So tickt die Generation Z „Die Akzeptanz, irgendwo zu warten, geht gegen Null“

Marken- und Store-Design-Experte Klaus Schwitzke

Eine neue Generation von Konsumenten setzt den Handel unter Druck, sich neu zu erfinden. Massenangebote verlieren an Attraktivität. Dagegen suchen nicht nur junge Kunden immer stärker nach Individualität, einer eigenen Handschrift und stellen Marken die Glaubwürdigkeitsfrage. Ein Gespräch mit dem Markenkenner und Store Designer Karl Schwitzke.

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Herr Schwitzke, Sie konzipieren für große Marken wie Tommy Hilfiger, Uniqlo und Douglas Ladenlokale – aber gehen junge Kunden, Mitglieder der Generation Z, überhaupt noch in die Shops?
Grundsätzlich – und das ist ja ein wesentlicher Teil des Problems des stationären Handels – geht diese Zielgruppe seltener einkaufen. Deswegen gibt es auch in den Innenstädten immer weniger echte Treffpunkte, von denen man ausgehen kann, dass man die Zielgruppe dort trifft. Das heißt, dass sich der Handel unglaublich bemühen muss, die jungen Kunden überhaupt noch zu erreichen. Warum etwa sollte ich als Jugendlicher ins Kaufhaus gehen? Was sollte mich dort locken? Wem das noch gelingt, das sind vereinzelte individuelle Lagen und Konzepte.

Woran denken Sie da?
Stärker noch als andere Generationen suchen die Jungen heute nach Individualität. Sie suchen Stadtteillagen und Konzepte, die überhaupt nicht digital sein müssen oder gar irgendwelche digitalen Features haben. Stattdessen geht es um Persönlichkeit und Einzigartigkeit, um Dinge, die ich woanders nicht bekommen kann. Bestes Beispiel ist der Hype um das US-Streetwear-Label Supreme...

…die ihre neuen Produkte stets an einem festen Wochentag in begrenzter Stückzahl verkaufen…
…ja, das erzeugt Neugier und sorgt für Gesprächsthemen. Was dagegen nicht funktioniert, sind digitale Spielereien. Da gibt es viele Missverständnisse über diese Generation, die sich auch im Handel wiederfinden. Aus der Tatsache, dass diese Generation mit der Digitalisierung und den entsprechenden Tools aufgewachsen ist und sie ganz selbstverständlich nutzt, meinen manche Marken oder Einzelhändler, sie müssten jetzt ganz viele digitale Features im Laden anbieten. Und das stimmt einfach nicht: Gerade weil sie damit aufgewachsen sind, benutzen die Jugendlichen schlicht ihre eigenen Geräte. Man kann das sehr schön beobachten, wie der eine oder andere auf so einem Tablet im Laden herumtippt, und dann das Gerät sehr schnell wieder weglegt. Säulen, Stelen, Bildschirme, Tablets, soziale Spiegel, über die ich Bilder aus der Umkleidekabine versenden kann – damit beschäftigt sich doch im Laden niemand. Wenn ich ein Bild mit anderen teilen will, mache ich schnell ein Foto mit dem Smartphone und versende es. Stattdessen sind andere Dinge im Handel viel wichtiger.

Was denn?
Die Krise der großen Marken hängt vor allem damit zusammen, dass die junge Generation viel mehr hinterfragt, wofür die Unternehmen stehen. Diese Auseinandersetzung mit den Werten oder auch den Produktqualitäten, mit der Frage, was dieses Produkt oder diese Marke für mich leistet, ist intensiver geworden. Und wenn diese Zielgruppe nicht die richtigen Antworten findet und die Glaubwürdigkeit nicht da ist, dann ist Loyalität nicht mehr gegeben. Längere Markentreue ist nicht mehr selbstverständlich.

Wie findet sich das im Store-Design wieder?
Die Gestaltung muss die Werte der Marke kommunizieren. Wenn sich eine Marke etwa wirklich nachhaltig positioniert, dann muss auch das gesamte Ladenkonzept dies widerspiegeln. Wir haben etwa den Flagshipstore von Tommy Hilfiger in London bei der Nachhaltigkeits-Zertifizierung begleitet, und da ging es vom Energieeinsatz über die Abfallentsorgung bis zu behindertengerechten Zugängen um alle Aspekte der Nachhaltigkeit eines solchen Ladens.

Ist ein solches Konzept nicht viel teurer als ein konventioneller Ladenbau?
Die Mehrkosten bei einem solchen Ansatz dürften pauschal je nach Konzeption bei zehn bis 30 Prozent liegen. Aber es bietet der Marke einen wesentlichen Mehrwert, denn sie muss viel stärker als jemals zuvor darauf bedacht sein, dass ihr komplettes Bild stimmt. Und das reicht viel weiter als nur bis zum Schaufenster, nämlich über alle digitalen Kanäle in die Läden und darüber hinaus bis zu Events, die Marken veranstalten oder an denen sie als Sponsoren beteiligt sind. Und der Ausgangspunkt ist, im Austausch zu sein mit dieser Generation, im Dialog zu sein, und nicht nur Botschaften zu senden.

Warum sollte das heute wichtiger sein als noch vor ein paar Jahren?
Weil sich das Bewusstsein für Konsum verändert hat. Der junge Konsument wird spürbar politischer, er fragt intensiver nach, das ist eine Bewegung, die in alle Konsumbereiche vordringt. Allein schon die Frage, ob es ökologisch zu verantworten ist, für 29,90 Euro in den Urlaub zu fliegen, muss sich jeder stellen. Und die müssen sich auch die Anbieter solcher Flugreisen stellen – und das ist in der Mode nicht anders.

Der Billigflieger unter den Modeanbieter wäre etwa Primark – wie kann sich vor dem Hintergrund so ein Modell noch halten?
Der Hype, ich kauf mir etwas für die Party am Wochenende und danach schmeiße ich es weg, ist durch. Natürlich gibt es auch viele Menschen, die günstig einkaufen müssen. Das ist auch nicht verwerflich. Die Frage ist, ob das günstige Einkaufen dazu führt, dass das Produkt zum Wegwerfartikel wird. Tatsächlich steigt der Anspruch auch an eine günstige Klamotten. Dadurch steigt der Druck auf die Billigheimer. Nach meiner Beobachtung ändert sich in dieser Generation das Verhalten bereits – sie kaufen weniger, dafür besser.

„Es geht nicht darum, kulissenhafte Läden zu bauen, damit ich instagrammable bin“

Was bedeutet denn in dem Fall „besser“?
Das bedeutet zum Beispiel, dass ich auf mich persönlich zugeschnittene Teile finde. Einige Marken machen das schon ganz gut – sie schaffen einen hohen Individualisierungsgrad in einem Produkt, das der Kunde im Laden selber konfigurieren oder sogar frei gestalten kann. Das schafft dem Kunden einen höheren Mehrwert, wenn er im Laden bei der Entstehung des Produkts dabei sein kann. Oder wenn er bei der Gestaltung des Produktes einen Profi an der Seite hat, der ihn unterstützt.

Am weitesten sind da wohl die Sportartikler?
Ja, Nike etwa bietet das in seinem Nike Lab in New York an, aber auch Converse und Levi’s haben einen solchen Service. Bei diesen Marken sieht man auch, dass das von den Kunden geschätzt wird. Die Entwicklung geht hin zur Kleinserie, zu Kollaborationen mit Künstlern, zur Serie 1. Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse hilft dabei, dass dies überhaupt möglich wird. Aktionen wie die 4D-Schuhe von Adidas oder die Adidas Made-for-Schuhe, die für bestimmte Städte wie London oder Paris gefertigt wurden, gehen ebenfalls in diese Richtung. Noch sind dies Leuchttürme, aber grundsätzlich zeigt das die Richtung an. Die Generation Z erwartet mehr Individualität, das Wissen darum, was dahintersteckt, und eine bessere Dienstleistung. Durch das Netz sind sie verwöhnt. Dort bekommen sie alles quasi sofort – die Akzeptanz, irgendwo zu warten, und sei es an der Kassenschlange, geht daher gegen Null. Der direkte Zugang zu einer Dienstleistung oder zu einem Produkt wird wohl Standard werden müssen.

von Peter Steinkirchner, Rüdiger Kiani-Kreß

Was bedeutet das aber für die Gestaltung der Läden – im Netz sind die Produkte doch meist perfekt fotografiert und in Szene gesetzt, im Laden dagegen sehen sie halt normal aus?
Ja, das stimmt – wenn mir Influencer und YouTube-Kanäle ein Produkt empfehlen, dann ist es meist inszeniert, dann will ich das nicht einfach nur auf einem Brett im Laden stehen sehen. Das ist dann zu wenig. Deshalb muss das Produkt im Laden auch inszeniert und aufgeladen werden. Das braucht dann ein Erlebnis, das man mit der Einkaufstasche nach Hause nehmen kann. Das Produkt braucht eine gewisse Aura. Show und Entertainment und Überraschung und ein besonderer Moment – das wird immer wichtiger. Sehr gut macht das beispielsweise die Marke Rapha mit ihren Radtrikots und ihrer Bekleidung…

…die sich aber doch eher an ältere Kunden wendet…
…mag sein, aber da gibt es Schnittmengen. Rapha gestaltet seine Läden eher wie einen Fahrradklub, bietet Touren und Events an. Sie inszenieren sich wie eine Community, ein Treffpunkt für Gleichgesinnte, an dem es eben auch Kleidung und Equipment zu kaufen gibt. Rapha, aber auch Konzepte wie das Yogamode-Label Lululemon, das Yogakurse in seinen Läden anbietet, machen das vorbildlich.

Nun kann nicht jede Modemarke zum Fitnesstempel werden. Was haben die anderen noch für Chancen?
Sie müssen Gründe bieten, warum Menschen in die Läden kommen. Und auch da ändert sich der Trend gerade: Die Relevanz von Kunst, Musik, Installation, Klang oder Improvisation nimmt wieder zu. Diese Themen lösen die Reproduktion von Heritage und Historie ab, auch wenn es für viele Marken längere Zeit getragen hat...

…Sie meinen die Tatsache, dass seit geraumer Zeit gefühlt überall industriell aussehende Lampen hängen und rohe Holzbretter…
Ja genau, das reicht nicht mehr. Neue, individuelle Konzepte gehen längst weg davon, sie orientieren sich an anderen Dingen, wie eben Kunst. Und daran ist diese Generation wieder interessiert, am Museumsbesuch, an Musik, an Events – solche Erlebnisse bekommen eine neue Relevanz. Gerade für die jungen Leute werden Ausstellungen etwa in der Londoner Tate wieder zum Publikumsmagneten. Sie werden zu neuen Referenzen für Erlebnisse.

Weil man da so schicke Instagram-Fotos machen kann?
Das kommt noch hinzu, aber es ist nicht der treibende Faktor. Es geht nicht darum, kulissenhafte Läden zu bauen, damit ich instagrammable bin. Auch wenn es die natürlich gibt. Auch ein Museumsbesuch ist eine Form des Konsums, aber er zielt nicht auf besitzen ab, sondern auf erleben. Gleichzeitig setzt er aber auch Standards: Der Kunde akzeptiert es nicht mehr, wenn ein Laden kein Tageslicht hat, wenn er vollgestopft ist mit Klamotten und wenn er nicht sauber ist. Auf all das muss ich als Händler reagieren – wie komme ich dann noch auf meinen Umsatz, wenn ich nicht mehr diese Warendichte anbieten kann, weil diese Zielgruppe diese vollen Läden nicht mehr akzeptiert, sondern eine galeriehafte Präsentation wünscht mit Erlebnissen zwischendrin? Das ein existenzielles Problem.

Was ist die Lösung? Nicht jeder kann einfach die Preise anheben, um auf seine Umsätze zu kommen.
Preisliche Exklusivität ist sicher ein Thema, das für eine kleine Zielgruppe funktioniert. Aber die meisten Marken und Händler werden zwangsläufig zu hybriden Modellen kommen müssen, bei denen die Umsätze nicht ausschließlich aus dem Laden, sondern nur aus dem Verbund mit dem Online-Handel kommen. Hinzu kommen aber auch ganz neue Konzepte – der Weiterverkauf von Kleidung etwa. Gerade die junge Zielgruppe hat wenig Probleme damit, ein bereits gebrauchtes Teil zu tragen, Gebrauchsspuren sind Teil der Mode. Das gehört zu dem laufenden Wertewandel. Dazu gehört auch die Reparatur von Produkten, wie sie Patagonia, Wolfskin oder Vaude anbieten. Nudie Jeans aus Schweden macht das auch. Da kann man seine alte Jeans abgeben und bekommt sie angerechnet auf den Kauf einer neuen. Genauso verkaufen sie aufbereitete Jeans wieder. Damit fangen jetzt immer mehr Marken an, weil sie auf ihre Kunden hören. Und die reagieren darauf – und entwickeln womöglich wieder so etwas wie eine neue Loyalität. Und mehr kann ich mir als Marke nicht wünschen.

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