Natürlich versuchen auch die Wettbewerber, die Qualitätsstandards zu halten, schon um kostspielige und schlagzeilenträchtige Rückrufaktionen zu vermeiden. Doch hier kommt ein weiteres Kernmotiv des Aldi-Erfolgs zum Tragen. Während die Rivalen Tausende Artikel überwachen müssen, sind es bei Aldi deutlich weniger.
Wie Aldi groß wurde
Wer hatte eigentlich die Idee Aldi so zu gründen, wie wir es heute kennen? Es wird wohl nie endgültig zu klären sein. Aber viele Indizien deuten darauf hin, dass es eher Karl Albrecht war als sein Bruder Theo. Das soll aber nicht schmälern, welch wichtigen Beitrag auch Letzterer beitrug.
Der Krieg war aus. 1946 im zerbombten Essen-Schonnebeck begann die Erfolgsgeschichte zwischen Lebensmittelkartons und Krämerware. Das Brüderpaar Karl und Theo Albrecht erkannte die Chance, die die Phase der sozialen Umorientierung bot. Sie bauten den Tante-Emma-Laden der Eltern aus.
Karl und Theo Albrecht erkannten rasch, dass der Laden der Eltern ihnen beiden keine Zukunftsaussicht bot. Sie entdeckten die betriebswirtschaftliche Zauberformel der Zeit „Nachfrage versus Bedarfsdeckung“ für sich und schafften es, sie im Sinne des Kunden zu lösen.
Karl und Theo Albrecht lebten die Anforderungen der damaligen Zeit in perfekter Symbiose. Sie hatten weder äußerlich viel gemeinsam noch waren sie ähnlich gepolt. Theo überragte seinen Bruder um Kopfeslänge. Doch der „Kleinere“ war Vordenker und Impulsgeber. Ungeduldig, beredt, rastlos, bisweilen explosiv war Karl. Theo wirkte dagegen eher zurückhaltend, sogar zögerlich abwägend.
Die beiden Brüder waren in ihrer uniformen Arbeitsauffassung füreinander ein Glücksfall. Von vornherein waren die Aufgaben geteilt: Karl versah den Innen-, Theo den Außendienst. Sprich: Karl kümmerte sich um die schwierige Einkaufspolitik. Es war nicht einfach, die richtige Ware preiswert und in ausreichende Menge zu erhalten. Theo betreute die Verkaufsstellen sowie die Verwaltung und Buchhaltung.
1946 begann es mit dem kleinen Laden der Eltern. 1950 nannten die beiden Brüder eine Kette von 13 Läden inklusive Bedienungen ihr Eigen. Nun strukturierten sie ihre Läden nach dem Discountprinzip um. 1961 trennten sie ihre Geschäfte in Aldi Nord und Aldi Süd.
Zur moralischen Stabilität ihrer Konzerne trug maßgeblich die persönliche Lebensweise der Brüder bei. Beide waren im Auftreten zurückhaltend und lebten bescheiden. Sie waren nach alter Schule nach den Prinzipien Sparsamkeit und Kargheit erzogen.
Als einzigen „Luxus“ erlaubten sie sich ein eigenes Auto. Auf sein Golfschloss in Donaueschingen schickte Karl Albrecht seine Führungskräfte zum Entspannen. Die Brüder kannten keine Scheu vor ihrer kleinbürgerlichen Herkunft. Die Adresse Huestraße 89 in Essen-Schonnebeck wollten sie nie abstreifen. Sie waren stets praktizierende Katholiken und wollten in der Öffentlichkeit so wenig wie möglich wahrgenommen werden.
Theo Albrecht hatte eine Marotte: Er wollte jede Filiale sehen, bevor die zentrale Schreinerei an die Fertigung der Regale und Einrichtungsteile ging. Dabei kümmerte den Hobbyarchitekten die Delegation von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung nur bedingt. Es galt: In dubio pro Theo.
Es gab durchaus Spannungen zwischen dem quirligen Theo und dem abwägenden Karl Albrecht. Besonders deutlich wurde das beim ersten Schritt über die Grenzen Deutschlands. 1971 expandierte Aldi nach Österreich. Karl war es, der die Familie als erster international aufstellte. Heute firmiert Aldi Nord in Österreich übrigens unter dem Namen „Hofer“.
Verschwiegenheit war stets Trumpf im Hause Albrecht. Aldi lässt sich partout nicht in die Karten schauen. Die totale Verschleierung aller Kulissen ist institutionalisiert. So wenig undichte Stellen wie möglich, lautet die Devise.
Die Brüder gaben sich Maßregeln, die zu unverrückbaren internen Prinzipien wurden: Keine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Keine Firmensprecher. Keine Interviews im Radio oder Fernsehen. Keinerlei mondäner Lifestyle. Keine Lobbyarbeit. Keine Firmenjubiläen. Lückenlose Rückgabe von Werbegeschenken.
Die Zurückhaltung hatte einen guten Grund: Abgucker und Schmarotzer sollten keine Gelegenheit zur Einsicht in Interna haben. Die innovative Discount-Struktur war eine zarte Pflanze und schutzbedürftig. Das neue Konzept musste sich in Ruhe verfestigen. Erfahrungen waren Gold wert.
Aldis Verwaltungsrat ist ein frei schwebendes Organ. Gesellschaftsrechtlich ist es nirgendwo in den Statuten eingebunden. Seine Mitglieder haben freiberuflichen Status, sind aber dennoch die „Macher“: Der Verwaltungsrat ist das zentrale Machtorgan des Konzerns. Aldi steht seit jeher zu seinem Führungssystem, dass sich mit dem Wort Durchgriffs-Management am besten umschreiben lässt. Der Verwaltungsrat hat den Alleinführungsanspruch.
Aldi stellte stets besondere Anforderungen an seine Mitarbeiter und richtet seine Personalsuche darauf ab. Vorstellungsgespräche sind exzessiv angelegt, manchmal über mehrere Sitzungen. Man lotet die charakterlichen und sozialen Hintergründe des Bewerbers genau aus. Personalvermittlungen kommen nicht zum Zug.
Natürlich variiert das Anforderungsprofil je nach Stelle, aber es gibt gewisse Grundvorstellungen: Der Bewerber sollte unauffällig und zurückhaltend im Auftreten sein, seine Bekleidung schlicht und gediegen, seine Herkunft möglichst bodenständig, die Familienverhältnisse geordnet, Sparsamkeit wird sehr geschätzt wie auch Pflichtbewusstsein und Normalität hinsichtlich des Lebensprinzips.
Das Warenumschlagssystem von Aldi mit seinen schematisierten Abläufen erfordert erfahrene Praktiker. Es wird nicht vorrangig Kopfarbeit am Schreibtisch verlangt. Wer richtig aufsteigen wollte, hatte bei den Albrechts eine Ochsentour vor sich. Ein Akademikerstatus ist entbehrlich.
Für Aldi liegt das Geheimnis des langfristigen Erfolges im Zeitmanagement der Führungskräfte. Es gibt eine detaillierte Planungsphilosophie und strenge Normen nach dem Motto: Plan dich oder friss dich! Zudem hat Aldi ein umfangreiches Prämiengerüst. Bezirksleiter bekommen solche und vergeben wiederum welche an ihre Filialleiter. Einzig der Geschäftsführer bekommt keine Prämie.
Wer den Ansprüchen Aldis gerecht werden will, muss sie beherrschen: die Handbücher. Das gilt aber vor allem für die regionalen Geschäftsführer. Aldi Nord hat im Laufe der Jahre alles, was Firmeninterna angeht, in solchen Handbüchern fortgeschrieben. Da ist einiges Zusammengekommen – viel Lesestoff.
Aldi-Mitarbeiter lachen wenig. Zu stark lastet der Druck auf allen. Er wird von der Spitze her aufgebaut und durchgereicht. Das einzige, was lacht, ist die Liquidität.
Es ist auch für Journalisten vom Fach sehr schwierig, Details über die beiden Aldi-Konzerne herauszubekommen. Das Unternehmen ist nicht börsennotiert und somit nur zu bestimmten Veröffentlichungen verpflichtet. Umso wertvoller sind glaubwürdige und detaillierte Berichte, wie sie Eberhard Fedtke in seinem Buch nun geliefert hat. Er war viele Jahre lang Gesellschafter bei dem Konzern.
Bibliografie:
Eberhard Fedtke
Aldi Geschichten. Ein Gesellschaftler erinnert sich
NWB Verlag, Herne 2011
296 Seiten
3. Verringere die Komplexität!
Das Discountgeschäft gilt als Kunst des Weglassens – und Aldi hat es darin zu wahrer Meisterschaft gebracht. Das Sortiment verknappten die Gründer-Brüder anfangs radikal. Gerade mal 350 Artikel fanden sich in einer Filiale. Auch heute gibt es bei Aldi nicht vier oder fünf verschiedene Butter-, Waschmittel- oder Ketchupsorten wie bei der klassischen Supermarkt-Konkurrenz. Meist finden sich nur eine oder zwei Varianten.
Der Vorteil: Der Absatz konzentriert sich auf einzelne Artikel, deren Verkaufsvolumen steigt, was die Einkaufskonditionen verbessert. Die Logistik ist mit weniger Waren weniger aufwendig. Fehler bei Einkauf und Bestellung werden vermieden.
Zudem haben Karl und Theo Albrecht von Anfang an auf stark standardisierte Prozesse gesetzt. Von der Warenwirtschaft bis zum Ladenbau werden die Routine-Vorgänge nach strikten Regeln bearbeitet. Wer eine Aldi-Süd-Filiale kennt, findet sich als Kunde wie als Mitarbeiter schnell auch in einem anderen Markt zurecht. Weniger Komplexität im Geschäft bringt am Ende mehr: Mit einem Umsatz von 7900 Euro pro Quadratmeter Verkaufsfläche ist Aldi Süd der mit Abstand produktivste Lebensmittelhändler Deutschlands.
4. Halte das Geld zusammen!
Die Albrecht’sche Sparsamkeit ist legendär. Tatsächlich lebte Karl Albrecht für einen Multimilliardär bescheiden, wenn auch längst nicht so asketisch, wie mitunter kolportiert wird. Er bewohnte ein großzügiges Anwesen im Essener Stadtteil Bredeney. In den Siebzigerjahren kaufte der begeisterte Golfspieler den Öschberghof, ein malerisch gelegenes Wellnesshotel mit 27-Loch-Golfanlage. Dort, in der Nähe von Donaueschingen in Baden-Württemberg, fanden bisweilen auch die Familientreffen des Clans statt – zuletzt Anfang April. Chauffiert, so wird berichtet, wurde der 94-jährige Patriarch von seinem vertrauten Fahrer im S-Klasse-Mercedes mit langem Radstand, aber sparsamem Dieselmotor. Albrecht wohnte wie immer abgeschirmt in einer Villa, die per Tunnel mit dem Öschberghof verbunden sein soll.
Von der barocken Prachtentfaltung anderer Superreicher samt Yacht- und Privatjet- Exzessen blieb Albrecht jedoch stets weit entfernt. Öffentlich zur Schau gestellter Prunk war ihm ein Gräuel. Als Aldi-Manager ihrem Patron zum 90. Geburtstag ein Zirkus-Event nebst Galadinner spendierten, soll sich der Jubilar mit drei schlichten Sätzen bedankt haben: „Ich wollte nicht, dass ihr alle kommt. Ich habe Hunger. Und ich gehe bald wieder nach Hause.“
Die Manager hätten es wissen müssen: Zu den zentralen Erfolgsfaktoren des Unternehmens zählt seit jeher eine bis ins Skurrile anmutende Kostendisziplin.
Um Papier und Druckkosten zu sparen, hätten die Clanchefs jahrelang Briefbögen verwendet, auf denen die alte vierstellige Postleitzahl säuberlich durchgestrichen und durch die neue fünfstellige ersetzt wurde, erzählen Aldi-Veteranen gerne. Hochrangige Manager sollen gar eigens Bleistiftstummel in ihren Schubladen versteckt haben, um diese dann auf dem Schreibtisch zu platzieren, sobald ein Besuch des alten Herrn anstand.