Schweizer Online-Handel Wie sich Amazon an den Eidgenossen die Zähne ausbeißt

Amazon Schweiz: Keine großen Marktanteile Quelle: Marcel Stahn

Auf der Landkarte ist die Schweiz für Amazon nur halb erobertes Gebiet. Der Online-Händler müht sich, nimmt Niederlagen hin und wird bei Eidgenossen wohl dennoch nie die Dominanz erzielen wie in den Nachbarländern.

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Martin Lanz* besucht gerne seine Schwiegereltern. Der Baseler ist mit seinen vier Kindern und dem zeitintensiven Hobby Marathonsport zwar gut ausgelastet, aber Besuche dort sind ihm wichtig. „In der Schweiz können wir viele Sachen bei Amazon nicht bestellen. Dann lasse ich sie zu den Eltern meiner Frau senden, die in Frankreich wohnen und hole sie dort ab“, sagt Lanz.

Lanz muss man sich in einer Welt des Online-Handels, die auf Kaufen zu jeder Zeit an jedem Ort ausgelegt ist, als glücklichen Schweizer Kunden vorstellen. Denn er wohnt grenznah und kann die bestellten Produkte entweder bei seinen Schwiegereltern abholen oder in einem Postfach in Weil am Rhein. Die sogenannte kritische letzte Meile legt dann notfalls Lanz statt des Paketboten selbst zurück.

Aus der Sicht des Giganten Amazon muss die Schweiz wie eine Festung wirken. Umgeben von eroberten Märkten, in denen der Online-Händler erfolgreich den Vertriebskanal Internet dominiert, trotzt die Schweiz den verschiedenen Angriffen des Konzerns.

Dabei verkauft Amazon schon lange in der Schweiz. Aber es ist mühselig und teuer. Und nicht direkt. All die Versprechen der Same-Day-Delivery, der Zügigkeit dank hoch technisierter Fulfillment-Center, den Prime-Angeboten, sie scheitern an den „helvetischen Eigenheiten“, wie es die Credit Suisse in ihrem Retail Report 2019 nennt.

Jüngstes Beispiel ist die „Lex Amazon“, wie einige Juristen eine neue Steuerregelung als Teil des Mehrwertsteuersystems nennen. Sie besagt, dass nicht-schweizerische Händler auch bei Kleinsendungen unter 65 Franken steuerpflichtig sind. Seit dem 26. Dezember 2018 können Schweizer deswegen nicht mehr auf der US-Seite amazon.com bestellen. Sie müssen auf den Webseiten in Frankreich oder Deutschland ordern. Lediglich Apps und Kindle-Bücher können noch über die US-Seite in der Schweiz geordert werden. Unangenehmer Effekt für Amazon wie auch Kunden: Gutscheine für einen Einkauf bei amazon.com verloren damit ihre Gültigkeit. Wenn eine Einkaufsmöglichkeit immer weiter eingeschränkt wird, dann schlägt sich das auch in der Kundenunzufriedenheit nieder.

Dabei hätte es auch anders kommen können. Die Einzelhändler zitterten und klapperten mit den Zähnen. Was würde passieren, wenn Jeff Bezos' Truppen ihre Augen auf die acht Millionen potenziellen Kunden zwischen Basel und Lugano werfen?

„Amazon macht ernst in der Schweiz – Nach dem Vorbild von Zalando hat die Post mit Amazon einen Vertrag abgeschlossen. Jetzt wird der Schweizer Markt aufgerollt“, schrieb die schweizerische Handelszeitung noch im März. „Amazon kommt in die Schweiz - Sind sie bereit?“ heißt es in einem Banner in einem Newsletter der Unternehmensberatung Carpathia, die sich mit den Handelsthemen in der Schweiz beschäftigt. Die Schweizer Händler kannten die Erfolgsgeschichten Amazons aus den europäischen Märkten und die Folgen, die das für den Einzelhandel stationär wie online hatte.

Die Frage muss aber eher lauten: „War Amazon bereit für die Schweiz?“ Und wird der Markt wirklich aufgerollt?

Das Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz kommentierte die seit langem geplante „Lex Amazon“ mit der Einschätzung: „Amazon konnte oder wollte offenbar keine Lösung finden.“ Vielleicht auch, weil sich der Markt für den Onlinehändler kaum lohnt, angesichts der Besonderheiten des Schweizer Marktes, Logistikproblemen und Zollauflagen.

Die umsatzstärksten Onlineshops in Deutschland

Alexandra Scherrer von der Beratung Carpathia sagt: „Aus unserer Sicht ist es nicht erstaunlich, dass Amazon in der Schweiz weniger dominant ist als beispielsweise in Deutschland oder Österreich.“ Das bleibt auch so, obwohl der Umsatz im E-Commerce von Amazon in der Schweiz der größte aller Händler ist. Laut einer Untersuchung von Statista und dem Kölner EHI Retail Institute, machte amazon.de 2017 einen Umsatz von 431 Millionen Franken - und führte damit das Ranking an. Die Schweizer Verbraucher hätten, so Scherrer, seit jeher einen Teil der angebotenen Waren von Amazons Webseiten in Frankreich oder Italien bestellt. Allerdings erschwerte seit jeher die Zollabfertigung eine rasche Auslieferung.

Helvetische Eigenheiten

Erst 2018 konnten die Schweizer Post und Amazon ein Abkommen umsetzen, wonach der Logistiker die Abwicklung und Auslieferung für Amazon übernimmt - wenn es denn Artikel sind, die Amazon selbst vertreibt. Waren aus dem Marketplace stehen den Schweizer Kunden auf diesem Wege nicht zur Verfügung. Ausgerechnet dort aber verzeichnet Amazon international großes Wachstum, wenngleich der Händler mit Eigenmarken immer mehr Warengruppen abdeckt.

*Name von der Redaktion geändert

Amazons Gegner: Steuer, Wettbewerber, Vielsprachigkeit

Die Schweizer Kunden wie Lanz haben nicht selten deswegen ein Postfach beispielsweise in Weil am Rhein oder beauftragen einen Dienstleister damit, die bei internationalen Versendern bestellten Waren bis vor die Tür zu bringen. Es hat sich eine in Europa einzigartige Dienstleistungsindustrie mit Unternehmen wie „meineinkauf.ch“ entwickelt, in dem „durch Zoll(formalitäts)hürden geschützten Markt“, wie ihn in die Credit Suisse in ihrem Retail Report bezeichnet.

Amazon selbst äußert sich zum eigenen Abschneiden nicht. Das Abkommen mit der Schweizer Post bewertet das Unternehmen positiv: „Wir freuen uns über die gute Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post, weil sie für Kunden in der Schweiz Online-Bestellungen bequemer macht.“

Noch bequemer ist es allerdings für Schweizer, gleich bei einem Online-Händler aus der Schweiz zu bestellen. Und die haben sich in den vergangenen Jahren erfolgreich etabliert. Sie heißen brack.ch, galaxus oder LeShop und auch die Coop Genossenschaft mischte mit einem Jahresumsatz von 212 Millionen Franken im Onlinehandel in der Schweiz mit.

Der in Summe kleine Markt für den Versand von Lebensmitteln ist ebenfalls bereits besetzt und wird dominiert von Coop und Migros. Letztere Handelskette, deren Geschäfte zum Stadtbild jeder Schweizer Ortschaft gehören wie Kirschwasser zum Käsefondue, ist auch der Treiber hinter dem Erfolg von Digitec Galaxus. 70 Prozent des Unternehmens gehören der Migros, das Unternehmen verkauft technische Geräte von Mobiltelefonen bis Tintenpatronen auf digitec.ch, die Schwester galaxus.ch deckt ein Sortiment von Haushalt, Wohnen, Spielwaren, Tierbedarf, Erotik bis Uhren + Schmuck ab. Und das erfolgreich. Mehr als die Hälfte aller Online-Umsätze in der Heimelektronik fällt nach Schätzungen der Credit Suisse auf die drei Händler Digitec (Migros), Microspot (Coop)und brack.ch (Competec-Gruppe).

„Man muss erfolgreichen Schweizer Online-Händlern, wie Digitec Galaxus oder Brack.ch, zugutehalten, dass sie sich auf diesen Schutz durch die Steuergesätze nie verlassen haben, sondern sich kontinuierlich weiterentwickeln und innovieren“, sagt Alexandra Scherrer von Carpathia.

Galaxus ist sich dank seiner Software und seiner Community, die Produkte bespricht, seiner Sache so sicher, dass das Unternehmen inzwischen seinerseits expandiert und seit kurzem unter galaxus.de ein eingeschränktes Programm für deutsche Kunden anbietet. „Damit beweist Galaxus, dass sie sich vor Amazon nicht fürchten“, sagt Scherrer.

Überall Fronten

Der deutsche Anbieter Zalando wiederum hat schon vor Jahren erfolgreich seine Pflöcke eingerammt und konnte seine Position als Marktführer mit einem von der Credit Suisse geschätzten Umsatz von rund 800 Millionen Schweizer Franken festigen. Auch die deutsche Otto Group, die bereits mit einzelnen Töchtern in der Schweiz aktiv ist, wird mit dem Stichtag 1. Juli 2019 ihren Online-Shop unter dem Namen otto-shop.ch eröffnen – nach einem längeren Rechtsstreit um die Namensrechte in der Schweiz.

Es mag für Amazon ein schwacher Trost sein, dass auch die deutschen Lebensmittel-Discounter Aldi und Lidl in der Schweiz nicht so vorherrschen wie in ihren Heimatmärkten. Die Markführerschaft hat dort Denner. Amazon habe „kein leichtes Spiel“, wie die Autoren der Studie der Credit Suisse schreiben.

Die Credit-Suisse-Experten sehen ausgerechnet in dem Umstand, dass die Schweizer Amazon bereits – wenn auch mühselig – nutzen, einen Grund dafür, dass sich der Online-Händler auch in Zukunft schwer tun wird von Davos bis Lausanne. „Der Markteintritt Amazons stellt also keinen urplötzlichen Paradigmenwechsel dar, sondern findet bereits seit Jahren schleichend statt.“

Die durch die Gesetze und Mehrsprachigkeit besondere Situation der Schweiz haben Amazon in seinem Wachstum in der Schweiz im Vergleich zum restlichen Europa ausgebremst. Und nun ist der Markt bereits belegt von Schweizer Anbietern. „In den USA, Großbritannien und Deutschland konnte sich Amazon diesen Vorteil in den 90er-Jahren einfach verschaffen, da es de facto keine namhafte Konkurrenz gab. In der Schweiz sieht die Situation völlig anders aus, zumal zwischen der Gründung von Amazon in den USA und dem offiziellen (Teil-)Markteintritt in der Schweiz 24 Jahre vergangen sind“, heißt es im Retail Report 2019.

Viele Kunden wie Martin Lanz haben sich entsprechend schon lange mit der Situation arrangiert und ihr Kaufverhalten angepasst. Auch wenn das beinhaltet, öfter als vielleicht geplant die Schwiegereltern zu besuchen.

*Name von der Redaktion geändert

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