
Ganz ehrlich: Das einzige Mal im Jahr, dass ich froh bin, Muslim zu sein, ist Weihnachten. Kein Stress, kein langweiliger Chill-out mit der buckligen Verwandtschaft. Nur Ruhe. Drei Tage nichts.
Ich habe dieses Fest noch nie verstanden. Ich weiß, es geht um Familie und Zusammensein, Geborgenheit und besinnungslose Besinnlichkeit, aber ich habe es noch nie erlebt, dass es nachher besser war als vorher. Im Gegenteil. Das fängt ja jetzt schon an. Advent, Advent ein Lichtlein brennt. Lauwarmen Glühwein auf dem noch laueren Weihnachtsmarkt, Geschenke hier, Gerichte da.
Zum Autor
Serdar Somuncu ist Kabarettist, Buchautor und Schauspieler. Der 48-Jährige tritt unter anderem regelmäßig in der ,,heute-show" des ZDF auf.
Von wegen Besinnlichkeit! Es geht doch vor allem um zweierlei: das florierende Geschäft und um gekünstelte Beschaulichkeit. Damit ich das nicht vergesse, hämmert die Werbung mir das dauerschleifenmäßig in die Birne: Die Leute sollen kaufen. Und zwar wie blöd. Den Schrott, den sie das ganze Jahr über schon kaufen. Nur halt jetzt als Geschenk verpackt. Und mit Anlass.
Werfen wir doch heute schon einen Blick in die Mitte des Januars, und wir können darauf wetten, dass nach dem Fest schon wieder vor dem Fest ist. What comes next? Die Weihnachtsdiät. Peter Klöppel gibt Ratschläge, wie man die Pfunde wieder los wird.
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Kommerzialisierung der Traditionen
Wir machen, was wir EZB-Präsident Mario Draghi mit Blick auf unser Geld vorwerfen und was dem doch nicht gelingt, umso perfektionierter mit unserem Gefühlsleben: Wir inflationieren einfach alles. Die heimelige Stimmung, das Beisammensein-Sollen, das Mitgefühl. Es gibt nichts, was man für sich behalten kann. Alles wird kollektiv zelebriert, zerredet, zertrampelt und vermarktet. Alle tun zur gleichen Zeit das Gleiche. Und nichts ist mehr einzigartig. Vielleicht will ich im Juni Weihnachten feiern. Vielleicht im März eine Gans verspeisen, aber die Kommerzialisierung unserer Tradition ist so weit fortgeschritten, dass sie nur dann Ausnahmen macht, wenn die Ausnahme selbst ein Verkaufsargument ist.
Die Dos and Dont‘s auf der Weihnachtsfeier
Der lockere Rahmen der Weihnachtsfeier ist perfekt geeignet, um den Chef mal etwas unbefangener kennenzulernen und eventuell ein paar gemeinsame Hobbys aufzudecken. Gegenseitiges Interesse tut der Stimmung nicht nur während der Feier gut, sondern reicht auch bis in den Büroalltag hinein.
Quelle: Coach und Psychologin Irena Burkhard sowie Psychologe Reyk-Peter Klett
Wer sich den neuen Kollegen schnappt und mit allen anderen bekannt macht, kann davon auf verschiedenen Ebenen profitieren. Es vereinfacht nicht nur die Kommunikation im Team, sondern wird auch dem Chef auffallen und nimmt ihm eine Menge Arbeit ab.
Auf der Weihnachtsfeier kann endlich alles nachgeholt werden, was im Büroalltag oft keine Zeit findet. Dazu gehört zum Beispiel lockeres Plaudern und gemeinsames Anstoßen. Das schafft Nähe, stärkt den Teamgeist und beugt Missverständnissen bei der Arbeit vor.
Die eigene politische Meinung ist ein absolutes Tabu-Thema, denn auf der Weihnachtsfeier geht es darum, Spaß zu haben und den Teamgeist zu pushen. Auch private Probleme bleiben bitte Zuhause - sonst vergeht nicht nur einem selbst, sondern auch allen anderen die Feierlaune.
Eine Weihnachtsfeier bedeutet Lob und Anerkennung, die ruhig angenommen werden dürfen. Wer nicht erscheint, fällt negativ auf und zeigt Desinteresse am Unternehmen.
Klatsch und Tratsch gehören bei einer Weihnachtsfeier dazu und vertiefen die Beziehungen im Team. Aber nicht übertreiben - Lästereien sind fehl am Platz und stören den Bürofrieden.
Auch wenn die Weihnachtsfeier eine lockere Veranstaltung ist, handelt es sich dabei nach wie vor um einen Event vom Arbeitgeber. Frauen sollten genauso wenig ein zu freizügiges Outfit wählen , wie auch zu leger gekleidet erscheinen. Also weder die Jogginghose, noch das extrem kurze Minikleid. Ein Cocktailkleid darf es aber durchaus sein. Und auch Männer müssen nicht im Frack mit Fliege erscheinen, in Hemd und Sakko dagegen schon.
Stellen Sie sich mal vor, man würde Weihnachten wirklich in sich gehen und nutzen für eine Auseinandersetzung mit sich und seinem seltsamen Verhalten. So eine Art Katharsis, in der man sein Jahr hinterfragt, umstellt und sich Vorsätze macht, die man dann im nächsten Jahr tatsächlich auch einhält.
Weihnachten ohne Geschenke und Gemeinschaftsfraß, ohne Klunker und Klingeling. Nur so. Als Denkdiät? Als ganze individuelle Gemeinschafts-Hype-Deflation.
Oh mein Gott.
Auch keine schöne Vorstellung. Also bleiben wir dabei: Weihnachten, das als Winterbrauchtums-Nächstenliebe-Ritual getarnte Fest der seelischen wie kulinarischen Völlerei. Instantspiritualität auf Kalenderblatt.
Alternativlos, offenbar. Bin ich froh, dass es nur ein Fest ist.