Der vielleicht schwerste Gang steht Anton Schlecker noch bevor. 1869 Tage, nachdem er Insolvenz für sein Drogerie-Imperium anmeldete, muss er sich ab Montag vor Gericht verantworten.
In den fünf Jahren seit dem 23. Januar 2012 hat sich die Handelslandschaft von der Schlecker-Pleite erholt. Die Frage, ob sich der einstige Drogerie-König strafbar gemacht hat, ist jedoch offen. Und Gläubiger wie frühere Angestellte wollen endlich Klarheit.
Was wird den Angeklagten im Schlecker-Prozess vorgeworfen?
Vorsätzlicher Bankrott, falsche Versicherung an Eides statt, Untreue, Insolvenzverschleppung: Die Vorwürfe haben es in sich. Die 11. Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts in Stuttgart verhandelt ab Montag nicht nur gegen den Drogeriekönig. Auch seine Ehefrau Christa, die beiden Kinder Meike und Lars sowie zwei Wirtschaftsprüfer sind angeklagt.
Die Schlecker-Insolvenz in Zahlen
... Menschen kostete die Schlecker-Pleite den Job
... Mitarbeiter hatte Schlecker zu Bestzeiten
... Schlecker-Märkte gab es vor der Insolvenz im In- und Ausland
... Euro zahlte ein Hilfsfonds an Ex-Mitarbeiter
... Milliarde Euro forderten Gläubiger nach der Pleite
... Millionen Euro zahlte Anton Schleckers Familie an die Insolvenzverwaltung
Im Kern geht es darum: Der heute 72 Jahre alte Schlecker und seine Familienmitglieder sollen vor der Unternehmenspleite Millionen zur Seite geschafft und dem Zugriff der Gläubiger entzogen haben. Im Falle von Anton Schlecker geht es nach Angaben der Staatsanwaltschaft um vorsätzlichen Bankrott in 36 Fällen, bei seiner Frau Christa und seinen beiden Kindern Meike und Lars unter anderem um Beihilfe zum Bankrott.
Darüber hinaus soll Schlecker 2009 und 2010 den Zustand seines Konzerns im Jahresabschluss falsch dargestellt, unrichtige Angaben vor dem Insolvenzgericht gemacht und anschließend an Eides statt versichert haben. Die beiden mitangeklagten Wirtschaftsprüfer der Beratung Ernst & Young (EY) waren mit der Prüfung der Abschlüsse beauftragt. Sie sollen "die falsche Bilanzierung durch den Hauptangeschuldigten zwar erkannt, dessen ungeachtet aber in beiden Fällen attestiert haben, dass ihre Prüfung zu keinen Einwendungen geführt habe", heißt es von der Staatsanwaltschaft.
Ist es damit getan?
Eine Pleite dieser Größe kommt nicht ohne pikante Details aus. So spielen unter anderem eine Luxusreise für Tochter Meike Schlecker (58.000 Euro), großzügige Geldgeschenke für die Enkelkinder (800.000 Euro) sowie Beraterhonorare für Ehefrau Christa (71.000 Euro) eine Rolle, geht aus der 262-Seiten-starken Anklageschrift hervor.
Den größten Batzen macht ein anderer Posten aus: Die Ankläger werfen Anton Schlecker vor, er habe Geld unter anderem durch überteuerte Verträge mit dem Logistikunternehmen LDG an seine Kinder verschoben. Lars und Meike Schlecker waren Gesellschafter der LDG. Dabei geht es um einen Betrag von insgesamt rund 16 Millionen Euro, der nach Ansicht der Ermittler von Schlecker und Konzerntöchtern über mehrere Jahre hinweg zu viel an die LDG gezahlt worden sein soll.
Insgesamt sollen der Drogeriepleitier und seine Familie mehr als 26 Millionen Euro beiseite geschafft und dem Zugriff der Gläubiger entzogen haben, berichtet die WirtschaftsWoche vorab.
Wie argumentiert Schleckers Verteidigung?
Zu Detailfragen will Schleckers Anwalt Norbert Scharf vor Prozessbeginn nichts sagen: „Die mit der Anklage aufgeworfenen Fragen betreffen einen umfangreichen, komplexen und rechtlich schwer einzuordnenden Sachverhalt aus der Historie der Firma Schlecker.“ Voreilige Festlegungen würden sich daher verbieten. Vor Gericht dürfte allerdings eine Rolle spielen, dass die Schlecker-Familie 2013 durch die Zahlung von 10,1 Millionen Euro an den Insolvenzverwalter versucht hat, den Schaden für die Gläubiger wiedergutzumachen.
Was entscheidet über Schleckers Schicksal?
Das Timing. Im Zentrum des Prozesses wird diese Frage stehen: Wann drohte die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens? War tatsächlich erst Anfang 2012 klar, dass das Unternehmen seine Rechnungen nicht mehr würde bezahlen können? Oder stand das bereits Monate, wenn nicht Jahre früher fest, wie die Staatsanwaltschaft behauptet. Demnach drohte Schlecker bereits Ende 2009 die Zahlungsunfähigkeit.
Schlecker-Prozess: „Die Höchststrafe liegt bei zehn Jahren Haft”
Die Sichtweise, ab wann das Unternehmen nicht mehr zu retten war, hat Einfluss darauf, ob die verschiedenen Vermögensübertragungen legal oder illegal waren. In ihrer aktuellen Ausgabe zeigt die WirtschaftsWoche, wie sich der Konzern über Jahre Schritt für Schritt dem Untergang näherte. Bis wann Anton Schlecker selbst geglaubt hat, dass sein Reich überleben würde, ist unklar.
Natürlich spielen auch Auslegungsfragen eine Rolle. Beispiel Logistiker LDG: Mit Sicherheit wird die Frage, ob die Preise, die Schlecker seinen Kindern zahlte, zu hoch waren, von Anklage und Verteidigung ganz anders bewertet werden. Fraglich ist auch, inwieweit Meike und Lars Schlecker in die Geschäfte der LDG involviert waren. Offiziell waren sie nur Gesellschafter, nicht aber Geschäftsführer. Zudem muss die Staatsanwaltschaft nachweisen, dass die Kinder über die Lage des väterlichen Konzerns im Detail informiert waren. Auch Wissensunterschiede und ein unterschiedlich starkes Engagement von Meike und Lars Schlecker könnten zum Thema werden.
Führende Drogeriemarktketten
Budnikowsky
Budnikowsky verfügte 2015 über ein Netz von 182 Filialen. Der Umsatz betrug 474 Millionen Euro.
Quelle: TradeDimensions; LZ; TradeDimensions; Statista
Stand: 10/2015
Müller
Müller ist die Nummer drei unter den Drogeriemärkten in Deutschland. In Deutschland setzte Müller 2015 2844 Millionen Euro um. In 518 Filialen konnten Kunden Müller besuchen.
Rossmann
Rossmann verfügt über ein größeres Filialnetz als dm - in Deutschland ist die Kette mit 1973 Filialen präsent - im Umsatz hinkt Rossmann dm allerdings hinterher: 2015 lag dieser bei 5380 Millionen Euro.
DM
dm ist die Nummer eins der Drogeriemärkte in Deutschland. Zumindest, was den Umsatz angeht. 6400 Millionen Euro hat der Platzhirsch unter den Drogerien im Jahr 2015 umgesetzt. In Sachen Filialnetz muss dm sich allerdings Dauerkonkurrent Rossmann geschlagen geben. Der hat in Deutschland nämlich 1973 Filialen, dm nur 1741.
Wie läuft der Prozess ab?
Nach dem Auftakt am Montag werden neben Anklägern und Beschuldigten auch zahlreiche Zeugen und Sachverständige zu Wort kommen. So simpel die grundsätzliche Frage klingt, so kompliziert ist ihre Auslegung. Experten erwarten ein langes Verfahren. Vom 6. März bis 9. Oktober 2017 sind vorerst 26 Verhandlungstage angesetzt. Für eine schriftliche Urteilsbegründung noch im laufenden Jahr wird es knapp.
Den Vorsitz hat Richter Roderich Martis. Er verurteilte unter anderem den ehemaligen Finanz-Chef von Porsche, Holger Härter, wegen Kreditbetrugs zu 630.000 Euro Geldstrafe.
Was droht den Angeklagten?
Die Strafe für Anton Schlecker könnte empfindlich ausfallen. „Die Höchststrafe für einen besonders schweren Fall des Bankrotts liegt bei zehn Jahren Haft”, sagt der Düsseldorfer Insolvenzexperte Volker Hees von der Kanzlei Hoffmann Liebs Fritsch & Partner. Strafen bis zu zwei Jahren können zur Bewährung ausgesetzt werden. “Bei einem Urteil werden die Richter die Verfahrensdauer, aber auch schadenswiedergutmachende Zahlungen an den Insolvenzverwalter berücksichtigen”, sagt Hees. Zudem sei es für das Strafmaß entscheidend, “ob das Bankrottdelikt vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde.“
Wie steht es um Anton Schlecker?
Der 72-Jährige scheut die Öffentlichkeit. Schlecker lebt zurückgezogen in seiner Villa in seiner Heimatstadt Ehingen nahe Ulm. Weder die Edel-Immobilie noch der Porsche, in dem der frühere Drogerie-König noch immer spazieren fährt, gehören ihm selbst. Sie sind Eigentum seiner Familie. Anton Schlecker ist wie sein Unternehmen pleite.
Er führte seinen Konzern als Einzelkaufmann und haftete dadurch mit seinem Vermögen für alle Schulden der Drogeriekette. Die könnte der Pleitier schon im kommenden Jahr wieder los sein. „Spielen die Gläubiger mit, wäre Herr Schlecker 2018 wieder schuldenfrei“, sagte Schleckers Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz der WirtschaftsWoche.
Aber auch das ist nicht sicher. „Der Prozess könnte Einfluss darauf haben, ob Anton Schlecker von seinen Schulden befreit wird“, sagt Insolvenzexperte Hees.
"Schlecker wird nicht unbedingt mit einem erfolgreichen Geschäftsmodell in Verbindung gebracht"
Was ist vom Drogerie-Giganten Schlecker heute übrig?
Wenig. "In Deutschland sind alle Schlecker-Filialen geschlossen, die Immobilien des Konzerns wurden großteils verkauft", sagt Insolvenzverwalter Geiwitz im Interview. Einige Schlecker-Eigenmarken werden von ehemaligen Konkurrenten genutzt. Die Schlecker-Filialen im Ausland existieren unter anderem Namen.
Die Marke Schlecker ist übrigens zu haben, erfreut sich aber keiner besonderen Beliebtheit. Geiwitz: "Der Name Schlecker wird nicht unbedingt mit einem erfolgreichen Geschäftsmodell in Verbindung gebracht."
Welchen Einfluss hat der Prozess auf das Insolvenzverfahren?
Zunächst einmal keinen. Die Forderungen der Gläubiger betragen rund eine Milliarde Euro. Falls es vor Gericht neue Erkenntnisse gibt, könnte das zwar durchaus zu neuen Ansprüchen führen. "Aber aktuell ist das reine Theorie", so Geiwitz.
Der Insolvenzverwalter bemüht sich deshalb, über Schadenersatzklagen von Lieferanten weiteres Geld einzutreiben, das dann in die Insolvenzmasse fließt. Die Forderungen belaufen sich "auf rund 335 Millionen Euro ohne Zinsen".
Abgeschlossen wird das Schlecker-Insolvenzverfahren wohl erst in vier oder fünf Jahren.
Was führte zur Schlecker-Pleite?
Einst galt Schlecker als deutsche Erfolgsgeschichte. Nach der Eröffnung der ersten Filiale in Ulm 1975 baute Anton Schlecker Stück für Stück ein wahres Imperium auf - europaweit. Im Rekordjahr 1999 brachten die rund 11.000 Filialen 300 Millionen Euro Gewinn ein.
Doch die Schleckers wollten es schnell und billig. Die Läden waren altbacken, die Produkte preiswert. Die Konkurrenten dm und Rossmann wuchsen zwar deutlich langsamer, setzten aber auf gute Lagen und ein größeres Sortiment. Langfristig war das die bessere Strategie.
Schlecker trieb die Expansion auch nach der Jahrtausendwende voran, in der Spitze gehörten 14.000 Drogerien und andere Märkte im In- und Ausland zur Kette. Doch die Umsätze stagnierten, die Kunden blieben immer häufiger fern. Schlecker begann mit Filialschließungen. Aus ersten Auslandsmärkten wie Dänemark, den Niederlanden und Ungarn verabschiedete sich die Kette ganz. Allein 2010 verlor Schlecker europaweit jeden vierten Kunden. Der Umsatz brach ein, die Verluste stiegen rasant. Am Ende des Geschäftsjahres 2011 stand ein Minus von 230 Million Euro.
Kurz vor dem Ende übernahmen Anton Schleckers Kinder, Lars und Meike, mehr Verantwortung, sie versuchten einen Strategiewechsel und gaben sich kämpferisch. "Man liegt im Spiel auch mal 1:0 hinten", sagte Meike Schlecker der WirtschaftsWoche im Jahr 2011.
Die Familie verlor das Spiel und tausende Menschen ihren Job.
Was waren die Folgen der Schlecker-Pleite?
Rund 25.000 Mitarbeiter verloren ihren Job. Die Sorge um die „Schlecker-Frauen“ bestimmte Schlagzeilen und die Reden der Politiker.
Die Lücken im Netz der Drogerieketten waren hingegen schnell gefüllt. Dm, Rossmann und Budnikowsky rückten nach – und teilten das Gros der Kunden unter sich auf. Aber auch Lebensmittelhändler und Discounter nutzten die Chance, und erweiterten ihr Sortiment um Drogerie-Artikel.
Ruhig ist es in der Branche nicht geworden, nachdem die Überreste verteilt sind, wird der Wettbewerb härter. Zuletzt sorgte der schleichende Niedergang der Kette "Ihr Platz" für Schlagzeilen. Sie ist in den vergangenen vier Jahren von 70 auf gerade einmal 15 Filialen geschrumpft.
Bis zur Pleite gehörte auch "Ihr Platz" zum Schlecker-Imperium.