Selbstbedienungskassen Warum SB-Kassen noch kein Erfolg sind

Zeit und Kosten sollen sie sparen, zufriedene Kunden bringen: Selbstbedienungskassen sind im Ausland ein Erfolg, in Deutschland dagegen kaum im Einsatz. Was das über den deutschen Handel aussagt.

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Menschen stehen an der Kasse in der Schlange

Etwas verzweifelt ist sie schon. Wieder und wieder hält die Kundin den Scanner auf den Barcode am Billy-Regal. Wieder und wieder passiert rein gar nichts. "Langsamer", sagt die herbeigeeilte Ikea-Mitarbeiterin in einem Ton, der deutlich macht, dass es nicht der erste Problemfall an diesem Tag ist. Endlich der erlösende Piepston: Das Regal ist im Kassensystem. Jetzt noch schnell mit der EC-Karte bezahlen und der Einkauf ist beendet. Die Kundin wirkt erleichtert.

Seit etwa neun Jahren setzt Ikea in Deutschland auf sogenannte Selbstbedienungskassen. An ihnen kümmern sich die Kunden selbst um Warenerfassung und Bezahlung. Service-Kräfte greifen nur ein, wenn es Probleme gibt.

Hauptgründe für die Nutzung von Selbstbedienungskassen

Mit dem flächendeckenden Einsatz von SB-Kassen ist das schwedische Möbelhaus in Deutschland allein auf weiter Flur. Große Lebensmittelhändler wie Real und Rewe haben nur ein paar Geschäfte damit ausgestattet. Insgesamt werden in Deutschland gerade einmal 1000 dieser Kassen in rund 180 Läden eingesetzt. Zum Vergleich: herkömmliche Kassen gibt es mehr als eine Million. "Im internationalen Vergleich ist Deutschland hintendran", sagt Michael Gerling, Geschäftsführer des Handelsinstitus EHI. In Ländern wie den USA, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden sind die Geräte bereits weit verbreitet.

Potenzial der SB-Kassen

Dass die Do-it-Yourself-Kassen in Deutschland kaum zum Einsatz kommen, hat zumindest mit den Kunden wenig zu tun, glaubt Claudia Knoblauch von TNS Infratest. Im Auftrag von EHI und verschiedener Produzenten von Self-Checkout-Systemen hat sie eine repräsentative Studie zur Verbraucherakzeptanz erstellt und bescheinigt den SB-Kassen ein “schlummerndes Potenzial”.

Welche Zahlungsmittel Europäer bevorzugen
Das Geschäft mit dem Versenden von Geld über Smartphone-Apps lockt jetzt auch etablierte Banken an. Die Deutsche Kreditbank (DKB) kooperiert dafür mit dem Startup Cringle. Pro Monat kann ein Nutzer bis zu 100 Euro über die Cringle-App verschicken, abgewickelt wird die Zahlung per Lastschrift von der DKB. Pro Transaktion werden 20 Cent fällig, zum Start wurde die Gebühr auf 10 Cent gekappt. Das neue Angebot trifft bereits auf Wettbewerb im Markt. So bietet der Online-Bezahldienst PayPal seit Juli das Versenden von Geld über seine Smartphone-App in Deutschland an. Für Kunden, die ihren PayPal-Account mit einem deutschen Bankkonto verknüpft haben, ist das Angebot kostenlos, bei Kreditkarten wird eine Gebühr fällig. In vielen europäischen Ländern tun sich moderne Bezahlsysteme jedoch noch so schwer... Quelle: dpa
ÖsterreichOhne Bargeld geht in Österreich gar nichts. 86 Prozent bezahlen an der Kasse in bar, 12 Prozent mit EC-Karte. Eine Kreditkarte kommt nur in einem Prozent der Fälle zum Einsatz. Auf sonstige Alternativen wie Schecks, PayPal, Lastschrifteinzug oder Ähnliches entfällt insgesamt nochmal ein Prozent.Quelle: Deutsche Bundesbank; Europäische Kommission; Deloitte (Stand: 2014) Quelle: dpa
PolenIn Polen werden 80 Prozent der Bezahlvorgänge an der Kasse bar beglichen. Eine EC-Karte nutzen –ähnlich wie in Österreich – 13 Prozent der Bevölkerung. Immerhin werden auch drei Prozent der Bezahlvorgänge durch Kreditkarten abgewickelt. Auf die alternativen Zahlungsmittel entfallen vier Prozent. Quelle: dpa
DeutschlandAuch die Deutschen haben ihr Geld beim bezahlen lieber in fester Form in der Hand – in 79 Prozent der Fälle wird bar bezahlt. Zwölf Prozent der Käufe werden mit der EC-Karte beglichen, weitere sechs Prozent per mit Lastschrifteinzug, Scheck und anderen alternativen Zahlungsmethoden. Quelle: dpa
ItalienZwar ist Bargeld mit 69 Prozent noch immer das beliebteste Zahlungsmittel in Italien, aber auf Platz zwei kommen auch schon alternative Zahlungsmittel mit 17 Prozent. So sind Schecks, Kundenkarten, PayPal und andere Alternativen zusammen genommen bei den Italienern beliebter als die EC-Karte mit neun Prozent und die Kreditkarte mit sechs Prozent. Quelle: dpa
Sagrada Familia Quelle: AP
London Tower Bridge Quelle: dpa

Ein ziemlich großes sogar. Denn trotz der geringen Verbreitung kennt demnach bereits mehr als die Hälfte der Deutschen die SB-Kassen. Jeder Fünfte nutzt sie zumindest manchmal - und das offenbar gern. Größter Motivator sich selbst abzukassieren: "Passives Schlange stehen nervt die Kunden", sagt Knoblauch. Statt in Reih und Glied zu warten, mühen sich die Kunden lieber selbst ab. Und dass, obwohl ein "erfahrener Kassierer objektiv immer schneller ist als ein Kunde", wie EHI-Geschäftsführer Gerling erklärt.

Für gut zwei Drittel ist das selbstbestimmte Tempo beim Scan- und Bezahlvorgang laut EHI-Studie motivierend, denn an herkömmlichen Kassen fühlten sich Kunden durch das hohe Tempo der Kassiererinnen häufig unter Druck gesetzt. Ihnen würde aus demselben Grund auch die Kontrolle der Preise erschwert. Anderen Kunden bereite das Ausprobieren der neuen Geräte schlicht Freude.

Hauptgründe für die Nichtnutzung von Selbstbedienungskassen

Die Hersteller der Geräte preisen weitere Vorzüge an. “Self-Checkout-Systeme fördern die Effizienz der Läden enorm”, verspricht etwa Michael Bayer, Chef der Handelsparte des weltweiten Kassen-Herstellers NCR. Statt bei großem Andrang ständig neue Kassen besetzen zu müssen, könnten sich die Angestellten auf andere Aufgaben konzentrieren wie etwa das Einräumen von Regalen oder die Beratung von Kunden.

Lieber Schlange stehen lassen, als Technik nutzen

Trotz der Vorzüge herrsche unter deutschen Händlern noch immer eine große Unsicherheit, sagt EHI-Experte Gerling. “Viele Unternehmen testen die Kassen, trauen sich aber nicht, die Pilotphase zu verlassen.” Doch für das Zögern gibt es gute Gründe.

Die Kosten

“Die Innovationskosten sind für den Einzelhandel ein deutlicher Faktor”, erklärt EHI-Experte Frank Horst. Nicht nur, dass die Self-Checkout-Systeme in der Anschaffung viel Geld verschlingen. Sie müssen auch an das bestehende Warensystem angebunden werden. Die Mitarbeiter benötigen zusätzliche Schulungen. Wer die SB-Kassen nicht nur einführt, um seine Kunden glücklich zu machen, sondern auch, um schnell Gewinne zu erzielen, wird kaum umhinkommen, Kosten einzusparen. Dafür gibt es offenbar nur einen schnellen Weg:  Innerhalb von drei bis vier Jahren könne sich die Anschaffung der neuen Kassen amortisieren, heißt es in der Branche - wenn Mitarbeiter entlassen werden.

Die Omnichannel-Trends im Handel

Die Kunden

Gegen den Austausch von Mensch gegen Maschine läuft aber nicht nur die Gewerkschaft Verdi bereits im Vorfeld Sturm. Auch einige Kunden gaben in der TNS-Umfrage explizit an, die Self-Checkout-Systeme zu meiden, um keine Arbeitsplätze zu gefährden. Vielen fühlen sich zudem von der Bedienung der Geräte überfordert oder würden den menschlichen Kontakt beim Bezahlen vermissen.

Da kann EHI-Chef Gerling noch so sehr betonen, bei den SB-Kassen handele es sich nur um ein “additives Angebot”, wegen dem kein Händler vollständig auf Kassenpersonal verzichten würde. In den Augen mancher Kunden geht mit der Einführung ein Stück persönliche Betreuung verloren.

Die Alternativen

Nicht nur die Hersteller von Selbstbedienungskassen versprechen den Händlern derzeit, die Läden fit für die Zukunft zu machen. Mobile Bezahlsysteme, Shoppingapps, digitale Schaufenster und virtuelle Spiegel: Bei der Waffenwahl im Kampf gegen die Online-Händler sind die Möglichkeiten derzeit vielfältig, die Versprechen groß, die Erfahrungswerte aber gleich Null.

Weil sie nicht wissen, welche Investition sich wirklich lohnt, haben die Händler jahrelang gezögert. Derzeit investieren die meisten, um die Versäumnisse der Vergangenheit auszugleichen. Sie verzahnen die Angebote ihrer Ladengeschäfte mit den eigenen Onlineshops und nutzen Shoppingapps um näher am Kunden zu sein. Bei den meisten aktuellen Omnichannel-Strategien spielen SB-Kassen bislang keine Rolle.

Die Aussichten

Das weiß auch NCR-Manager Michael Bayer. Sein Unternehmen hat sich von der reinen Kassenproduktion längst verabschiedet, setzt zusätzlich auch auf neue Softwareangebote für Händler, entwickelt eigene Apps. Vom künftigen Erfolg der SB-Kassen in Deutschland ist Bayer aber überzeugt. “Wenn der erste große Händler mit der Einführung beginnt, müssen die anderen nachziehen”, ist sich Bayer sicher. Sonst würden sie bei der Effizienz und im Bereich Innovationen zurückfallen. Das hätte schon die Entwicklung im Ausland gezeigt.

Doch ein Blick über die Grenzen hinweg beweist auch: Ein Allheilmittel ist die technische Aufrüstung nicht. In Großbritannien, wo Handelsriese Tesco für seine Vorreiterrolle bei der Aufrüstung seiner Läden gefeiert wird, rollen gerade Lidl und Aldi den Markt auf. Mit ihrer deutschen Discounter-Strategie ohne viel Schnickschnack.

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