Der weißhaarige Mann blickt starr nach vorn, als der Richter die Entscheidung verliest: Zwei Jahre auf Bewährung und eine Geldstrafe über 54.000 Euro lautet das Urteil für Anton Schlecker. Buhrufe tönen durch den vollbesetzten Gerichtssaal. „War ja klar“, ruft eine Frau und lässt keinen Zweifel daran, dass sie den früheren Drogeriekönig lieber im Gefängnis gesehen hätte. Schlecker zeigt keine Reaktion.
Seiner Tochter Meike Schlecker ist die Fassungslosigkeit dagegen anzumerken, obwohl sie mit dem Rücken zum Zuhörerraum sitzt: Zwei Jahre und acht Monate soll sie wegen Untreue, Insolvenzverschleppung, Bankrott und Beihilfe zum Bankrott ihres Vaters in Haft. Ihr Bruder Lars sogar noch einen Monat länger. So lautet das Urteil des Landgerichts Stuttgart am 27. November 2017 im wohl spektakulärsten Wirtschaftsstrafprozess des vergangenen Jahres.
Gnade für den Patriarchen, Härte für die Kinder? Für Prozessbeobachter wie Juristen warf die Entscheidung Fragen auf, zumal der Öffentlichkeit bisher verborgen blieb, was die Richter im Detail zu ihrem Urteil bewogen hatte. Die Verteidiger der Familie sperrten sich gegen die Weitergabe des schriftlichen Urteils, das die WirtschaftsWoche bei Gericht angefordert hatte – scheiterten damit jetzt aber juristisch. Die 141 Seiten umfassende Urteilsbegründung zeigt dezidiert, wie die Strafkammer das Verhalten der Familie vor und während der Pleite des Drogeriekonzerns strafrechtlich bewertete und welche Tatbestände den Schlecker-Kindern letztlich zum Verhängnis wurden. Vor allem zwei Punkte waren dabei entscheidend.
Zum einen waren die Richter davon überzeugt, dass das Drogerieunternehmen drastisch überhöhte Stundensätze an die Logistikfirma LDG zahlte, die Lars und Meike Schlecker privat gehörte. „Durch die überhöhten Stundensätze versprachen sie sich hohe eigene Gewinnausschüttungen“, heißt es in dem Urteil, das für die Kinder noch nicht rechtskräftig ist. Ihnen sei bekannt gewesen, dass dies eine „Möglichkeit war, unauffällig Vermögen“ zu übertragen.
Als noch gravierender bewerteten die Richter einen zweiten Vorgang, der wiederum mit der LDG zusammenhängt. Kurz vor dem Insolvenzantrag seines Drogerieimperiums ließ Anton Schlecker noch sieben Millionen Euro an die Logistikfirma seiner Kinder zahlen.
Die zogen das Geld noch am selben Tag ab. Jeweils 2.576.875 Euro flossen per Blitzüberweisung auf ihre Konten, deklariert als „Vorab-Gewinnausschüttung“. Der Rest ging an das Finanzamt. Dabei hatte die LDG längst Verluste gemacht und rutschte später ebenfalls in die Insolvenz.
„Ein Vermögensverlust großen Ausmaßes“
Laut dem Urteil handelt es sich bei der „Vorab-Gewinnausschüttung“ um einen besonders schweren Fall der Untreue. Durch die Straftat entstand „ein Vermögensverlust großen Ausmaßes“. Ziel der Schlecker-Kinder sei es gewesen, „diese Beträge bewusst beiseite zu schaffen“.
Strafverschärfend wertete das Gericht neben der Schadenshöhe auch das Timing. Die Überweisung nur wenige Tage vor der Insolvenz des Schlecker-Konzerns würde zeigen, dass die Motivation der Angeklagten „von besonders großer Geldgier geprägt war“, heißt es im Urteil.
Bei der Strafhöhe berücksichtigte die Kammer indes auch mildernde Umstände. Darunter vor allem millionenschwere freiwillige Zahlungen der Familie an den Insolvenzverwalter und damit an die geschädigten Gläubiger.
Noch während der Prozess lief, stockten die Schleckers ihre Zahlungen auf. Anton Schlecker, der selbst über keine Mittel verfügt, habe seine Ehefrau um den Betrag bitten müssen und einen großen Teil der entstandenen Schäden „nahezu vollständig“ wiedergutgemacht, befanden die Richter. Auch die Zahlungen von Lars und Meike Schlecker hätten „eine friedensstiftende Wirkung“ entfaltet, was in die Entscheidung ebenso einfloss wie die „hohe Medienwirksamkeit“ des Prozesses.
Das Medieninteresse dürfte wohl auch in Zukunft kaum abklingen. Während Anton Schlecker das Urteil angenommen hat, haben seine Kinder Revision eingelegt. Das Verfahren geht nun vor den Bundesgerichtshof.