Sperrung im Rheintal Nord-Süd-Achse bleibt bis Oktober dicht

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Deutsche Industrie befürchtet noch keine Engpässe


Schon vor Bekanntwerden der Bauverzögerung forderte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) für die betroffenen Eisenbahnunternehmen unbürokratische finanzielle Hilfe vom Bund. „Eine wochenlange Sperrung hat katastrophale Folgen, insbesondere für die umfangreich betroffenen Güterbahnen“, sagte VDV-Geschäftsführer Martin Henke. Er befürchtet, dass der Verkehr auf andere Verkehrsträger abwandert und die Eisenbahnunternehmen so „massiv Kunden“ verlieren.

Schon jetzt können die Wettbewerber der Deutschen Bahn die Kunden nur über einen aggressiven Preiskampf gewinnen. Bei außerplanmäßigen Belastungen, so wie mit der jetzigen Sperrung, rechnet sich ein Auftrag schnell nicht mehr. Für manche Unternehmen könne die Situation sogar „existenzbedrohend“ sein, befürchtet der VDV.

Die deutsche Industrie meldet bislang allerdings noch keine Produktionsengpässe. Auch die deutsche Automobilbranche ist nach eigenen Angaben nicht betroffen. „Wir haben keine Meldungen über Probleme vorliegen“, sagte ein Sprecher des Verbands der Automobilindustrie (VDA) der Deutschen Presse-Agentur. „Die Masse der Transporte von Zulieferern geht über die Straße“, außerdem seien die Logistiker flexibel.

Aus der Schweiz ist allerdings zu hören, dass die Sorgen um eine sichere Versorgung wachsen. Je länger die Unterbrechung andauere, heißt es etwa beim Schweizer Chemieverband,  desto schwieriger werde es, die Produktion im gewohnten Umfang hoch zu halten. Das könne zu Umsatzeinbußen und Mehrkosten führen. „Erhebliche Störungen im Warenverkehr zwischen Deutschland und Italien werden die Folge sein, wenn es nicht gelingt, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen“, warnt der private Schweizer Güterbahnbetreiber.

Nur fünf Meter unter den Gleisen hatte sich vor zehn Tagen ein Betonsegment in einer Tunnelröhre verschoben. Die beschädigte Röhre soll inzwischen stabilisiert sein. In dem 160 Meter langen Bauabschnitt werden in den nächsten Wochen nun umfangreiche Arbeiten durchgeführt. Der Tunnel wird verfüllt, auf 150 Metern werden Oberleitungen demontiert, Gleise und Schwellen ausgetauscht. Eine 120 Meter lange und ein Meter dicke Betonplatte soll dann zwischen Oberfläche und Tunnel verbaut werden, um das Konstrukt zu stabilisieren. Erst dann können die neuen Gleise wieder verlegt werden.

Das sind die größten Baustellen der Bahn
Erst vor wenigen Tagen hat die Bahn den neuen ICE 4 vorgestellt – und sich im Fernverkehr Einiges vorgenommen. Um 25 Prozent soll das Angebot bis 2030 ausgebaut, fünfzig Millionen neue Fahrgäste gewonnen werden. Tatsächlich schafft es die Bahn mit ihrer Preisoffensive, etwa mit den 19-Euro-Tickets, mehr Fahrgäste in die Züge zu locken. Aber die Rendite leidet. Quelle: dpa
Der Güterverkehr der Bahn ist ein Sanierungsfall. Zwar verbesserte sich das Ergebnis von DB Cargo im ersten Halbjahr 2016, aber die Sparte ist defizitär– und das schon seit Jahren. Zwischen 2007 und 2015 stagnierte die Verkehrsleistung, und das in einer boomenden Wirtschaft. Private Anbieter, auch auf der Straße, machen der Bahn zunehmend Konkurrenz. Quelle: dpa
174,63 Millionen Minuten haben die Personen- und Güterzüge der Bahn 2015 an Verspätungen eingefahren. Hauptursache ist die wachsende Zahl von Baustellen. Zwar schneidet die Bahn im ersten Halbjahr 2016 besser ab. Aber: Das Bemühen um pünktliche Züge ist laut Bahnchef Grube „mit großen Kraftanstrengungen verbunden“. Quelle: picture-alliance/ dpa
Die Bahn investiert viel Geld in die Infrastruktur: Gut 5,2 Milliarden Euro flossen 2015 etwa in die Instandhaltung von Schienenwegen und Brücken. Doch es hapert bei der Koordinierung der vielen Baustellen. Und so verursacht die von Konzernchef Grube gefeierte „größte Modernisierungsoffensive in der Bahn-Geschichte“ vor allem eines: Verspätungen. Quelle: dpa
Die Bahn braucht Geld, um den Schuldenanstieg zu bremsen. Geplant war deshalb ein Verkauf von maximal 40 Prozent der britischen Tochter Arriva und des Transport- und Logistikkonzerns DB Schenker. Arriva sollte im zweiten Quartal 2017 an der Londoner Börse starten, Schenker danach in Frankfurt. Doch die Pläne sind jetzt vom Tisch. Quelle: picture alliance/dpa
Bahnchef Grube feierte kürzlich die Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof, aber das Großprojekt bleibt umstritten. Beim Volksentscheid 2011 war noch von 4,5 Milliarden Euro Kosten die Rede. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, Grube selbst spricht von 6,5 Milliarden Euro. Quelle: AFP

Ungeachtet der jüngsten Vorfälle ist die Rheinschiene ohnehin kein Ruhmesblatt deutscher Verkehrsplanung. Vor 20 Jahren hatten Deutschland und die Schweiz im Vertrag von Lugano vereinbart, die Zulaufstrecken zum neuen Gotthard-Tunnel zügig auszubauen – bis zum Jahr 2016. Während die Schweizer ihr Milliarden-Projekt rechtzeitig fertigstellten, steht das Schienenprojekt hierzulande mit Fertigstellungstermin 2035 in der Planung. Die Bahn erweitert auf der über 180 Kilometern zwischen Karlsruhe und Basel die Strecke um zwei Gleise. Der Raststatter Tunnel, der die Sperrung ausgelöst hat, ist Teil des Ausbaus.

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