Schweizer Online-Handel Wie sich Amazon an den Eidgenossen die Zähne ausbeißt

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Amazons Gegner: Steuer, Wettbewerber, Vielsprachigkeit

Die Schweizer Kunden wie Lanz haben nicht selten deswegen ein Postfach beispielsweise in Weil am Rhein oder beauftragen einen Dienstleister damit, die bei internationalen Versendern bestellten Waren bis vor die Tür zu bringen. Es hat sich eine in Europa einzigartige Dienstleistungsindustrie mit Unternehmen wie „meineinkauf.ch“ entwickelt, in dem „durch Zoll(formalitäts)hürden geschützten Markt“, wie ihn in die Credit Suisse in ihrem Retail Report bezeichnet.

Amazon selbst äußert sich zum eigenen Abschneiden nicht. Das Abkommen mit der Schweizer Post bewertet das Unternehmen positiv: „Wir freuen uns über die gute Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post, weil sie für Kunden in der Schweiz Online-Bestellungen bequemer macht.“

Noch bequemer ist es allerdings für Schweizer, gleich bei einem Online-Händler aus der Schweiz zu bestellen. Und die haben sich in den vergangenen Jahren erfolgreich etabliert. Sie heißen brack.ch, galaxus oder LeShop und auch die Coop Genossenschaft mischte mit einem Jahresumsatz von 212 Millionen Franken im Onlinehandel in der Schweiz mit.

Der in Summe kleine Markt für den Versand von Lebensmitteln ist ebenfalls bereits besetzt und wird dominiert von Coop und Migros. Letztere Handelskette, deren Geschäfte zum Stadtbild jeder Schweizer Ortschaft gehören wie Kirschwasser zum Käsefondue, ist auch der Treiber hinter dem Erfolg von Digitec Galaxus. 70 Prozent des Unternehmens gehören der Migros, das Unternehmen verkauft technische Geräte von Mobiltelefonen bis Tintenpatronen auf digitec.ch, die Schwester galaxus.ch deckt ein Sortiment von Haushalt, Wohnen, Spielwaren, Tierbedarf, Erotik bis Uhren + Schmuck ab. Und das erfolgreich. Mehr als die Hälfte aller Online-Umsätze in der Heimelektronik fällt nach Schätzungen der Credit Suisse auf die drei Händler Digitec (Migros), Microspot (Coop)und brack.ch (Competec-Gruppe).

„Man muss erfolgreichen Schweizer Online-Händlern, wie Digitec Galaxus oder Brack.ch, zugutehalten, dass sie sich auf diesen Schutz durch die Steuergesätze nie verlassen haben, sondern sich kontinuierlich weiterentwickeln und innovieren“, sagt Alexandra Scherrer von Carpathia.

Galaxus ist sich dank seiner Software und seiner Community, die Produkte bespricht, seiner Sache so sicher, dass das Unternehmen inzwischen seinerseits expandiert und seit kurzem unter galaxus.de ein eingeschränktes Programm für deutsche Kunden anbietet. „Damit beweist Galaxus, dass sie sich vor Amazon nicht fürchten“, sagt Scherrer.

Überall Fronten

Der deutsche Anbieter Zalando wiederum hat schon vor Jahren erfolgreich seine Pflöcke eingerammt und konnte seine Position als Marktführer mit einem von der Credit Suisse geschätzten Umsatz von rund 800 Millionen Schweizer Franken festigen. Auch die deutsche Otto Group, die bereits mit einzelnen Töchtern in der Schweiz aktiv ist, wird mit dem Stichtag 1. Juli 2019 ihren Online-Shop unter dem Namen otto-shop.ch eröffnen – nach einem längeren Rechtsstreit um die Namensrechte in der Schweiz.

Es mag für Amazon ein schwacher Trost sein, dass auch die deutschen Lebensmittel-Discounter Aldi und Lidl in der Schweiz nicht so vorherrschen wie in ihren Heimatmärkten. Die Markführerschaft hat dort Denner. Amazon habe „kein leichtes Spiel“, wie die Autoren der Studie der Credit Suisse schreiben.

Die Credit-Suisse-Experten sehen ausgerechnet in dem Umstand, dass die Schweizer Amazon bereits – wenn auch mühselig – nutzen, einen Grund dafür, dass sich der Online-Händler auch in Zukunft schwer tun wird von Davos bis Lausanne. „Der Markteintritt Amazons stellt also keinen urplötzlichen Paradigmenwechsel dar, sondern findet bereits seit Jahren schleichend statt.“

Die durch die Gesetze und Mehrsprachigkeit besondere Situation der Schweiz haben Amazon in seinem Wachstum in der Schweiz im Vergleich zum restlichen Europa ausgebremst. Und nun ist der Markt bereits belegt von Schweizer Anbietern. „In den USA, Großbritannien und Deutschland konnte sich Amazon diesen Vorteil in den 90er-Jahren einfach verschaffen, da es de facto keine namhafte Konkurrenz gab. In der Schweiz sieht die Situation völlig anders aus, zumal zwischen der Gründung von Amazon in den USA und dem offiziellen (Teil-)Markteintritt in der Schweiz 24 Jahre vergangen sind“, heißt es im Retail Report 2019.

Viele Kunden wie Martin Lanz haben sich entsprechend schon lange mit der Situation arrangiert und ihr Kaufverhalten angepasst. Auch wenn das beinhaltet, öfter als vielleicht geplant die Schwiegereltern zu besuchen.

*Name von der Redaktion geändert

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