagen. Es gibt immer wieder mal gute Kniffe, aber diese Wirkung ist wirklich außergewöhnlich.

Gerade, wenn man bedenkt, dass von der Cacao-y-Nada wirklich nur 2300 Stück verkauft wurden. Kann man denn solch eine PR öfter machen oder wird das der Marke dann gefährlich?
Ich glaube, das wird eine recht einmalige Aktion bleiben. Das ist anders als zum Beispiel 1984 Benetton, die Schockwerbung machten und das dann immer weiter steigerte. Das Serialitätsprinzip war von Oliviero Toscani ja von vorn herein so gedacht. Mich würde wundern, wenn Ritter Sport eine weitere Schokolade mit solch einer Aktion einführt.

Ritter Sport steht eigentlich für die gute Schokolade. Dieses Markenimage greift das Unternehmen freiwillig selbst an, wenn es behauptet, seine Schokolade sei gar keine Schokolade. Schadet das dem Image?
Sie haben Recht – Marken sind immer traditionsgebunden, und Ritter Sport wird als Familienmarke wahrgenommen. Aber Marken sind ja auch ein evolutionäres Konzept. Sie müssen sich dem Zeitgeschmack anpassen und auch Zeitgeist-Elemente integrieren. Das machen die meisten, außer vielleicht Barbour-Jacken oder Scotch-Whisky, die wahrhaft zeitlos sind. Wie gerade Gillette, die den Gillette-Mann neu erfanden und dabei einen Hipster mit Bart im Barber-Shop zeigen. Das hätte man einer langweiligen Marke wie Gillette vorher nicht zugetraut. Eine Marke wie Coca-Cola schafft es seit 150 Jahren, alle neuen Trends zu schlucken und für sich in Dienst zu nehmen. Ritter Sport tut sicher gut daran, das neue Bedürfnis nach anderen Inhaltsstoffen zu bedienen.

Ritter Sport zeigt sich jetzt aber enttäuscht, dass die Medien die Nachhaltigkeit ihrer neuen Kreation gar nicht richtig aufgegriffen hätten – dabei ist das Fruchtfleisch der Kakaofrucht, aus der sie jetzt den Zucker gewinnen wollen, bislang immer weggeworfen worden. Mit diesem Thema hätten sie wohl keine Schlagzeile in der Bild-Zeitung gemacht, wären aber ihrer Marke treu geblieben.
Hätte man eigentlich den Nachhaltigkeitsgedanken nach vorne stellen wollen, dann hätte man das anders anfangen müssen. Diese Nachricht geht hinter dem Getöse ganz klar unter. Die eigentliche Kernbotschaft, die man mit der Marke hätte assoziieren können, wird sogar verschleiert. Das ist das Tragische, und lässt sich weder durch uns, noch durch eine andere Institution ahnden: Wenn man es wirklich ernst meint mit dem Thema Nachhaltigkeit, dann hat man bei diesem Produkt ganz klar eine Chance verpasst hat, die Verbraucher mitzunehmen.

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