Sozialer als der Staat erlaubt? Die fragwürdige neue Kampagne von Lemonaid

Lemonaid-Gründer Paul Bethke startete die Petition.

Der Limo-Hersteller Lemonaid wettert gegen das Hamburger Finanzamt, das Zahlungen an einen Verein als Spenden auffasst und nicht als Sponsoring. Experten sehen Lemonaids Position kritisch.

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„Sozialer als der Staat erlaubt“ – mit diesem Slogan wirbt der Hamburger Limonadenhersteller Lemonaid. Die Kampagne ruft zur umfangreichen Gesetzesänderung auf: Sozialunternehmen sollten großzügiger vom Fiskus behandelt werden. Jetzt rührt Lemonaid mit dem Slogan „Amtlich was kippen“ die Werbetrommel für eine Petition gegen das Steuergesetz. Denn: Lemonaid sieht sich wegen umfangreicher Steuernachforderungen des Hamburger Finanzamts in der Existenz bedroht.

Vor zwei Jahren sah es schon einmal ähnlich düster für das Unternehmen aus. Um ein Haar hätte es alle Mehrwegpfandflaschen einstampfen müssen, weil Lemonaid weniger Zucker enthielt, als für Limonaden vorgeschrieben war. Das Unternehmen flüchtete nach vorn: Sie stellten der damaligen Ministerin Julia Klöckner eine Statue aus Zucker als Mahnmal vors Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Und bekamen letztlich recht.

Ob ihr Stunt gegen das Bundesfinanzministerium ähnlich erfolgreich verläuft, ist aber fraglich. Denn wenn einem Start-up zweimal hintereinander existenzbedrohliche Fehler mit dem Kleingedruckten unterlaufen, stellt sich die Frage, ob das Problem immer beim Staat zu suchen ist.

Lemonaid zahlt fünf Cent je verkaufter Flasche an den Verein „Lemonaid & ChariTea e. V.“ Sieben Millionen Euro seien seit Bestehen von Lemonaid bereits in diesen Verein geflossen, berichtet Lemonaid. Der unterstützt laut Geschäftsbericht zum Beispiel bessere Arbeitsbedingungen für Frauen in Darjeeling.

„Wir haben uns vor der Wahl eines Sponsoringvertrags zur Unterstützung des Lemonaid & ChariTea e. V. natürlich eingehend beraten lassen“, sagt Lemonaid-Gründer Paul Bethke. „Gemeinsam mit unseren Steuerberatern sind wir weiterhin der festen Überzeugung, uns hierbei an Recht und Gesetz zu halten. Die Tatsache, dass sich das Finanzamt dieser Auffassung trotz unserer Einlassungen nicht anschließt, zeigt aber, das die Rechtslage für Sozialunternehmen dringend verbessert werden muss.“

Das Unternehmen moniert, dass man nur 0,4 Prozent des Umsatzes steuerbefreit spenden dürfe. Es sei ein Unding, dass  Sponsoring für die Formel Eins voll von der Steuer absetzbar sei, nicht aber soziales Engagement in der Dritten Welt. Lemonaid  hatte bewusst einen Sponsoringvertrag anstelle von Spenden gewählt – vielleicht hofften sie, so die deutschen Gesetze zu wohltätigen Spenden von Unternehmen zu umgehen. Aber jetzt fehle dem Finanzamt „eine konkrete Gegenleistung“, sagt Lemonaid.

In Sachen Unternehmenspenden ist das Gesetz eigentlich gar nicht so knickerig: Deutsche Unternehmen dürfen 20 Prozent des Einkommens steuerbefreit an gemeinnützige Vereine spenden – in der Regel aber nur, wenn die Geschäftsführer nicht selbst Mitglied des Vereins sind oder ein sonstiges Näheverhältnis zum Verein besteht. „Das Gesetz beugt einer zu großen Verflechtung zwischen dem Unternehmen und dem Verein vor“, erklärt Steuerberater Ulf Knorr von Ecovis in Rostock. Das beugt Missbrauch vor, etwa wenn die persönlichen Interessen des Gesellschafters an der Spende die betrieblichen Interessen überlagern.

Spenden oder Sponsoring?

Da könnte das Problem lauern, warum das Sozialunternehmen seine Zahlungen lieber als Sponsoring statt als Spenden definieren möchte: Paul Bethke, der Gründer und Geschäftsführer von Lemonaid, ist auch Gründungsmitglied des Lemonaid &ChariTea e. V. Sein Foto ziert eine Seite des Geschäftsberichts des Vereins aus dem Jahr 2018. „Es liegt keine Verflechtung vor“, so Lemonaid, selbstverständlich würden keine persönlichen Interessen einzelner Vereinsmitglieder verfolgt. Darüber hinaus sei Bethke auch nicht im Vorstand des Vereins tätig.

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Das Finanzamt moniert Spenden aus dem Zeitraum 2015 bis 2017. In der Zeit schrieb Lemonaid fast nur rote Zahlen. 2015 erzielte es einen kleinen Gewinn, 2016 aber fuhr es einen Verlust von 1,2 Millionen ein, 2017 gab es ein neuerliches Minus von 1,15 Millionen Euro. Selbst in einer solch misslichen Lage erlaubt der Fiskus Unternehmen noch Gutes zu tun: Hier darf ein Unternehmen immer noch 0,4 Prozent von seinem Umsatz plus seiner Arbeitslöhne spenden.

„Wir haben uns bei der Unterstützung des gemeinnützigen Vereins bewusst gegen Spenden entschieden“, sagt Gründer Bethke gegenüber der Wirtschaftswoche. Eine Spende sei unverbindlich und in ihrer steuerlichen Abzugsfähigkeit stark eingeschränkt – statt mit 0,4 Prozent unterstütze Lemonaid den Lemonaid & ChariTea e.V. mit dem 15-fachen – also sechs Prozent des Umsatzes, und zwar unabhängig davon, ob Lemonaid Gewinn mache.

Großzügig trotz hoher Verluste

Da könnte es knapp werden für Lemonaid: 2017 zum Beispiel machte das Unternehmen einen Umsatz von 13,6 Millionen Euro und bezahlte 3,2 Millionen Euro an seine Arbeitnehmer. Da wären vom Finanzamt 67200 Euro an Spenden erlaubt gewesen. Lemonaid aber „sponsorte“ seinen eigenen Verein in dem Jahr mit rund 870000 Euro, also dem Dreizehnfachen des als Spende Erlaubten. Ein gewagtes Unterfangen angesichts der angeschlagenen Lage: „Ein ordentlicher Geschäftsführer würde angesichts eines Verlusts gar nicht, zumindest jedoch deutlich weniger spenden“, sagt Steuerberater Knorr.

„Es ist nicht unüblich, dass ein Unternehmen in den Anfangsjahren oder bei schlechter Wirtschaftslage überhaupt keine Gewinne realisiert“, sagt Bethke. Nicht zuletzt habe das Sponsoring Engagement auch dazu beigetragen, dass es eine durchaus positive Absatzentwicklung gegeben habe: „Wie diese Entscheidung kaufmännisch zu bewerten ist, sei jedem selbst überlassen.“

Wegen eines Verlusts auf sein Versprechen für den guten Zweck zu verzichten, kommt ihm nicht in den Sinn: „Unser Fall ist ein Beispiel dafür, dass gesetzliche Grundlagen von Zeit zu Zeit an gesellschaftlich gewünschte Entwicklungen angepasst werden müssen“, sagt Bethke, „wie auch im Fall unseres Kampfes gegen die gesundheitsschädliche Zucker-Mindestgrenze bei Limonaden, der breiten Rückhalt in der Gesellschaft und der Politik fand.“

Viel Unterstützung aus der Szene

Andere Sozialunternehmen unterstützen Lemonaid in ihrem Kampf gegen das Bundesfinanzministerium: „Das deutsche Spendenrecht ist viel zu komplex“, findet Micha Gab von Viva con Agua aus Hamburg, „Es würde allen Sozialunternehmen gut tun, es zu vereinfachen. Viva con Agua aber hat sich angesichts des deutschen Rechts bewusst eine ganz andere Struktur gegeben als Lemonaid, „um den Spendenanteil zu maximieren.“ Das Unternehmen verkauft sein Wasser durch die schnöde Wasser GmbH“ – deren Besitzer sind eine selbstgegründete Stiftung und ein selbstgegründeter Verein. An die fließen alle Gewinne – nachdem sie ordentlich versteuert sind. Die Vereine selbst dürfen diese Gewinne dann ausgeben, ohne dass sie Kapitalertragssteuer zahlen müssten.

Flugzeugbauer Lilium Senkrechter Blindflug

Ein Finanzbericht gewährt Einblick ins Zahlenwerk des Elektro-Senkrechtstarters Lilium. Dort wie bei der Konkurrenz türmen sich die Verluste. Hinzu kommt ein Eingeständnis über Mängel in der Finanzkontrolle.

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Lemonaid aber will nicht nur Gutes tun, sondern zumindest langfristig damit selbst auch Geld verdienen. Deshalb liegt die Mehrheitsbeteiligung auch in den Händen von Privatpersonen: „Wir wollen den Verein jedes Jahr sponsern, unabhängig davon, ob wir in dem konkreten Jahr Gewinne machen“, sagt Bethke. „Bei einem Modell mit Gewinnbeteiligung könnten in Realität über Jahre gar keine Gelder fließen. „Aus unserer Überzeugung ist das ein transparentes, verbindliches – und wirksames – Modell.“

Auch Paul Kupfer von Soulbottles in Berlin findet die Aktion von Lemonaid „grundsätzlich cool“: „Wir fänden es gut, wenn die Grenze, wie viel ein Unternehmen steuerabzugsfähig spenden kann, hochgesetzt würde“. Auch sei die Rechtsprechung in Deutschland „teilweise noch sehr veraltet“ und „macht es Sozialunternehmen nicht immer einfach.“ Für jede verkaufte gläserne Trinkflasche spendet das Unternehmen einen Euro an die Projekte von Viva con Agua. So kamen schon 1,5 Millionen Euro zusammen. Aber im Gegensatz zu Lemonaid hat Soulbottles es geschafft, eine Unternehmensstruktur zu finden, mit der sie „gute Erfahrungen mit der Finanzverwaltung machen.“

Lesen Sie auch, wie Lemonaid sich in einer großen, öffentlichen PR-Schlacht bei der Neudefinition von Limonade gegen die deutsche Bürokratie durchsetzte.

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